04.06.2012 popp@detail.de

Zahas Kurven – ein Gespräch mit Johannes Hoffmann


DETAIL: 
Die Architektur von ZHA zeichnet sich seit jeher aus durch komplexe Geometrien, viele Schrägen und Kurven. Mit welchen Materialien arbeiten Sie am liebsten, um diese Formen in die Realität umzusetzen? Johannes Hoffmann: Natürlich eignet sich Sichtbeton, vor allem selbstverdichtender Beton, um eine pure Materialästhetik zu zeigen und diese Formensprache umzusetzen. Beispiele sind die ersten Bauten des Büros, die noch einer scheibenartigen Formensprache folgten, wie das Feuerwehrhaus in Weil am Rhein, aber auch das Phaeno in Wolfsburg (siehe DETAIL 1+2/2006 S. 06) oder das MAXXI (siehe DETAIL 1+2/2010 S. 55) in Rom. Es ist logisch, fließende Formen in einem Gussverfahren herzustellen.

Vitra, Foto: Frank Kaltenbach

Vitra, Foto: Frank Kaltenbach

Phaeno, Foto: Frank Kaltenbach

DETAIL: Stahlbeton ist jedoch schwer und benötigt aufgrund der Betonüberdeckung Mindestdicken von ca. 12 cm,  filigrane Bauteile sind nicht möglich.
Johannes Hoffmann: Das trifft heute nicht mehr in jedem Fall zu. Bei ZHA erforschen wir gemeinsam mit ausführenden Firmen unterschiedliche Materialien und arbeiten zunehmend mit faserbewehrem Beton. Die Glasfasern können nicht rosten und sind hauchdünn, eine Betonüberdeckung ist also nicht erforderlich. Meine Kollegen, die für die Planung des MAXXI-Museum verantwortlich waren, haben dort das Material innen an der Decke in Form von filigranen Schwertern aus Beton eingesetzt, in denen die Beleuchtung und Teile der Haustechnik integriert sind.
Artikel "Zaha Hadid´s MAXXI Museum in Rom"

MAXXI, Foto: Frank Kaltenbach

MAXXI, Foto: Frank Kaltenbach

MAXXI, Foto: Frank Kaltenbach

DETAIL: Beim Riverside-Museum in Glasgow, für dessen Planung Sie verantwortlich sind, besteht dagegen das Tragwerk aus einem Raumfachwerk aus Stahl.
Johannes Hoffmann: Das Museum liegt direkt am Hafenbecken und ist umgeben von Werften, dort hat der Stahlbau Tradition.  Die großen Spannweiten der gewellten Dachkonstruktion sind mit Stahl  einfacher zu bauen. Auch sind die Eigenlasten einer Stahlkonstruktion geringer als die von Stahlbeton. Übrigens besteht auch beim Phaeno die Dachkonstruktion der großen Ausstellungshalle aus Stahl.

Riverside Museum, Foto: ZHA

Riverside Museum, Foto: Hufton and Crow

DETAIL: Beim Phaeno ist das Stahlfachwerk jedoch als Deckenuntersicht sichtbar belassen. Weshalb haben Sie beim Riverside Museum eine monolithisch skulpturale Architektursprache angestrebt?
Johannes Hoffmann: Die große Geste des Baukörpers nimmt die parallel aneinander liegenden, unterschiedlich großen Giebel der bestehenden Werfthallen auf. Dieses Motiv haben wir verfremdet und dynamisiert, indem die Giebel abgerundet sind und der gesamte Baukörper sich im Grundriss in der Form eines S schlängelt, die mit einer einheitlichen Hülle aus Zinkblech bekleidet ist. Diese Dynamik und Einheitlichkeit des »stranggepressten« Baukörpers sollte als Negativform auch den Innenraum bestimmen. Deshalb sind Wände und Decken als homogene glatte Schale ausgebildet, die den neutralen Hintergrund für die Exponate bildet. Von innen ist der Eindruck ähnlich monolithisch wie bei beschichtetem Sichtbeton, die Haustechnik und Beleuchtung sind hinter der Vorsatzschale jedoch viel leichter zu integrieren. 
DETAIL: Wussten Sie schon zu Beginn der Planung aus welchem Material Sie die Innenschale bauen würden?
Johannes Hoffmann: Zunächst dachten wir an eine Art Spritzputz, der sich flexibel auf die unterschiedlichen Krümmungen anpassen lässt. Im Verlauf der Bearbeitung sind wir dann auf vorgefertigte Elemente aus faserbewehrtem Gips gestoßen. In England nennt man das Material Glasfiber Reincforced Gypsum GRG im Gegensatz zu Glasfibre reinforced Concrete GRC. Die Bewehrung mit Glasfasern ist seit langem bei Kunststoffen üblich. Glasfaserbewehrter Kunststoff GFK oder Glasfibre reinforced Plastic GRP, wie das Material hier in England genannt wird, muss in Innenräumen aber aufwändig mit Brandschutzmitteln behandelt werden. 
DETAIL: Was sind die Vorteile von GRG?
Johannes Hoffmann: Verwendet man als Matrix anstelle von Kunstharzen (GRC) Gips (GRG) oder Zement (GRC), erhält man ohne Zusätze ein nicht brennbares Material und die Oberflächen können ohne optische Unterschiede mit handelsüblichen Gipsplatten bzw. Sichtbeton oder Faserzementplatten kombiniert werden.
Das Material ist leicht, da es als sehr dünne Schalen eingesetzt werden kann. Beim Riverside Museum sind die Elemente in der Mitte nur 1cm stark, an den Stößen 6 cm. Außerdem kann man unterschiedlichste Krümmungen erzeugen.

Riverside Museum, Foto: McAteer

Riverside Museum, Foto: McAteer

Riverside Museum, Foto: Hufton and Crow

DETAIL: Wie kann man sich den Herstellungsprozess vorstellen?
Johannes Hoffmann: Zunächst wird die kontinuierliche Fläche von 11 000 m2 in handliche Einzelelemente aufgeteilt. Man baut eine Positivform aus Gips, von der eine Negativform in GFK abgeformt wird. In diese Negativform werden dann mehrere Schichten aus Gips und Glasfasermatten eingelegt. Die Oberflächen werden mit Schablonen aus Holztafeln abgezogen. Nach dem Trocknen erhält man des GRG-Element.

Mutterform, Foto: Hufton and Crow

GFK-Form, Foto: Hufton and Crow

Glasmatten, Foto: Hufton and Crow

GRG-Element, Foto: Hufton and Crow

GRG mit Verstärkung, Foto: Hufton and Crow

DETAIL: Ist dieser Prozess mit so viel Handarbeit nicht sehr aufwändig bei einer so großen Fläche?
Johannes Hoffmann: Nicht die gesamte Fläche ist aus handgefertigten gekrümmten Elementen. Wir haben den Aufwand genau durchkalkuliert und einen großen Anteil  ebener Flächen , die aus industriell gefertigten Gipskartonplatten bestehen. Wegen der Raumakustik sind zum erforderlichen Anteil perforierte Platten über die Flächen verteilt. Durch diese Mischung aus GRG und Gipskarton ist die Bekleidung wirtschaftlich.
DETAIL: Die Elemente müssen alle milimetergenau passen, wie haben Sie diese Präzision bei der Montage erreicht?
Johannes Hoffmann: Wir haben in unterschliedlichen Planungsphasen verschiedene Aufhängungen an MockUps überprüft. Das heißt wir haben in einer Halle große Muster-Elemente im Maßstab 1:1 aufgehängt um die Wirkung der Fugen, Details wie die Intergration der Leuchtröhren etc. zu überprüfen.

Mockup, Foto: Hufton and Crow

DETAIL: Die Innenbekleidung zieht sich von der Decke kontinuierlich über die gesamte Wand bis zum Boden. Haben Sie keine Bedenken, die dünnen Elemente im Sockelbereich beschädigt werden?
Johannes Hoffmann: Das Material hat sich als sehr gutmütig herausgestellt, kleinere Reparaturen sind selbst in großer Höhe fertig montierten Elementen einfach auszuführen. Selbst im Sockelbereich haben wir GRG-Paneele eingesetzt, da sie noch robuster sind als Gipskartonplatten, stark strapazierten Bereiche, wie die Sitzmulden für die Besucher sind dagegen aus GFK (GRP) hergestellt. Über alle diese unterschiedliche Materialien hinweg verläuft aber die gleiche Farbe, der optische Eindruck ist dadurch einheitlich. 
DETAIL: Das Gebäude ist ja wie ein Strangpressprofil konzipiert und setzt sich an den Stirnseiten kontinuierlich von innen nach außen bis zum Dachrand fort. Wie haben Sie in diesem Bereich das Problem des Witterungsschutzes der Innenschale gelöst?
Johannes Hoffmann: Für einen so stark bewitterten Außenbereich ist glasfaserverstärkter Gips natürlich nicht geeignet. Deshalb haben wir die Laibungen der Stirnverglasungen mit glasfaserverstärktem Kunststoff bekleidet. Das Material ist schlagfest und kann einfach verformt werden. An Deckenuntersichten und Fassadeninnenseiten ist das Material tief schwarz eingefärbt und auf Hochglanz poliert. Die Stirnseiten dagegen sind silbergrau, wie die Zinkdeckung der Außenhülle.
DETAIL: An der Planung der ROCA Gallery in London haben Ihre Kollegen von Zaha Hadid Architects ebenfalls glasfaserverstärkte Materialien eingesetzt. Es kam noch ein neues Material dazu : glasfaserverstärkter Beton.
Johannes Hoffmann: An der Planung von ROCA war ich selbst nicht beteiligt.
DETAIL: Können Sie uns dennoch etwas dazu sagen, welche Idee liegt dem Entwurf zugrunde?
Johannes Hoffmann: Die ROCA Gallery ist ein Showroom des bekannten Herstellers für Bäder und Armaturen. Zunächst musste ein Widerspruch gelöst werden. Die tiefen Räume im Erdgeschoss eines bestehenden Gebäudes sollten möglichst hell und weiß sein, gleichzeitig sollten sich die weißen Bademöbel vom Hintergrund abheben und hervorgehoben werden.
Das Entwurfsteam wollte das Fliesen des Wassers in Architektur übertragen.
Analog zum weiß schäumenden Wasser eines Bergbach schlängelt sich durch die Mitte des Raums eine glänzend weiße Decke, die den Besucher führt. Der fliesende Charakter wird durch kieselsteinartige Leuchten an Wand und Decke unterstrichen.  Seitlich sind dunkle felsenartige Grotten angelagert, die wirken , als seinen sie vom Wasser ausgewaschen. In diesen Grotten sind die weißen Exponate punktuell akzentuiert beleuchtet.

Foto: ROCA

Foto: ROCA

DETAIL: Wie wurde diese Idee umgesetzt?
Johannes Hoffmann: Fassade, Innenwände und Decken sind wie eine Gletscherhöhle als kontinuierliche organisch geformte Schale in den orthogonalen Bestandsbau eingestellt. Da es sich um eine sehr komplexes  Raumgefüge von immerhin 1100 m2 Grundfläche handelt, musste wie beim Riverside Museum die kontinuierliche Hülle in einzelne Elemente unterteilt werden. Diese sollten so groß wie möglich sein, um den Fugenanteil zu minimieren, sie dürfen aber auch nicht zu groß sein, um sie gut transportieren und montieren zu können. Wie beim Riverside Museum werden die Elementstöße an der Decke als Vertiefungen dazu genutzt, um die Leuchtröhren unsichtbar in die Schale zu integrieren.

Panels, Foto: ROCA

Panels, Foto: ROCA

DETAIL: Welche Materialien kamen zum Einsatz und weshalb?
Johannes Hoffmann: Gestaltprägend ist der Kontrast der Oberflächen zwischen der weiß glänzenden Mittelzone und den rauen dunkelgrauen Grotten: 
Die glänzend weiße Decke, die  den Besucher schlängelnd durch den fliesenden Raum führt, ist wie die Raumschale des Riverside Museum aus beschichtetem glasfaserverstärktem Gips (GRG). Die kieselsteinartigen Wand- und Deckenleuchten  und die skulptural geschwungenen Tische wurden aus unzerbrechlichem GFK (Glasfiber Reinforced Plastic GRP) laminiert und weiß lackiert. Die Böden sind in diesem Erschließungsbereich mit einem weiß glänzenden Kunstharzbelag beschichtet. Durch die einheitliche weiße Farbe wirken Boden, Möblierung, Leuchtkörper, Wand und Decke wie eine Einheit als Sinnbild für die Reinheit des Wassers.
Die weißen Keramikprodukte der Firma sind dagegen in den fünf dunkelgrauen Grotten ausgestellt, und kommen durch den Kontrast voll zur Geltung.  Die Oberfläche dieser zweifach gekrümmten dunklen Höhlen sieht aus wie Sichtbeton, es handelt sich jedoch um eine neuartige Konstruktion aus dunkel durchgefärbtem glasfaserbewehrtem Beton, die die ausführende Firma speziell entwickelt hat.

GFK, Foto: ROCA

GRG, Foto: ROCA

GFK, Foto: ROCA

DETAIL: Glasfaserbewehrter Beton wird zunehmend auch im Möbelbau eingesetzt, was aber ist das Innovative an den Schalen für die ROCA Gallery?
Johannes Hoffmann: Die genaue Zusammensetzung und der Produktionsablauf sind ein Betriebsgeheimnis der Firma.  Entscheidend ist aber eine 4 cm starke Aluminium-Wabenplatte, die unsichtbar zwischen den je 1 cm dicken Überdeckungen aus faserbewehrtem Beton eingelegt ist und bei geringstem Gewicht trotz großer Spannweiten und Belastungen beim Transport dünne Materialstärken ermöglicht. Immerhin hat das größte Deckenpaneel eine Abmessung von 2,30 m x 6,00 m bei einer Gesamtstärke von nur 6 cm!
Auch von den Glasfasern sieht man an der Oberfläche nichts, da die Äußere Deckschicht ohne Bewehrung ausgeführt ist. Bei leichten Kratzern stehen nicht gleich die Fasern heraus.
Die Gesamtfläche der Hülle aus Glasfaserbewehrtem Beton beträgt 2000m2 für Wand und Decke: Die 36 Fassadenelemente mit Abmessungen von bis zu 2x 4 m wiegen bis zu 800 kg und sind auf den Boden aufgestellt. Die 236 Wand-und Deckenelemente im Innenraum sind von der Decke des Baubestands abgehängt.

Betonform, Foto: ROCA

Beton, Foto: ROCA

Betonfuge, Foto: ROCA

Betonboden, Foto: ROCA

DETAIL: Auffallend ist auch das geschwungene Muster der Bodenfließen. Handelt es sich dabei um Standardware?
Johannes Hoffmann: Auch in den Grotten ist die Farbigkeit für Wände, Decken und Böden identisch. Nur eben nicht weiß, wie im zentralen Erschließungsbereich, sondern dunkelgrau. Die Böden sind zwar eben, aber das Fliesenmuster ist von strömendem Wasser inspiriert: Jede der 1209 Fliesen hat eine individuelle Geometrie mit geschwungenen Kanten, die in einem parametrischen Entwurfsprozess generiert wurde und ist nach mit Wasserstrahlschneidern aus rechteckigen  ROCAfliesen im Format 60 x 120 cm  ausgeschnitten. Der Fliesenboden ist also beides: Ausstellungsstück und Produkt des Bauherrn und gleichzeitig integraler Bestandteil der Architektur.
DETAIL: Vielen Dank für das Gespräch.
Das Gespräch führte Frank Kaltenbach

ROCA-Fliesenplan, Foto: ROCA

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Die Architektur von Zaha Hadid Architects (ZHA) steht synonym für organische Formen. Ein aktuelles Beispiel ist das Riverside Museum of Transportation in Glasgow, welches gerade den European Museum Academy Micheletti Award 2012 erhielt. Wie das Zusammenspiel zwischen computergenerierter Planung und einer meist manuellen Fertigung funktioniert und welche Materialien dabei Verwendung finden, klärt DETAIL in einem Gespräch mit Johannes Hoffmann (ZHA), Projektleiter bei Planung und Bau des Museums.
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