Interview mit Franz-Josef Gerbens
Weg von der Vollkasko-Mentalität
Franz-Josef Gerbens, © Gundlach Bau und Immobilien
Franz-Josef Gerbens hat für die Gundlach Gruppe den Bau von Deutschlands erstem Recycling-Einfamilienhaus mit betreut. Im Interview berichtet er über den Planungsprozess, die Verhandlungen mit den Behörden und die Erkenntnisse, die sein Unternehmen daraus für andere Bauprojekte gezogen hat.
Das Gespräch ist Teil einer Interviewreihe, die in der Publikation „Zirkuläres Bauen in der Praxis“ der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart erschienen ist. In den kommenden Wochen veröffentlichen wir weitere Interviews aus der Reihe.
Sie haben das erste Recyclinghaus Deutschlands gebaut. Wie kam es dazu?
Wir hatten ein Restgrundstück, bei dem wir von unserem Geschäftsführer die Vorgabe und die Freiheit bekommen haben, etwas Besonderes zu bauen. Es war klar, dass wir das in unserem normalen Geschäft nicht unterbringen können. Deshalb habe ich es mit zu unserem unternehmensübergreifenden „Öko-Team“ genommen. Gemeinsam haben wir überlegt, was wir mit dem Grundstück machen wollen und uns dann auf ein Recycling-Haus geeinigt.
Das Recyclinghaus steht im hannoverschen Stadtteil Kronsberg. Ein großer Teil der wiederverwendeten Materialien stammt aus Beständen der Gundlach Gruppe. © Gundlach Bau und Immobilien
Gab es Vorbehalte, weil keine „neuen Materialien“ eingesetzt wurden?
Uns war wichtig, dass wir kein Secondhandhaus entstehen lassen. Das ist ein Haus, das sehr hochwertig ist. Auch die Ausstattung ist nicht im Stile eines Secondhandpullovers, sondern wirklich vom Feinsten. Insofern: Nein, es hat keine Vorbehalte gegeben, sondern schlichtweg Begeisterung. Obwohl das Grundstück inzwischen ziemlich eingewachsen ist, bleiben immer wieder Passantinnen stehen, klingeln und fragen, was es mit dem Haus auf sich hat.
Das Haus ist inzwischen schon ein paar Jahre in Nutzung. Wie ist das Feedback?
In der Nutzung gibt es überhaupt kein Problem. Es ist einfach ein schönes Haus.
Worin hat sich der Prozess für Sie als Bauherr von anderen Projekten unterschieden?
Das ist tatsächlich das Spannendste, noch spannender als das Ergebnis. Der Prozess war am Anfang sehr zögerlich. Wir sind lange auf der Stelle getreten, weil es zunächst unser Anspruch war, zu 100 % Recycling-Material zu verwenden. Das konnten wir leider nicht durchhalten. Es ging aber auch um Fragen wie die, ob es ein Holzbau werden soll oder ob wir Steine wiederverwenden. Wir haben eine Schlosserei im Unternehmen, deshalb kam auch die Frage ins Spiel, ob wir eine Stahlkonstruktion mit Ausfachungen aus gestapelten Pappkartons bauen.
Wie haben Sie den Bauprozess dann gestartet?
Allein unsere Regularien in Deutschland machen den Start schon sehr schwer. Man muss ja schon beim Stellen des Bauantrags wissen, wie das Gebäude am Ende aussehen soll. Gerade bei so einem Projekt ist das ziemlich schwierig. Wenn man aber keinen Bauantrag stellt, muss man erstmal einen Architekten finden, der das Ganze auf eigenes Risiko macht. Hinzukommt, dass die Planer und Fachplaner am Anfang sehr auf Sicherheit bedacht waren.
Wie haben Sie das Problem mit dem Bauantrag gelöst?
Per Bauanzeige. Man muss wissen, dass wir auf dem Kronsberg in Hannover gebaut haben. Für dieses Gebiet gibt es besondere bauliche Anforderungen aus der Zeit der Expo 2000. Eine der Anforderungen ist, dass man kein Aluminium verbauen darf. Nun hatten wir aber sehr hochwertige Aluminium-Fenster aus einem anderen Gebäude, das wir gerade umgebaut hatten. Da waren wir auf die Kooperation der Behörden angewiesen, denn rein formal hätten wir die Fenster nicht einbauen dürfen.
Hinter der Fassadenverkleidung verbirgt sich eine Dämmung aus recycelten Jutesäcken. © Gundlach Bau und Immobilien
Gab es auch Herausforderungen für die Architekten und Fachplaner?
Die größte Herausforderung war sicherlich, sich immer wieder an das Material anzupassen. Natürlich gab es eine Planung, die festlegte, in welche Richtung das Ganze geht, aber die musste immer wieder modifiziert werden.
Haben Sie ein Beispiel?
Die Fenster sind auch hier ein gutes Beispiel: Als wir endlich Fenster hatten, die wir auch wiederverwenden konnten, hatten diese ein anderes Maß als der Architekt geplant hatte. Also musste er seine Planung bis hin zu den Geschosshöhen wieder an die Fenster anpassen. Es war ein ständiger, iterativer Prozess: Es gibt eine Planung, aber wenn man Material und Bauteile bekommt, muss man die Planung wieder ändern. So ging das bis zum Schluss. Bis wenige Monate vor Fertigstellung wussten wir nicht, welchen Bodenbelag wir einbauen können, weil wir noch nichts Passendes gefunden hatten.
War das Projekt teurer oder günstiger als andere Projekte?
Es war absolut teurer. Ich vermute mal in der Größenordnung von 20 %. Allein aufgrund der logistischen Herausforderung und der Tatsache, dass wir für alles sehr viel länger gebraucht haben. Vermutlich wäre es sehr viel schneller und billiger gewesen, die Materialien neu zu bestellen. Wiederverwenden ist teurer als neu bauen. Erst recht, wenn man anfangen muss, alles aufzuarbeiten. Es ist kein Beitrag zum kostengünstigen Bauen.
Leimfrei gefügte Massivholzplatten bilden den größten Teil der Tragstruktur. An einigen Stellen wurden auch Ziegel wiederverwendet. © Gundlach Bau und Immobilien
Sehen Sie bei der Entwicklung von Baukosten irgendwann einen Kipppunkt, an dem die Kostenseite auch auf Materialebene interessant werden könnten?
Ja, absolut. Bei Bauteilen dauert das sicherlich noch länger und es kommt auch immer darauf an, wo sich das Bauteil befindet. Ein Bauteil, das gerade in Südbayern zur Verfügung steht, nach Hannover zu transportieren ist am Ende unter den Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit nicht mehr spannend. Im Bereich der Baustoffe sehe ich hingegen eine große Entwicklung, auch am Markt: Es gibt ja bereits das sogenannte Industrierecycling und auch einige Unternehmen, die sich in diesem Bereich weiterentwickeln. Seit dem Recyclinghaus versuchen wir regelmäßig Recyclingbeton einzusetzen. Das gelingt leider nicht immer, weil es häufig statische Bedenken gibt. Ich glaube aber, dass das an der mangelnden Fantasie der Fachplaner und Statiker liegt.
Sind in Ihrem Unternehmen weitere Projekte zum zirkulären Bauen geplant?
Zum einen suchen wir bei allen Projekten nach Baustoffen, die Recyclinganteile haben. Zum anderen achten wir bei der Konstruktion auf die Rückbaufähigkeit. Das ist noch etwas schwierig. Außerdem sind wir gerade dabei, einen Großteil unserer Wohnungsbauprojekte aus den 1950er- und 1960er-Jahren zu modernisieren.
Was sind für Sie die Key Learnings aus den bisherigen Prozessen?
Erst einmal: Da geht was. Grundsätzlich und nicht nur fürs Zirkuläre Bauen. Wir Bauleute haben ja eigentlich Spaß daran, Lösungen zu finden. Es wäre schön, wenn wir uns wieder mehr trauen und nicht nur Checklisten von Vorgaben abarbeiten würden. Ich lehne es inzwischen ab in Baubesprechungen zu sitzen, in denen Fachplaner erzählen, wo jetzt wieder was nicht geht. Wir können uns nach vorne entwickeln und das Risiko ist am Ende nicht so groß, wenn wir wirklich eine Risiko-Chancen-Abwägung machen.
Franz-Josef Gerbens ist Prokurist und Technischer Leiter des Gundlach-Wohnungsunternehmens sowie Ökologiebeauftragter für die Firmengruppe Gundlach in Hannover. Die Gruppe umfasst im Wesentlichen einen Bauträger, ein Bauunternehmen, ein Wohnungsunternehmen und einer Immobilienverwaltung. 2019 hat die Gundlach Gruppe in Hannover ein Recycling-Einfamilienhaus nach Plänen von Cityförster Architecture + Urbanism realisiert.
Das komplette Interview wurde zuerst veröffentlicht in der Publikation „Zirkuläres Bauen in der Praxis“.
Verfasser/-innen:
Markus Weismann, asp Architekten
Marcus Herget, Marcus Herget Beratungsunternehmen
Nadine Funck, asp Architekten
Raphael Dietz, asp Architekten
Auftraggeberin: Wirtschaftsförderung Region Stuttgart
Die Publikation untersucht, inwieweit zirkuläres Bauen bereits am Markt angekommen ist, welche Potenziale sich dadurch ergeben und wie diese besser ausgeschöpft werden können. Die 15 Experteninterviews zeigen dabei die unterschiedlichen Perspektiven aus Wirtschaft, Politik, Architektur, Wissenschaft und Bauherrinnen auf.
Download: Zirkuläres Bauen in der Praxis