28.06.2018 Bettina Sigmund

Living-plant construction: Living architecture

Urban Micro Climate Canopy: Kletterpflanzen wachsen auf einer Struktur aus harzgetränkten Glasfaserbündeln und erzeugen so eine künstliche Baumkrone. (Bild: TUM)

Ziel ist es, die biologischen Prozesse und Strukturen so zu kontrollieren, dass sie als innovative technische Lösungen neue freiräumlich-architektonische Typologien und Entwurfsansätze ermöglichen. Dem Team geht es dabei sowohl um die Erforschung der räumlich-ästhetischen Wirkung als auch der Optimierung der technischen Leistungsfähigkeit der gewachsenen architektonischen Strukturen, wird der Projektgedanke beschrieben. »Ein Bauwerk ist in der Regel ein rein technisches, präzise konstruiertes Objekt. Aber ein Baum wird nicht am Reißbrett geplant, sondern maßgeblich durch die Umweltbedingungen geformt. Und das kann nicht exakt geplant werden. Der Baum ist auch nie fertig, sondern wächst immer weiter – bis er irgendwann stirbt. Mich fasziniert genau dieser Gegensatz. In der Baubotanik integrieren wir Pflanzen in die Architektur. Ich habe mich mit dieser Thematik schon in den ersten Semestern meines Studiums beschäftigt. Es gibt historische Beispiele wie lebende Brücken in Indien oder auch die Tanzlinden in Deutschland – faszinierende, künstlich geformte Bäume, in die Podeste als Tanzböden integriert sind. Diese archaischen Architekturen lassen sich weiterentwickeln und so Lösung für drängende Fragen unserer Zeit bieten«, beschreibt Ferdinand Ludwig seine Begeisterung für die Verwendung von lebenden Pflanzen als Baumaterial. Und erklärt weiter deren praktischen Nutzen für das urbane Mikroklima: »Gerade in den Städten ist ein Großteil der Fläche mit Stein, Beton und Asphalt verbaut. Diese Materialien heizen sich bei hohen Temperaturen schnell auf, Menschen und Tiere in den Städten leiden unter Hitzestress. Pflanzen sorgen für Kühlung und ein besseres Klima in der Stadt. Mit der Baubotanik muss nicht extra Raum für die Pflanzen geschaffen werden, da sie integraler Bestandteil der Bauwerke sind. Ein anderer Aspekt ist die Entfremdung des Menschen von der Natur. Diese wird auch in der Stadt wieder erlebbar, wenn die Menschen zum Beispiel das Gefühl haben, in einer Baumkrone zu wohnen.« Erste hybride Projekte aus innovativen pflanzlich-technischen Verbundstrukturen demonstrieren, wie die atmenden Architekturen künftig in unsere Städte integriert werden können. Darunter beispielsweise der architektonische Prototyp Urban Micro Climate Canopy (UMCC). Das Projekt wurde von Studierenden am Architecture Research Incubatur der TUM in Kooperation mit der Professur für Green Technologies in Landscape Architecture, dem Lehrstuhl für Gebäudetechnologie und klimagerechtes Bauen und der Firma FibR GmbH entwickelt. Es handelt sich um eine robotisch gefertigte Leichtbaukonstruktion, die mit Kletterpflanzen und Moosen begrünt für ein besseres Mikroklima in unseren Städten sorgen kann. »Hier lassen wir eine Struktur aus harzgetränkten Glasfaserbündeln von Kletterpflanzen bewachsen, sodass eine künstliche Baumkrone von drei Metern Höhe entsteht. Wir nutzen dabei computergestützte Simulationsverfahren für den Entwurf sowie Robotik zum Aufbau des Gerüsts.« Aber auch rein pflanzlich-architektonische Strukturen sind unter bestimmten Voraussetzungen möglich, wie Ferdinand Ludwig weiter erklärt. »Sie müssen sich genau mit den Eigenschaften und den Bedürfnissen des Organismus auseinandersetzen, um plausible Entwürfe machen zu können – obwohl natürlich eine gewisse Unberechenbarkeit bleibt. Dazu benötigen wir das gesammelte Wissen aus Botanik, Forstwissenschaft und Gartenbau. Zum Beispiel, wie groß ist das Wachstumspotenzial der Pflanze und wie können wir dieses regulieren? Bei Projekten wie dem Baubotanischen Turm oder dem Platanenkubus Nagold haben wir beispielsweise mehrere hundert junge Bäume so miteinander verbunden, dass sie zu einer Einheit verwachsen. Nur die unteren Bäume wurden in den Boden gepflanzt, die restlichen Bäume befinden sich in speziellen Pflanzencontainern auf mehreren Ebenen, gestützt durch ein temporäres Stahlgerüst. Der Stamm der Bäume wurde jeweils mit einem Stamm der oberen Ebene verschraubt. Die Rinde und das Holzgewebe verwachsen mit der Zeit miteinander und es entsteht ein fachwerkartiges Stammgebilde, das vollständig durch die Wurzeln der unteren Bäume mit Nährstoffen versorgt wird. Sobald dieses stabil genug geworden ist, um sein eigenes Gewicht tragen zu können, wird das Gerüst entfernt.« Natürlich bleibt bei lebenden Gebäuden immer ein Risiko, denn »alles was lebt, kann sterben. Je stärker sich der architektonische Vorschlag aber an dem natürlichen Wachstumsmuster der Pflanzen orientiert, desto besser. Ich habe hier am Lehrstuhl Green Technologies in Landscape Architecture das Ziel, genau diese Wachstumsmuster der Pflanzen noch besser zu erforschen und neue Konzepte und Strategien für grüne Architektur zu entwickeln.« Die künstliche Baumkrone des UMCC Prototyps konnte bereits in Frankfurt am Main während der Luminale und in München während der MCBW besichtig werden. Das Projekt wird nun dauerhaft auf dem Versuchsfeld auf dem Campus in Weihenstephan aufgebaut.
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