Impossible stairs: Barkow Leibinger’s stage set for Fidelio
Foto: Simon Menges
Fast auf den Tag genau 214 Jahre nach der Uraufführung von Beethovens einziger Oper im Theater an der Wien war Anfang März am selben Ort die Premiere der Neuinszenierung geplant. Corona bedingt fand eine „Geisterpremiere“ ohne Publikum als TV Übertragung statt und erreichte so über 300 000 Zuschauer.
Inspiriert von Piranesis Carceri erinnert das Bühnenbild an ein modernes Labyrinth oder an die unmöglichen Treppen von M.C. Escher: Eine Doppelhelixtreppe, die aus vier miteinander verwobenen und verzerrten Wendelflächen konstruiert ist, füllt den gesamten Bühnenraum aus. In beiden Akten, die in einem Gefängnis in Sevilla spielen, ist die Raumskulptur Spielfläche für die Sänger und Sängerinnen. Abstrakt vermeidet sie gegenständliche Assoziationen und lenkt so die Aufmerksamkeit auf die Handlung.
Durch die labyrinthische Geometrie entstehen vielfältige Auftrittsmöglichkeiten und Raumeindrücke. Überhänge und Aushöhlungen, im unteren Bereich des Treppenlabyrinths, prägen die Szenen im Kerker. Auf verschiedenen Ebenen betreten die Sänger- und Sängerinnen die Bühne: Treppauf, treppab begegnen sie sich, lassen sich nieder und verlassen die Szene wieder.
Über das elliptische Treppenauge im Zentrum wird das Geschehen beleuchtet. Von düsterer Dunkelheit in den Kerkerszenen bis hin zu gleißend hellem Licht für die Szenen im Gefängnishof reicht die Lichtpalette. Belebt von Choreografie und Lichtführung wird so die statische Installation selbst zur Inszenierung.
CNC-geschnittene Holzsegmente auf einer Aluminium-Unterkonstruktion bilden die Treppenkonstruktion, die in einer Werkstatt in Polen vorgefertigt wurde. Durch die relativ kleinen Bühnenzugänge wurde die Doppelhelixtreppe in Einzelteilen auf die Bühne gebracht und dort wie ein Flaschenschiff wieder zusammengesetzt.
Das Bild einer nahezu identischen Treppenkonstruktion findet man übrigens in einer Studie für eine Bibliothek aus dem Jahr 2013. Sie ist das Werk des aus Los Angeles stammenden Architekten Khoa Vu. Barkow Leibinger sehen sich jetzt mit Plagiatsvorwürfen konfrontiert, die sie aber zurückweisen: Im Rahmen der Recherche – auch zu anderen Projekten – wurde das Bild zwar gesehen und war bekannt, im Entstehungsprozess zum Bühnenbild habe es aber keine weitere Rolle gespielt.