Zeit für Utopien? Alltagsszenarien von Plastique Fantastique
Foto: Marco Barotti
Viele Vorschriften während des Lockdowns waren vor kurzem noch undenkbar und eher der Science-Fiction denn der Realität zugeschrieben. Deswegen ist nun sicherlich auch der richtige Zeitpunkt für Überlegungen, die den gegenwärtigen Alltag ebenso wie die Zukunft betreffen. Das Berliner Studio Plastique Fantastique schlägt dazu eine konkrete Lösung vor, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammenbringt.
Gegenwart und Vergangenheit
Ausgangssperre und soziale Distanz, Mund-Nasenschutz und Face Shields: Die Sicherheitsvorschriften in Zeiten der Pandemie haben den Alltag grundlegend verändert. Die Realität fühlt sich allenthalben an wie eine Utopie, die in vielen Ländern noch Gegenwart ist.
Dass der utopische Gehalt dieser Gegenwart schon einmal erkundet wurde, zeigt der Rückblick auf Architekturvisionen der 60er-Jahre: der Griff nach den Sternen, die Angst vor der Apokalypse und die Sehnsucht nach einer besseren Zukunft waren damals Antrieb für Projekte wie die der österreichischen Architekten-Künstlergemeinschaft Haus-Rucker-Co. Der prototypische Umwelttransformer zur Schärfung der Wahrnehmung etwa, die Laurids Ortner, Günter Zamp Kelp und Klaus Pinter in einer Schwarz-Weiß-Fotografie von 1968 auf dem Kopf tragen, erinnern an Face Shields in Zeiten der Pandemie. In ihren Flitterwochen gaben Yoko Ono und John Lennon 1969 eine Pressekonferenz im Amsterdamer Hilton Hotel. Sie zelebrierten ihr Bed-In im Pyjama als Happening für den Weltfrieden.
Sphärische Eindrücke
Marco Canevacci and Yena Young von Plastique Fantastique haben an diese Szenarien angeknüpft und sie in die Gegenwart übertragen. Mit einer sphärischen Kugel als sicherem Tool für den Infektionsschutz – der iSphere – entwarfen sie ein ebenso ironisches wie nützliches Open-Source-Objekt für den alltäglichen Gebrauch. Die zwei transparenten Halbkugeln wölben sich wie eine individuelle Hemisphäre um den Kopf – so erkunden sie geschützt und sicher den öffentlichen Raum in Berlin. Utopie oder Wirklichkeit? In Zeiten der Pandemie rückt beides nahe zusammen. Mit zusätzlichen Gadgets wie Mikrofon- und Headset-Anschlussmöglichkeiten, einem Ventilator oder einem Schnorchel, kann die iSphere variiert und angepasst werden. Das dazu gelieferte Tutorial setzt 30 Minuten Bastelarbeit und 24 Euro Materialkosten in Anschlag.
Ausnahmesituationen erfordern Ausnahmeideen für den Alltag. Und im Alltagscheck sind manche Utopien aus den 60er-Jahren heute realistischer denn je. Sie sind vom Happening zur Wirklichkeit geworden. Oder sagen wir besser: sehr nahe dran an der Wirklichkeit.