Recycling in der Fassadenbranche
Wie kreislauffähig ist Flachglas?
Pilotprojekt für das Glasrecycling: Bei der Sanierung des Bürogebäudes Gate:01 Frösundavik in Stockholm ließ Saint-Gobain Glass rund 50 t alte Glasscheiben recyceln und verarbeitete sie anschließend zu neuem Fl© Lasse Olsson Photography/Saint-Gobain Glass
Bis zum Jahr 2045 soll Deutschland klimaneutral werden. Eine noch anspruchsvollere Transformation steht der Bauwirtschaft bevor: Ein wichtiges Ziel jedes Bauproduktdesigns wird künftig seine Kreislauffähigkeit sein, denn nur so lassen sich Ressourcen effektiv schützen. Im Auftrag des Bundesverbandes Flachglas haben nun das ift Rosenheim und das Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC ermittelt, was Stand der Technik beim Flachglas-Recycling ist und wie sich das Rezyklat weiterverwenden lässt.
Pro Jahr werden in Deutschland rund 1,67 Millionen Tonnen Flachglas für den Einsatz in Gebäudeanwendungen produziert. Im gleichen Zeitraum fallen rund 521.000 Tonnen Scherben an. Davon stammen etwa zwei Drittel aus Gebäudeabrissen (Post-Consumer), das restliche Drittel gelangt bereits aus der Weiterverarbeitung (Pre-Consumer) zum Recycler. Doch was geschieht mit den Scherben, wie verlaufen die Wertstoffströme?
Die Flachglasbranche hat ein Preisproblem
Nur 101.000 Tonnen (19 %) gelangen einem modernen Kreislaufmodell folgend vom Recycler wieder zurück zu den Flachglasherstellern. Ein Grund hierfür ist, dass die Qualitätsansprüche für die Produktion von Architekturglas besonders hoch sind. Schon geringste Verunreinigungen der Scherben würde einen Einsatz in modernen Floatglasproduktionen unmöglich machen. Die Anlagen reagieren extrem sensibel auf Materialveränderungen und müssen im Ernstfall neu kalibriert werden, was monatelange Produktionsausfälle verursachen kann.
Der zweite und wahrscheinlich ebenso wichtige Grund sind die seit Jahrzehnten geringen Floatglaspreise. Die Behälterglasindustrie kann schlicht und ergreifend höhere Preise für Scherben zahlen und ist bei der Qualität der Scherben gleichzeitig weniger anspruchsvoll. Darum gelangt der wesentlich größere Teil, nämlich 45% der Gesamtmenge, in die Produktion von Behälterglas, was ein Downcycling darstellt. Weitere 32% gelangen, ebenfalls ein Downcycling, in die Produktion von Glaswolle und weiterer mineralischer Baustoffe. Und immer noch landen 4% der Scherben auf der Deponie.
Die Materialströme von der Glasproduktion bis zum Recycling machen deutlich: Das Recycling von Flachglas funktioniert bereits sehr gut, allerdings finden qualitative Unterschiede zu wenig Berücksichtigung. Darum wird aus hochwertigen Architekturglas heute noch selten erneut Architekturglas. © Bundesverband Flachglas
Das größte Hindernis für eine Erhöhung des Scherbenanteils in der Flachglasindustrie ist jedoch, dass mit 521.000 Tonnen jährlich nicht genug Scherben für alle Industriezweige anfallen. Anders als Getränkeflaschen ist Flachglas kein schnell drehendes Wirtschaftsgut – es verbleibt für Jahrzehnte in Fenstern und Fassaden. Den Wettbewerb um Scherben kann die Flachglasindustrie aufgrund der bereits erwähnten geringen Basisglas-Preise nicht gewinnen. Möglichkeiten, dieses strukturelle Ungleichgewicht zu beheben, gäbe es einige - allen voran realistische Preise für Flachglas.
Wiederverwendung, Standardisierung und Digitalisierung
Eine weitere Möglichkeit wäre, das Glas aus Altgebäuden stärker und konsequenter nach Sorten zu „poolen“, sodass beispielsweise hochtransmissive Low-E oder Sonnenschutzverglasungen mit Softcoatings nicht als Wasserflasche enden. Und ein „Re-Use“, der Wiedergebrauch von Architekturglas, wäre dem Recycling sogar überlegen. Alte Fenster und Fassaden könnten künftig leichter zerlegbar sein, um Komponenten sauber zu trennen und echte Materialkreisläufe bei den Herstellern bzw. Verursachern zu schaffen. Die entnommenen Glasscheiben zu reinigen und erneut mit Funktionsbeschichtungen zu versehen würde weniger CO2 freisetzen als immer nur neu zu produzieren – und es ließen sich reichlich Rohstoffe sparen. Realistisch würde dies allerdings nur, wenn eine so aufbereitete Scheibe zumindest die gleiche Wertschöpfung erlaubte wie die Produktion einer neuen Scheibe und wenn entsprechende Preise auch von den Verbrauchern akzeptiert würden.
Die Zusammensetzung eines typischen Mehrfamilienhauses verdeutlicht, wie viele Rohstoffe hier gehoben werden könnten. Für eine klimaneutrale Bauwirtschaft müssen Bestandsgebäude als Materialbanken begriffen werden. © Matthias Heinrich / EPEA – Part of Drees & Sommer
Vereinfachte Re-Use-Prozesse ließen sich künftig auch über mehr Standardisierung erzielen: Angenommen, nicht jedes Gebäude würde individuell geplant, sondern seriell, modular und unter Berücksichtigung bestimmter Scheiben-Standardabmessungen, dann ließen sich viele Komponenten sehr viel leichter wiedereinsetzen. Allerdings gilt die Erkenntnis: Ohne Digitalisierung keine Standardisierung! Der Schlüssel zu mehr Standardisierung sind funktionierende und gut gefüllte digitale Materialdatenbanken wie Madaster oder ecolearn Infobase und eine funktionierende 2D- und 3D-Planung über digitale Planungstools wie BIM (Building Information Modelling). In der Automobilindustrie funktionieren diese Prozesse bereits seit Jahrzehnen – warum nicht auch in der Bauindustrie? Marc Everling
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