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Wir sollten die einfachen Dinge nicht vergessen
Foto: Andrea Avezzu, Courtesy of La Biennale di Venezia
Ihr Fokus für die 16. Internationale Architekturausstellung der Biennale di Venezia liegt auf dem Thema »freespace«. Worum geht es dabei?
Yvonne Farrell: Wir beide nutzen den Begriff »freespace« sehr häufig, wenn wir an unseren Projekten arbeiten. Wir fragen uns nach der architektonischen Komponente von jedem Projekt: Wie gehen wir auf Bedürfnisse ein und wo liegt das Potenzial, etwas Zusätzliches anzubieten, das ein Projekt nicht nur zu einem Gebäude, sondern zu einem Stück Architektur macht. Wir nennen diesen Aspekt »freespace«. Im Rahmen der Architektur-Biennale zeigt der Begriff, dass Architektur wirklich wichtig ist. Wir vergleichen diesen Zusammenhang oft mit der slow food Bewegung: Wir wissen, dass gute Zutaten eine gute Mahlzeit ausmachen. Ebenso glauben wir, dass Architektur das Leben bereichert. Doch Architektur braucht mehr Unterstützung / Nahrung von der Gesellschaft und von Bauherren. Sie muss beschützt werden, weil ihre Flamme sonst stumpf und immer kleiner wird. Wenn wir als Gesellschaft nicht vorsichtig sind, wird die Macht anderer Berufe wie dem des Projektmanagers oder des Immobilienentwicklers, die in gewisser Weise »rationaler« sind, die Balance der sozialen und der kulturellen Zutaten, um die sich die Architektur sorgen muss, aus dem Lot bringen. Letztlich hat Architektur eine große soziale Dimension. Das bedeutet auch, dass Nachhaltigkeit viel mehr ist als ein paar hinzugefügte Solarpaneele. Fragen der Kultur, des Kontexts und der Nachhaltigkeit sind viel tiefer in der Gesellschaft verwurzelt.
Wie nähern Sie sich der Idee des »freespace« in der Ausstellung an?
Shelley MacNamara: Wir sind keine professionellen Kuratorinnen, das müssen wir anerkennen. Und wer eingeladen wird, die Biennale in Venedig zu kuratieren, dem bleibt nur wenig Zeit. Aber die Herausforderung kommt zu einem guten Zeitpunkt, denn wir haben in den letzten Jahren zahlreiche Ausstellungen konzipiert. Dabei haben wir die Erfahrung gemacht, auf sehr direkte Weise über die Ausstellungsräume und das Ausstellungsthema nachzudenken. Ich nehme an, da wir unterrichten und jedes Jahr Ausstellungen mit Studentenprojekten auf die Beine stellen, hat sich diese Erfahrung mehr und mehr entwickelt – wir müssen sie nur nutzen. Das ganze ist recht instinktiv. Wir freuen uns sehr darüber, dass unsere Analyse der Ausstellungsgebäude in Venedig – des Arsenale und des Hauptpavillon in den Giardini, zu konkreten Ideen geführt hat, wie wir diese Orte einnehmen können. Das ist einerseits recht einfach, und auf der anderen Seite wird es eine große Wirkung auf die gesamte Ausstellung haben. Wir wollen die spezifischen Qualitäten der beiden unterschiedlichen Gebäude klar zum Vorschein bringen. Wir wollen, dass diese Orte noch stärker wirken als sie irgendjemand in Erinnerung hat. Diese ersten Gedanken haben auch unser inhaltliches Konzept für die Ausstellung beeinflusst. Es gab da diesen befreienden Moment, als entschieden, dass wir einfach mit den Orten arbeiten und sehen, was sie uns geben.
Sie nutzen den Begriff »freespace« auch als Metapher. Bedeutet das, dass Sie auch die politische Dimension von Architektur einbeziehen?
Shelley McNamara: Wir glauben, dass Architektur wertgeschätzt werden muss. Sie ist von zentraler Bedeutung für das Leben der Menschen. Sie kann das Leben verbessern, sie kann Menschen neue Gedanken geben. Sie hat die Kapazität, dass sich Menschen sicher und beschützt fühlen. Wir nennen das die »free gifts of nature« (»freien Geschenke der Natur«), weil wir glauben, dass es wichtig ist, sich an den Grundlagen der Architektur zu orientieren. Wer beispielsweise über Materialien nachdenkt, der sollte nicht zuerst an Beton, sondern an Wind, Licht und den Himmel denken. Wie nutzen wir diese Elemente als Materialien, als Ressourcen? Es kann sehr erfrischend sein, über die Anfänge nachzudenken. Wir sollten die einfachen Dinge nicht vergessen, die Architektur ausmachen.
Yvonne Farrell: Auch die kleinsten Dinge können Freude machen. Wir müssen unser Bewusstsein dahingehend stärken, wie wundervoll die Welt sein kann – wir müssen die »free gifts of nature« wieder entdecken. Wenn wir sie ignorieren, wird es sehr schwierig, bei der Planung eines Gebäudes an ihnen festzuhalten. Eine Eiche im Herbst ist eine wunderbare Erfahrung, und auch einen Freund auf einer Parkbank in der Sonne zu treffen, ist eine wunderbare Architektur-Erfahrung. Architektur umfasst das alles – die einfachsten Dinge und die komplexesten Planungen für neue Städte mit 10 Millionen Einwohnern. Es ist eine unglaubliche Disziplin, und je älter wir werden, desto eher realisieren wir, dass es ein wunderbarer Beruf ist, eine sehr komplexe und gleichzeitig verletzliche Profession. Der Ballon des Glücks, den Architektur zur Gesellschaft beitragen kann, wird von allen Seiten mit Pfeilen getroffen.
Aber letztlich sind sie optimistisch, was die Zukunft angeht?
Shelley McNamara: Ja, und viele Leute fragen uns, wie wir so optimistisch sein können.
Yvonne Farrell: Da gab es diesen Bischof in Südafrika, der gefragt wurde, wie er ständig so optimistisch sein könnte. Und seine Antwort war »Ich bin ein Opfer der Hoffnung.«
Shelley McNamara: Wissen Sie, Architektur macht einen auf verschiedenen Ebenen zum Optimisten. Sie ist ein sehr stressiger Beruf, doch auch sehr kreativ, deshalb braucht man unbedingt Hoffnung. Wir haben das vorher nie wirklich so formuliert, aber mit den Jahren haben wir die Hoffnung entdeckt.
Das Interview wurde von Sandra Hofmeister geführt.
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