Neun Thesen zur Kreislaufwirtschaft
Zirkuläres Bauen ist die Zukunft
Innenraum des Recyclinghauses in Hannover-Kronsberg, © Gundlach Bau und Immobilien
Zirkuläres Bauen ist die Zukunft. Das ist kurz und knapp das Resümee der Publikation „Zirkuläres Bauen in der Praxis. Ein Status Quo“. Angesichts des Klimawandels stellt sich nicht die Frage nach dem Ob oder Warum. Es stellt sich die Frage nach dem Wie: Wie wird die Wende vom linearen zum Zirkulären Planen und Bauen aussehen und wie wird sie die (Bau-)Wirtschaft verändern? Um eine Antwort auf diese Frage zu bekommen, wurden Interviews mit 17 Expert:innen aus sämtlichen Bereichen der Branche geführt – von Architektur und Bauherrschaft über Wirtschaft und (politische) Institutionen bis hin zur Wissenschaft.
Zirkuläres Bauen braucht Pioniere: Projekt Karstadt Hermannplatz Berlin, © Lendager Group
Die Bauwende kommt nur langsam ins Rollen
Die Baubranche gilt als einer der stärksten Treiber des Klimawandels. Allein in Deutschland ist sie für etwa 40 % der CO2-Emissionen und für 55 % des Abfallaufkommens verantwortlich. Doch die längst fällige Bauwende kommt nur langsam ins Rollen. Neu bauen geht noch immer viel zu häufig vor Weiterbauen und nur selten wird bei Bauprojekten auf Kreislauffähigkeit geachtet. Gerade aber darin besteht das große Potenzial für die Baubranche: Die bereits verbaute Graue Energie weiterzunutzen und Materialien sowie Bauteile so lange wie möglich im Kreislauf zu halten. Das Prinzip des zirkulären Bauens ist bei weitem nicht neu, sein Potenzial im Grunde längst erkannt. Warum also kommt es in der Praxis bislang nur selten zur Anwendung?
Verbindliche Rahmenbedingungen sind gefragt
Das Ergebnis, zu dem die Publikation kommt, ist so einfach wie komplex: Eine Skalierung auf die gesamte Branche ist bislang nicht möglich, obgleich zirkuläres Bauen in den vergangenen Jahren bereits eine große Dynamik entwickelt hat. So gibt es immer mehr Pioniere und Pionierinnen, die sich auf planerischer, aber auch auf wirtschaftlicher Ebene dafür einsetzen. Doch um zirkuläres Bauen für die gesamte Branche wirtschaftlich umsetzen und die Wende auf allen Ebenen der (Bau-)Wirtschaft vorantreiben zu können, braucht es vor allem verbindliche politische Rahmenbedingungen.
Die EU-Taxonomie gibt die Richtung vor
Weichenstellungen, wie zum Beispiel die EU Taxonomy for Sustainable Activities gibt es zwar bereits. Mit der Taxonomie hat die EU-Kommission vor dem Hintergrund des Pariser Klimaschutzübereinkommens ein Instrument zur einheitlichen Kategorisierung von Wirtschaftsaktivitäten hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit entwickelt. Grundlage für die Bewertung bilden sechs Umweltziele. Die ersten beiden – Klimaschutz sowie Anpassung an den Klimawandel – gelten bereits seit dem 1. Januar 2022. Seit dem 1. Januar 2023 wurden die weiteren vier Umweltziele eingeführt, darunter der Übergang in eine Kreislaufwirtschaft.
Zirkuläres Bauen beginnt mit der Weiternutzug des Bestands: Umgebaute Torfremise von ZRS Architekten Ingenieure, © ZRS Architekten Ingenieure
Die 9 Thesen: So wird zirkuläres Bauen zum Standard
Um jedoch die Kriterien und Anforderungen, die die Taxonomie mit sich bringt, umsetzen zu können, sind nun weitere, umfassende Schritte notwendig – auf sämtlichen Ebenen der (Bau-)Wirtschaft. Welche Schritte das sind, geht aus den folgenden Thesen hervor, die als Ergebnis der Publikation formuliert wurden. Sie verstehen sich als Anleitung und Handlungsempfehlung, um schnell ins Machen zu kommen.
1. Zirkuläres Bauen benötigt geschlossene Materialkreisläufe
Entwürfe von Bauprojekten müssen so angepasst werden, dass bei Herstellung, Betrieb, Umnutzung und Rückbau möglichst wenige Abfälle entstehen. Die einmal gewonnenen Ressourcen sollen dafür möglichst lange im Kreislauf gehalten und ihr Wert dadurch erhalten bleiben, zum Beispiel bei der Verwendung von ressourcenschonendem Beton.
Zirkuläres Bauen benötigt geschlossene Materialkreisläufe – wie zum Beispiel bei der Doppelbodenplatte Loop von Lindner. © Lindner Group
2. Zirkuläres Bauen beginnt mit der Weiternutzung des Bestands
Angesichts des enormen Gebäudebestands und der darin gebundenen grauen Energie scheint die Wertschätzung des Bestands die effektivste und am schnellsten wirksame Maßnahme auf dem Weg zur Klimaneutralität zu sein. Dabei gilt: Je mehr des Bestands erhalten und weiter- oder umgenutzt wird, desto geringer die CO2-Emissionen.
3. Zirkuläres Bauen benötigt Dokumentation
Ohne Datengrundlage, was in einem Gebäude verbaut wurde, lässt sich nur schwer die Rückbaufähigkeit bewerten und bewerkstelligen. Darum ist es essenziell, für alle Gebäude eine Dokumentation anzulegen. Der Gebäuderessourcenpass ist dabei ein wichtiges Tool. Er fungiert als Informationsgrundlage für den gesamten Lebenszyklus und gibt Auskunft über die verbauten Materialien, deren Kreislauffähigkeit und die CO2-Emissionen. Über die Dokumentation der verbauten Materialien und Bauteile lässt sich deren finanzieller Wert ermitteln.
Zirkuläres Bauen benötigt Dokumentation: Bestandsaufnahme von Concular in der Mercedes-Benz Arena Stuttgart. © Thomas Jones
4. Zirkuläres Bauen benötigt lokale Strukturen
Aktuell gibt es kaum lokale Infrastrukturen, um Material- und Stoffströme zu schließen. Hierfür braucht es umfassende, strukturelle Angebote wie zum Beispiel intelligente Transportlösungen, lokale Aufbereitungs- und Lagerungsplätze, die Vernetzung zwischen den beteiligten Unternehmen sowie Plattformen, die Nachfrage und Angebot zusammenbringen. Die lokale Infrastruktur schont Ressourcen, verkürzt Transportwege und spart CO2-Emissionen ein. Ein positiver Nebeneffekt: Sie stärkt auch die lokale Wirtschaft.
5. Zirkuläres Bauen muss in Gesetzen und Normung verankert werden
Normen und Gesetze sind bislang in vielerlei Hinsicht auf den Neubau ausgerichtet. Die Verwendung gebrauchter Materialien und Bauteile erfordert jedoch andere Rahmenbedingungen. Eine Erweiterung der bisherigen Normen und Gesetze für gebrauchte Materialien und Bauteile ist daher unerlässlich.
6. Zirkuläres Bauen benötigt eigene Förderprogramme
Die EU hat mit der Taxonomy for Sustainable Activities ein Instrument geschaffen, um die Nachhaltigkeit des wirtschaftlichen Handelns eines Unternehmens zu bewerten. Dagegen gibt es bislang kaum Förderprogramme zum zirkulären Bauen. Um den auf EU-Ebene formulierten Kriterien wie dem Übergang in eine Kreislaufwirtschaft, gerecht werden zu können, braucht es deshalb auch Programme, die die Forschung sowie die Umsetzung fördern.
Zirkuläres Bauen benötigt eigene Förderprogramme: Das Recyclinghaus in Hannover von Gundlach Bau und Immobilien und Cityförster war teurer als ein vergleichbarer Neubau. © Gundlach Bau und Immobilien
7. Zirkuläres Bauen benötigt zirkuläres Planen
Zirkulär zu bauen bedeutet auch zirkulär zu planen. Grundsätzlich müssen alle Bauvorhaben rückbaubar konstruiert werden. Während der Prozess bei der Verwendung neuer Materialien und Bauteile gleichbleibt, ändert er sich, wenn gebrauchte Materialien und Bauelemente wiederverwendet werden. Abhängig von ihrer Verfügbarkeit wird der Entwurf im Projektverlauf immer wieder angepasst. Der Weiternutzung des Bestands wiederum geht eine Analyse voraus, welche Teile des Bestands wie erhalten werden können. Auf Ebene der Zusammenarbeit ergeben sich neue Aufgabenfelder, die z.B. von einer zusätzlichen Disziplin (z.B. Bauteiljägerin) übernommen werden. Außerdem gewinnen Kooperationen mit neuen Planungspartnern an großer Bedeutung.
Zirkuläres Bauen benötigt zirkuläres Planen: Das Feuerwehrhaus Straubenhardt von Wulf Architekten wurde nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip gebaut. © Brigida González
8. Zirkuläres Bauen erfordert eine neue Form der Gewährleistung
Gebrauchte Bauteile haben in der Regel keine Gewährleistung beim Wiedereinbau. Die Weiter- und Wiederverwendung hängt daher davon ab, ob Bauherrinnen bereit sind, auf eine Gewährleistung zu verzichten. Doch diese Lösung ist nicht für alle Bauteile anwendbar. Denkbar wäre zum Beispiel eine Gewährleistung, die sich nicht auf das Produkt, sondern auf den Einbau bezieht. Eine weitere Möglichkeit wäre eine herstellergebundene Gewährleistung. Dabei nehmen die Hersteller das Produkt zurück, überarbeiten es, bieten eine neue Gewährleistung und führen es zurück in den Kreislauf.
9. Zirkuläres Bauen erfordert zirkuläres Wissen in der Breite
Es gibt bereits viel Wissen zum zirkulären Bauen. Um viele Akteure daran teilhaben zu lassen, muss dieses Wissen vernetzt und verfügbar gemacht werden. Dazu braucht es lokale Anlaufstellen wie NGOs oder Kompetenzzentren. Vor allem aber ist es wichtig, zirkuläres Bauen in (neue) Studiengänge zu integrieren und entsprechende Lehrstühle zu schaffen, Erwachsenenfortbildungen anzubieten, Forschungsprojekte zu betreiben und das Wissen in die Handwerksausbildung einzubinden. Es geht nicht darum, eine neue Disziplin zu schaffen. Zirkuläres Bauen kann nur dann skaliert werden, wenn das Wissen branchenübergreifend integriert und zu einem Standard gemacht wird.
Die Publikation „Zirkuläres Bauen in der Praxis. Ein Status quo“, © Jakob Schoof
Zirkuläres Bauen in der Praxis. Ein Status Quo
Die Publikation „Zirkuläres Bauen in der Praxis. Ein Status Quo“ untersucht, inwieweit zirkuläres Bauen bereits am Markt angekommen ist, welche Potenziale sich dadurch ergeben und wie diese besser ausgeschöpft werden können. Die 15 Experteninterviews zeigen dabei die unterschiedlichen Perspektiven aus Wirtschaft, Politik, Architektur, Wissenschaft und Bauherrinnen auf. Die Publikation wurde im Auftrag der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart von Nadine Funck, Raphael Dietz¸ Markus Weismann (alle ASP Architekten) sowie dem Nachhaltigkeitsberater Marcus Herget verfasst.
Zirkuläres Bauen in der Praxis
Verfasser/-innen:
Markus Weismann, asp Architekten
Marcus Herget, Marcus Herget Beratungsunternehmen
Nadine Funck, asp Architekten
Raphael Dietz, asp Architekten
Auftraggeberin: Wirtschaftsförderung Region Stuttgart
Die Publikation untersucht, inwieweit zirkuläres Bauen bereits am Markt angekommen ist, welche Potenziale sich dadurch ergeben und wie diese besser ausgeschöpft werden können. Die 15 Experteninterviews zeigen dabei die unterschiedlichen Perspektiven aus Wirtschaft, Politik, Architektur, Wissenschaft und Bauherrinnen auf.
Download: Zirkuläres Bauen in der Praxis