Weidenbäume aus Stahl von Peter Haimerl

Die fränkische Gemeinde Lichtenfels blickt auf eine lange Tradition der Korbflechterei zurück. Beim Wettbewerb für den Neubau des Archivs der Zukunft konnte sich Peter Haimerl 2018 mit einem unkonventionellen Konzept durchsetzen: Zwei haushohe Weiden aus Stahl nehmen Bezug zum Ausgangsmaterial der Korbflechter und schmücken den historischen Marktplatz zwischen Rathaus und Fachwerkhäusern als einzigartiger Blickfang. Das eigentliche Gebäude nimmt sich architektonisch vollkommen zurück. Der zur Brandwand des Nachbarhauses abgestufte Baukörper ist durch seine Ganzglasfassade weitgehend entmaterialisiert.

3D-Modellierung der Bäume

„Wir haben das Grundmotiv der Weide und der Korbflechterei in eine 3D-Struktur verwandelt und einen mathematischen Gen-Code entwickelt, der – ähnlich einer realen Weide – Strukturen wie Stämme, Äste und Zweige generiert“, erläutert der Architekt sein Vorgehen. Als räumliche Begrenzung hat er den Umriss des Walmdaches des abgerissenen Hauses eingegeben, das zuvor auf dem Grundstück stand. So ist das Volumen des Vorgängers immer noch spürbar, obwohl der Neubau wesentlich kleiner ist.

Digitale Visualisierung

Um mit diesem kontrovers aufgenommenen Konzept mit den Bürgern der Stadt einen Diskurs zur Zukunft des Marktplatzes anzustoßen, wurde ein fotorealistisches 3D-Modell erstellt, das in Lebensgröße in Virtual Reality lange vor Baubeginn erlebt werden konnte.

Erster Versuch: 3D-Druck mit Metall

Haimerl wollte nicht ein nostalgisches Kunstwerk schaffen, sondern – ganz dem Thema des Archivs der Zukunft verpflichtet – einen innovativen Impuls für die Zukunft von Lichtenfels setzen. Die abstrahierten Bäume sollten ursprünglich im 3D-Druckverfahren aus Metall gefertigt werden. Diese Fertigungsart ist auch eine Reminiszenz an die beiden Bauherrn, die Brüder Robert und Günther Hofmann, die 2017 das leerstehende Vorgängergebäude erwarben, um hier im Zentrum der Stadt das Archiv der Zukunft zu lancieren. Bereits seit den 1990er-Jahren hatten sie mit ihren in Lichtenfels ansässigen Firmen maßgeblich zur Entwicklung von Metall-3D-Druckern beigetragen. Haimerls 3D-Druck-Prototypen zeigten jedoch statische Schwachstellen an den Astvergabelungen und wurden ohne aufwändige Prüfverfahren von den Bauaufsichtsbehörden nicht zugelassen. Auch das Wire Arc Additive Manufacturing WAAM, bei dem das Bauteil aus einem Metalldraht in Schweißtechnik lagenweise aufgebaut wird, ist noch zu unerprobt.

Aufbau der Weide, © Stephan Wilm/wilmvisuals

Die Lösung: verschweißte Vierkantrohre

Die Lösung brachten Vierkantrohre, die mit Hilfe von Cobots verschweißt wurden. Das sind kleine und leichte Roboter, die in enger Kooperation mit Menschen Fertigungsabschnitte übernehmen. Um die Sicherheit der Facharbeiter zu garantieren, bewegen sie sich langsamer als Industrieroboter. Die Bäume wurden bei der Metallbaufirma Gföllner in Oberösterreich zur Probe aufgebaut. Die Beschichtung im Duplex Verfahren garantiert nicht nur den ganz besonderen Glanz, sondern durch die Kombination aus Feuerverzinken und Beschichten eine außerordentliche Langlebigkeit. Acht Wochen lang wurden die 307 Einzelteile angeliefert und montiert. Die zwei Stahl-Weiden sind 12,6 m hoch und wiegen zusammen 25 t. Die Gesamtlänge der Äste beträgt 1,6 km. Bei den finalen Computersimulationen musste auch untersucht werden, wie flexibel die einzelnen Äste sind, um zu verhindern, dass bei starkem Wind ihre Enden gegeneinanderschlagen.

Selbst die Wurzeln leuchten

Die goldenen Kunst-Weiden bestimmen nicht nur den Marktplatz, sondern auch die Innenräume. Ihre Äste durchdringen die Geschossdecken als Halter der Möblierung und stechen optisch durch die Kellerdecke, wo sie als Raumbeleuchtung im Vortragsraum an der Decke erscheinen. Hier wirkt der feine Metallglanz besonders edel, inmitten der groben Außenwänden aus naturbelassenen Bohrpfählen. Den Abschluss des Rundgangs durchs Archiv der Zukunft bildet ein Blick in die Vergangenheit – das Gewölbe des historischen Kriechkellers, der während der Bauarbeiten Stein für Stein abgetragen und wieder an Ort und Stelle vermauert wurde.

Mehr dazu in Detail 12.2023 und in unserer Datenbank Detail Inspiration. In zwei Edition Detail-Büchern dokumentieren wir weitere Projekte von Peter Haimerl Architektur – die Ortsmitte Blaibach und den Schedlberg.