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Stoff der Avantgarde: Mies’ Bauten für die Seidenindustrie
Foto: Headroom Photography © Jörg Bakschas
Mies in Krefeld
Es beginnt mit einem Messestand: Das legendäre »Café Samt und Seide« in der Ausstellung »Die Mode der Dame« in den Messehallen am Funkturm in Berlin von 1927, das Mies van der Rohe und Lilly Reich für die »Verseidag«, die Vereinigten Seidenwebereien Krefeld, eigerichtet hatten, ist das erste gemeinsame Projekt zwischen Mies und den »Krefelder Freunden«. So nennt Mies jene Gruppe kunstsinniger Industrieller, denen er einige seiner wichtigsten Aufträge vor der Emigration in die USA verdankt. (1) Die Zusammenarbeit zwischen dem Architekten und den Protagonisten der deutschen Seidenfabrikation prägt jene Phase künstlerischer Entwicklung, in der Mies sich vom Baumeister quasi-konventioneller Villenarchitektur zu einem der radikalsten und dabei ästhetisch vielschichtigen Vorreiter der Moderne entwickelt. (2)
Im Sommer 1924 trifft der 38-jährige Architekt vermutlich zum ersten Mal mit Hermann Lange zusammen – Seidenfabrikant, Kunstsammler und umtriebiger Netzwerker. (3) Lange hat nicht nur gemeinsam mit Josef Esters 1920 die Verseidag gegründet, als Vertreter der deutschen Stoffindustrie ist er auch regelmäßiger Gast im Wirtschaftsministerium in Berlin. Gestalterszene und Seidenproduktion stehen Anfang der zwanziger Jahre vor ähnlichen Herausforderungen: Sie müssen sich gegen die überwältigende Konkurrenz aus Frankreich behaupten. Durch den Zusammenschluss unterschiedlicher Seidenfabriken im Rheinland und in Thüringen zur Verseidag erhofft man sich Synergieeffekte. Zwar gilt Krefeld längst als »Lyon Deutschlands«, doch der ultimative Schick ist »fabriqué en France«. Beim Design sieht es ähnlich aus: »Eigenständigkeit und Zeitgenossenschaft« fordert Hermann Muthesius als Gründungsmitglied des Deutschen Werkbunds, einer der wichtigsten Künstlervereinigungen seinerzeit, der auch Mies angehört. (4)
Synergien und ästhetische Bildung heißen tatsächlich die Schlüssel zum Erfolg, und künstlerische Avantgarde soll die deutsche Seidenindustrie an eine Spitzenposition im internationalen Wettbewerb katapultieren. Während die Führungskräfte in Krefeld in gemeinsam mit dem Deutschen Werkbund konzipierten Seminaren zu Farblehre und Komposition geschult werden, erregt die Verseidag 1927 auf der Berliner Modemesse und 1929 in Barcelona mit den beiden von Mies und Reich entworfenen Messeständen große Aufmerksamkeit. Deutsche Erzeugnisse sind plötzlich nicht nur nützlich und hochwertig, sondern auch en Vogue. Mit den Direktoren der Verseidag und ihrem Kreis pflegt Mies inzwischen eine enge Verbindung, von der drei maßgebliche Bauten des Architekten in Krefeld zeugen: Die Häuser Esters und Lange sowie das Färberei- und HE-Gebäude.
Die Häuser Lange und Esters (1928-30)
Die Häuser für Hermann Lange und Josef Esters an der noblen Wilhelmshofallee in Krefeld waren von Anfang an als Ensemble geplant. Die Grundstücke der beiden flachen, aus asymmetrisch angeordneten Quadern komponierten Bauten liegen direkt nebeneinander und werden durch eine gemeinsame Gartenmauer umschlossen. Mies plante die beiden Wohnhäuser im Anschluss an die 1927 fertig gestellte Villa Wolf in der polnisch-deutschen Stadt Gubin/Guben, die »Urvilla« der Moderne. (5) Während diese jedoch 1945 zerstört wurde, sind die Häuser Lange und Esters bis heute erhalten und als Museen der Öffentlichkeit zugänglich. Beide sind Stahlskelettbauten, die mit äußerster Sorgfalt mit Bockshorner Klinker verkleidet wurden – ein Bekenntnis des Architekten zu bewusst erfahrbarer Materialität, mit dem er sich von der Abstraktion reiner Putzbauten seiner Zeitgenossen abgrenzt. Historiker sehen darin den Einfluss von Mies’ damaliger Partnerin Lilly Reich, die ihn für Materialien sensibilisierte. (6) Im Inneren treffen weiß gestrichene Wände auf Travertinbrüstungen; Parkett, Fenster und Heizkörperverkleidungen sind aus Walnuss und Eiche, lediglich die Eingangstüren ziert edles Makassar-Ebenholz.
Beide Häuser sind klar in zwei Bereiche gegliedert: einen dreigeschossigen Dienstboten- und Servicetrakt in einem kurzen Ostflügel sowie einen Wohnbereich, der sich in unterschiedlich proportionierten Räumen über einen langen, zum Garten gestaffelten Gebäudeflügel erstreckt. Während die nahezu geschlossenen Straßenseiten lediglich vom dezenten Farbspiel der Backsteinflächen und der Komposition der Volumen leben, öffnen sie sich zu den Gärten mit großzügigen Fensterfronten, die sich komplett in den Boden versenken lassen. Große, teilweise überdachte Terrassen setzen die Raumfolge subtil in den Garten fort und enden in sauber in die Sockelmauern eingeschnittenen Treppen.
Haus Esters erstreckt sich auf einem nahezu L-förmigen Grundriss, auf dem Mies gekonnt seine Idee des »Prospekts« inszeniert: Der Weg durch das Haus – von der Straße zum Garten – mäandriert im ständigen Richtungswechsel durch die Räume. Bis man vom drei Stufen erhöht liegenden Eingang über das Foyer, die große Wohnhalle, das Speisezimmer sowie einen kleinen Vorraum endlich die Terrasse betritt, hat man fünf Räume durchschritten und neun mal die Richtung gewechselt. Auch der Weg durch die Bibliothek, den Salon der Dame oder das Kinderzimmer ist nicht weniger komplex. Das Obergeschoss mit Schlafzimmern und Bädern ist hingegen eher funktional um einen Mittelflur herum organisiert.
Auch das Haus für Hermann Lange entwarf Mies ganz auf die Bedürfnisse eines Kunstsammlers ausgerichtet: Auch hier entwickelte Mies – bis zu den Gesimsen für Langes geliebte Lehmbruck-Skulpturen – alle Details selbst. Tatsächlich ist das Haus Lange etwas tiefer als Esters’, die große Wohnhalle geht übergangslos in den Speiseraum über und nimmt im Verhältnis zu den anderen Wohn- oder Studierzimmern deutlich mehr Fläche ein.
Färberei und HE-Gebäude
Mies’ Tätigkeit für die »Krefelder Freunde« war umfangreich, jedoch wurden nicht alle seine Pläne realisiert: Zu den Papier gebliebenen Projekten gehören das Golf-Clubhaus, das Wohnhaus für Ulrich Lange und das große Verwaltungsgebäude für die Verseidag, an dem er von 1937-39 arbeitete. Bereits 1931 hatte er jedoch den Planungsauftrag für seine erste (und einzige) Fabrik erhalten: Eine Produktionshalle für die Färberei sowie die Lagerung von Futterstoffen für Herrenbekleidung (sogenanntes HE-Gebäude) mit angeschlossenem Verwaltungsbau. Das kostspielige Färben, das vormals extern vergeben worden war, konnte so in-house durchgeführt werden. Da an dem Ensemble jedoch auch die Bauabteilung der Verseidag mitplante, gilt es nicht als »lupenreiner« Mies und wurde nicht in die große Mies-Retrospektive des MoMA aufgenommen. (7)
So ist anzunehmen, dass das städtebauliche Layout der Anlage von der Bauabteilung vorgegeben wurde, während Mies die Gebäude entwarf. Bemerkenswert ist, dass die Planung früh in zwei Bauphasen gegliedert wurde: So sah die erste Bauphase die Errichtung einer Werkhalle mit vier Sheddächern sowie einen zweigeschossigen Bürobau vor. Eine spätere Aufstockung der Büros um zwei weitere Geschosse ist in den Plänen von 1931 bereits vorgesehen – ein Zeichen für den Optimismus, aber auch den Zeitdruck, unter dem das Gebäude entstand. Verbunden werden beide Bereiche über einen leicht zurückgesetzten Verbindungstrakt. Die Produktionshalle wurde später parallel zum Bürobau um weitere vier Achsen erweitert. Mies verwendete auch hier eine Stahlkonstruktion als Tragwerk, jedoch sind alle Wände verputzt. Lediglich das Treppenhaus, die Anlieferung und der Sockel wurden mit Bockshorner Klinker verkleidet. 1999 erhielt das Ensemble den Denkmalstatus.
Es beginnt mit einem Messestand: Das legendäre »Café Samt und Seide« in der Ausstellung »Die Mode der Dame« in den Messehallen am Funkturm in Berlin von 1927, das Mies van der Rohe und Lilly Reich für die »Verseidag«, die Vereinigten Seidenwebereien Krefeld, eigerichtet hatten, ist das erste gemeinsame Projekt zwischen Mies und den »Krefelder Freunden«. So nennt Mies jene Gruppe kunstsinniger Industrieller, denen er einige seiner wichtigsten Aufträge vor der Emigration in die USA verdankt. (1) Die Zusammenarbeit zwischen dem Architekten und den Protagonisten der deutschen Seidenfabrikation prägt jene Phase künstlerischer Entwicklung, in der Mies sich vom Baumeister quasi-konventioneller Villenarchitektur zu einem der radikalsten und dabei ästhetisch vielschichtigen Vorreiter der Moderne entwickelt. (2)
Im Sommer 1924 trifft der 38-jährige Architekt vermutlich zum ersten Mal mit Hermann Lange zusammen – Seidenfabrikant, Kunstsammler und umtriebiger Netzwerker. (3) Lange hat nicht nur gemeinsam mit Josef Esters 1920 die Verseidag gegründet, als Vertreter der deutschen Stoffindustrie ist er auch regelmäßiger Gast im Wirtschaftsministerium in Berlin. Gestalterszene und Seidenproduktion stehen Anfang der zwanziger Jahre vor ähnlichen Herausforderungen: Sie müssen sich gegen die überwältigende Konkurrenz aus Frankreich behaupten. Durch den Zusammenschluss unterschiedlicher Seidenfabriken im Rheinland und in Thüringen zur Verseidag erhofft man sich Synergieeffekte. Zwar gilt Krefeld längst als »Lyon Deutschlands«, doch der ultimative Schick ist »fabriqué en France«. Beim Design sieht es ähnlich aus: »Eigenständigkeit und Zeitgenossenschaft« fordert Hermann Muthesius als Gründungsmitglied des Deutschen Werkbunds, einer der wichtigsten Künstlervereinigungen seinerzeit, der auch Mies angehört. (4)
Synergien und ästhetische Bildung heißen tatsächlich die Schlüssel zum Erfolg, und künstlerische Avantgarde soll die deutsche Seidenindustrie an eine Spitzenposition im internationalen Wettbewerb katapultieren. Während die Führungskräfte in Krefeld in gemeinsam mit dem Deutschen Werkbund konzipierten Seminaren zu Farblehre und Komposition geschult werden, erregt die Verseidag 1927 auf der Berliner Modemesse und 1929 in Barcelona mit den beiden von Mies und Reich entworfenen Messeständen große Aufmerksamkeit. Deutsche Erzeugnisse sind plötzlich nicht nur nützlich und hochwertig, sondern auch en Vogue. Mit den Direktoren der Verseidag und ihrem Kreis pflegt Mies inzwischen eine enge Verbindung, von der drei maßgebliche Bauten des Architekten in Krefeld zeugen: Die Häuser Esters und Lange sowie das Färberei- und HE-Gebäude.
Die Häuser Lange und Esters (1928-30)
Die Häuser für Hermann Lange und Josef Esters an der noblen Wilhelmshofallee in Krefeld waren von Anfang an als Ensemble geplant. Die Grundstücke der beiden flachen, aus asymmetrisch angeordneten Quadern komponierten Bauten liegen direkt nebeneinander und werden durch eine gemeinsame Gartenmauer umschlossen. Mies plante die beiden Wohnhäuser im Anschluss an die 1927 fertig gestellte Villa Wolf in der polnisch-deutschen Stadt Gubin/Guben, die »Urvilla« der Moderne. (5) Während diese jedoch 1945 zerstört wurde, sind die Häuser Lange und Esters bis heute erhalten und als Museen der Öffentlichkeit zugänglich. Beide sind Stahlskelettbauten, die mit äußerster Sorgfalt mit Bockshorner Klinker verkleidet wurden – ein Bekenntnis des Architekten zu bewusst erfahrbarer Materialität, mit dem er sich von der Abstraktion reiner Putzbauten seiner Zeitgenossen abgrenzt. Historiker sehen darin den Einfluss von Mies’ damaliger Partnerin Lilly Reich, die ihn für Materialien sensibilisierte. (6) Im Inneren treffen weiß gestrichene Wände auf Travertinbrüstungen; Parkett, Fenster und Heizkörperverkleidungen sind aus Walnuss und Eiche, lediglich die Eingangstüren ziert edles Makassar-Ebenholz.
Beide Häuser sind klar in zwei Bereiche gegliedert: einen dreigeschossigen Dienstboten- und Servicetrakt in einem kurzen Ostflügel sowie einen Wohnbereich, der sich in unterschiedlich proportionierten Räumen über einen langen, zum Garten gestaffelten Gebäudeflügel erstreckt. Während die nahezu geschlossenen Straßenseiten lediglich vom dezenten Farbspiel der Backsteinflächen und der Komposition der Volumen leben, öffnen sie sich zu den Gärten mit großzügigen Fensterfronten, die sich komplett in den Boden versenken lassen. Große, teilweise überdachte Terrassen setzen die Raumfolge subtil in den Garten fort und enden in sauber in die Sockelmauern eingeschnittenen Treppen.
Haus Esters erstreckt sich auf einem nahezu L-förmigen Grundriss, auf dem Mies gekonnt seine Idee des »Prospekts« inszeniert: Der Weg durch das Haus – von der Straße zum Garten – mäandriert im ständigen Richtungswechsel durch die Räume. Bis man vom drei Stufen erhöht liegenden Eingang über das Foyer, die große Wohnhalle, das Speisezimmer sowie einen kleinen Vorraum endlich die Terrasse betritt, hat man fünf Räume durchschritten und neun mal die Richtung gewechselt. Auch der Weg durch die Bibliothek, den Salon der Dame oder das Kinderzimmer ist nicht weniger komplex. Das Obergeschoss mit Schlafzimmern und Bädern ist hingegen eher funktional um einen Mittelflur herum organisiert.
Auch das Haus für Hermann Lange entwarf Mies ganz auf die Bedürfnisse eines Kunstsammlers ausgerichtet: Auch hier entwickelte Mies – bis zu den Gesimsen für Langes geliebte Lehmbruck-Skulpturen – alle Details selbst. Tatsächlich ist das Haus Lange etwas tiefer als Esters’, die große Wohnhalle geht übergangslos in den Speiseraum über und nimmt im Verhältnis zu den anderen Wohn- oder Studierzimmern deutlich mehr Fläche ein.
Färberei und HE-Gebäude
Mies’ Tätigkeit für die »Krefelder Freunde« war umfangreich, jedoch wurden nicht alle seine Pläne realisiert: Zu den Papier gebliebenen Projekten gehören das Golf-Clubhaus, das Wohnhaus für Ulrich Lange und das große Verwaltungsgebäude für die Verseidag, an dem er von 1937-39 arbeitete. Bereits 1931 hatte er jedoch den Planungsauftrag für seine erste (und einzige) Fabrik erhalten: Eine Produktionshalle für die Färberei sowie die Lagerung von Futterstoffen für Herrenbekleidung (sogenanntes HE-Gebäude) mit angeschlossenem Verwaltungsbau. Das kostspielige Färben, das vormals extern vergeben worden war, konnte so in-house durchgeführt werden. Da an dem Ensemble jedoch auch die Bauabteilung der Verseidag mitplante, gilt es nicht als »lupenreiner« Mies und wurde nicht in die große Mies-Retrospektive des MoMA aufgenommen. (7)
So ist anzunehmen, dass das städtebauliche Layout der Anlage von der Bauabteilung vorgegeben wurde, während Mies die Gebäude entwarf. Bemerkenswert ist, dass die Planung früh in zwei Bauphasen gegliedert wurde: So sah die erste Bauphase die Errichtung einer Werkhalle mit vier Sheddächern sowie einen zweigeschossigen Bürobau vor. Eine spätere Aufstockung der Büros um zwei weitere Geschosse ist in den Plänen von 1931 bereits vorgesehen – ein Zeichen für den Optimismus, aber auch den Zeitdruck, unter dem das Gebäude entstand. Verbunden werden beide Bereiche über einen leicht zurückgesetzten Verbindungstrakt. Die Produktionshalle wurde später parallel zum Bürobau um weitere vier Achsen erweitert. Mies verwendete auch hier eine Stahlkonstruktion als Tragwerk, jedoch sind alle Wände verputzt. Lediglich das Treppenhaus, die Anlieferung und der Sockel wurden mit Bockshorner Klinker verkleidet. 1999 erhielt das Ensemble den Denkmalstatus.
(1) Lange, Christiane: »Mies van der Rohe. Architecture for the silk industry«, Berlin 201, S.7
(2) Schulze, Franz: »Mies van der Rohe. Leben und Werk«, Berlin 1986, S. 151f. und Lange, a.a.O., S.14
(3) Lange, S.13
(4) Lange, S.33
(5) Schulze, a.a.O., S.151, Lange, a.a.O., S.105
(6) Schulze a.a.O., S. 151
(7) Terence Riley, Barry Bergdoll: »Mies in Berlin«, New York 2001
(2) Schulze, Franz: »Mies van der Rohe. Leben und Werk«, Berlin 1986, S. 151f. und Lange, a.a.O., S.14
(3) Lange, S.13
(4) Lange, S.33
(5) Schulze, a.a.O., S.151, Lange, a.a.O., S.105
(6) Schulze a.a.O., S. 151
(7) Terence Riley, Barry Bergdoll: »Mies in Berlin«, New York 2001