23.11.2016 Jakob Schoof

Unter dem Pflaster liegt die Architektur: Nationalmuseum Stettin wird »World Building of the Year«

KWK Promes, Nationalmuseum Stettin - Dialogzentum Przelomy

Die Veranstalter des »World Architecture Festivals« verfolgen ein großes Ziel: In jedem Jahr wollen sie bei ihrem Architekturkongress das beste Gebäude der Welt küren – also gleichsam ein Pendant zum Pritzker-Preis für einzelne Gebäude mit dem Unterschied, dass für die Teilnahme eine aktive Bewerbung vonnöten ist und Gebühren anfallen.

Nachdem der Architekturkongress je dreimal in Barcelona und Singapur stattfand, machte er in diesem Jahr vom 16. bis 18. November in Berlin Station. Drei Tage lang stellten diejenigen Architekten, deren Bauten, Projekte und Innenraumschöpfungen in die engere Wahl gekommen waren, diese den internationalen Fachjurys vor. Als Gesamtsieger stand am Ende ein Gebäude fest, das im Stadtraum so gut wie nicht in Erscheinung tritt. Das Dialogzentum »Przelowny«, eine Zweigstelle des Nationalmuseums in Stettin, soll die jüngere Geschichte der früheren Hansestadt dokumentieren. Nach der Philharmonie von Estudio Barozzi Veiga, die 2015 mit dem Mies-van-der-Rohe-Preis der Europäischen Union ausgezeichnet wurde, ist es der zweite wesentliche Baustein der Umgestaltung des Solidarności Square am Nordrand der Stettiner Altstadt. Der Unterschied zwischen beiden könnte größer nicht sein: Während der vielgieblige Bau des Konzerthauses die Kubatur von Altstadthäusern zitiert (und sie mit seiner ätherischen Hülle aus weißem Metall und Glas gleichzeitig konterkariert), duckt sich der Museumsneubau von Robert Koniecznys Büro KWK Promes gleichsam unter dem Vorplatz weg. Lediglich die aufgewölbte Platzoberfläche – ein Eldorado für Skater – gibt zu erkennen, dass sich darunter überhaupt ein Gebäude befindet.

Selten hat sich ein preisgekröntes Bauwerk so vor seiner Umgebung versteckt. Die Jury unter Vorsitz von David Chipperfield urteilte über das Dialogzentrum denn auch: »Es ist ein Stück Topografie und gleichzeitig ein Museum.« Bis zum Zweiten Weltkrieg war der heutige Museumsstandort dicht mit Häusern bebaut, danach bildete er jahrzehntelang eine Zäsur in der Stadt, vom historischen Zentrum getrennt durch eine sechsspurige Stadtautobahn. Mit ihrem Neubau machen die Architekten diesen Platz nun auf vielfältige Weise neu nutzbar, ohne ihn im herkömmlichen Sinne zu bebauen.

Grobe Keile und filigranes Bambushandwerk
Auch ein Preis für das »World Interior of the Year« wurde beim World Architectural Festival vergeben. Er ging an das chinesische Büro An Design für ihren Entwurf »Black Cant System«, das Shop-in-Shop-System eines chinesischen Modeherstellers in Hangzhou bei Shanghai. Der Verkaufsraum liegt im Obergeschoss eines zweigeschossigen Bekleidungsgeschäfts und wird über eine Treppe erreicht, die vor dem Umbau von Stahlbetonwänden umgeben war. An deren Stelle setzten die Architekten ein keilförmiges Volumens aus geschweißtem Stahlblech. Außen ist die Raumskulptur mit schwarzem Marmorpulver beschichtet und ruht auf megalithartigen, konischen Stützen.

Der brutale Keil, den die Architekten zwischen den Verkaufstresen und die Betonunterzüge des Rohbaus getrieben haben, irritiert die Sehgewohnheiten. Ganz so dysfunktional wie es erscheinen mag, ist er jedoch nicht: Im Inneren des Volumens befinden sich neben der Treppe auch Lagerflächen und eine Anprobekabine. Die Jury, der unter anderem Clive Wilkinson und Jürgen Mayer H. Angehörten, bezeichnete den Ladenentwurf als »dystopisch, roh und futuristisch« und urteilte weiter: »Das Markenimage des Ladens und die Architektur harmonieren gut miteinander, und aus der Gestaltung lässt große Sensibilität gegenüber Oberflächen und Details erkennen.«

Ebenfalls nach China ging die Auszeichnung für das »Small Project of the Year«. Die Architekturfakultät der Chineses University of Hong Kong erhielt sie für einen Bambuspavillon, den sie 2015 für einen Kongress des örtlichen Bauindustrieverbandes CIC zum Thema »Zero Carbon Building« geplant hatte. Die Gitterschalenkonstruktion aus 473 gebogenen Bambusstäben spannt stützenfrei 37 Meter weit und erreicht am Scheitelpunkt die Höhe eines viergeschossigen Hauses. Unter dem mit einer Membran bespannten Dach fanden rund 200 Zuhörer Platz. Die Bambusstäbe wurden vor Ort in Form gebogen und von Hand mit Metalldraht untereinander verbunden.

An den ersten beiden Kongresstagen, als die besten Gebäude in rund 40 Einzelkategorien verliehen wurden, durften beim World Architecture Forum auch zwei deutsche Büros jubeln: Als bester Sakralbau ausgezeichnet wurde die Trinitiatiskirche in Leipzig von Schulz und Schulz Architekten (Leipzig). Den Preis für das beste Schulgebäude des Jahres erhielten Grüntuch Ernst Architekten (Berlin) für die Deutsche Schule in Madrid.
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