19.03.2013 Cordula Vielhauer

Sterne über der Südsee: Humboldt Lab Dahlem in Berlin

Während in Berlins Mitte beim Bau des Humboldtforums augenscheinlich alles nach Plan läuft, leiten die Staatlichen Museen im Südwesten der Stadt mit der Eröffnung des Humboldt Lab Dahlem ihren Beitrag zur Auseinandersetzung mit dem bevorstehenden Umzug ein. Schließlich werden die ethnologische  und die Sammlung für asiatische Kunst nach Fertigstellung der gleichnamigen Schlossrekonstruktion dorthin ziehen. Bis dahin sollen in einem offenen, experimentellen Prozess – einer so genannten „Probebühne“ – unterschiedliche Ausstellungskonzepte für die Sammlungen erprobt, diskutiert und erforscht werden.

Laufzeit „Probebühne 1“: 14. März – 12. Mai 2013, Di-Fr 10-18 Uhr, Sa + So 11-18 Uhr
Ort: Museen Dahlem, Lansstraße 8, 14195 Berlin

"Springer" von Theo Eshetu in der Südsee-Abteilung, Foto: Detail

Finanziell unterstützt von der Kulturstiftung des Bundes wurden Kuratoren, Künstler und Architekten vom Museum beauftragt, verschiedene Präsentationskonzepte für Sammlungsausschnitte oder einzelne Exponate zu entwickeln. Am 12. März 2013 stellten der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Herrmann Parzinger, sowie die weiteren beteiligten Institutionen mit der aktuellen Probebühne den ersten Abschnitt dieses „Work in Progress“ vor. Den Rahmen bildete das von Fritz Bornemann in den sechziger Jahren entworfene Ethnologische Museum in der Lansstraße im Museumsquartier Berlin-Dahlem, für das allerdings bisher kein angemessenes Nachnutzungskonzept vorliegt, die Staatlichen Museen wollen es als Lager nutzen.

links: Ethnologisches Museum, Foto: Detail; oben: "Springer" von Martina Stoye, Foto: Jens Ziehe

Zu den Architekten, die in diesem Rahmen zur Erforschung zeitgenössischer Ausstellungspraxis beitragen, gehören das Berliner Kollektiv raumlabor und das Zürcher Architekturbüro Holzer Kobler. Beide spielen auf humorvolle Art mit dem Museum als Kontext, der unsere Wahrnehmung konditioniert und fokussiert. So installierten Holzer Kobler gemeinsam mit der Künstlerin Karin Sander im Eingangsbereich des Museums eine Reihe von Vitrinen, in denen die Besucher ihre Mäntel und Jacken aufhängen können. Die Garderobe in der Vitrine? Genau: Damit bringen die Museumsbesucher nämlich ihre eigene Identität ins Spiel. Gleichzeitig geben die Vitrinen Auskunft über die An- und Abwesenheit der Besucher: Volle Vitrinen = viele Besucher, leere Vitrinen = wenige/keine Besucher. Dabei fungiert dieses „Display of Identities“, wie die Autoren es nennen, als „Schleuse zwischen außen und innen und stellt dabei die Frage nach der Wirkungsweise von Museumssammlungen.“ Gerade im Ethnologischen Museum, in dem so viele alltägliche Gegenstände und Kleidungsstücke aus anderen Kulturen und Zeiten (in Vitrinen) gezeigt werden, schafft dieser Ansatz eine schöne Geste der Reflektion über unseren Umgang mit und unser Verständnis von fremden Kulturen. Und unserer eigenen.

„Display of Identities“ von Karin Sander und Holzer Kobler, Foto: Andrea Rossetti

Das Berliner Architektenkollektiv raumlabor verfolgt im Rahmen der Installation „Musik sehen“ einen anderen Ansatz: Es hat für acht Filme, die der Künstler Daniel Kötter aus dem Video-Material der musikethnologischen Sammlung zusammengestellt hat, acht unterschiedliche Szenarien geschaffen. Zu sehen sind vorwiegend Interieurs, in denen die Dokumentarfilme auf Fernsehern gezeigt werden. Während die Dokumentationen fast alle in Afrika gedreht wurden, lassen sich die Interieurs einem mitteleuropäischen Umfeld zuordnen. So sieht man beispielsweise den Innenraum einer Schule, ein Film- und Tonstudio, ein Schlafzimmer oder ein Wohnzimmer.

"Musik sehen" von Daniel Kötter und raumlabor, Foto: Jens Ziehe

Diese Inszenierungen sollen uns sensibilisieren für die unterschiedlichen Kontexte, in denen wir uns der Betrachtung von Film widmen: Nehmen wir einen Film „anders“ wahr, wenn wir ihn im Klassenzimmer anschauen, als wenn wir ihn bei Chips und Cola auf dem Sofa im Wohnzimmer konsumieren? Auch die Perspektive des „Machens“ der Dokumentationen wird mit der Installation des Studios ins Spiel gebracht. Die gewählten Situationen sind dabei allerdings so liebevoll und professionell gestaltet und in Szene gesetzt, dass man sie zunächst selbst für die eigentlichen Exponate halten könnte. Womöglich wird dieser Eindruck verstärkt durch die Tatsache, dass wir uns hier in einem völkerkundlichen Museum befinden, dass ganz ähnliche Alltagssituationen – wenn auch aus anderen Kulturen – ausstellt. Das museale Framing ist eben sehr mächtig.

"Musik sehen" von Daniel Kötter und raumlabor, Foto: Detail

Unter dem Titel „lichtklangphongramm“ wird das Thema „Musik sehen“ von einer weiteren Künstlergruppe interpretiert: Gemeinsam mit verfremdeten Wachszylinderphonographen und Bildprojektoren treten wir eine Zeitreise in vergangene Techniken der Tonaufzeichnung an. Leibniz’ utopischer Spielerei „Gedankenscherz“ hat sich der Künstler Andreas Pinkow angenommen: In seiner interaktiven Medien-Installation lässt er Bildwelten aus der Kunstkammer des Berliner Schlosses aufleben, die sich intuitiv mit dem eigenen Körper steuern lassen. „Springer“ nennen sich punktuelle Eingriffe an einzelnen Exponaten, die im Haus verstreut anzutreffen sind: So geht bei Theo Eshetu dank einer Discokugel ein Sternenhimmel über der beliebten Südsee-Abteilung des Museums auf. Und die Kunsthistorikerin Martina Stoye lässt den liturgischen Kontext eines Heiligenbildes aus Indien wieder lebendig werden, indem sie darum herum einen Altar mit sämtlichen Beigaben aufbaut, ja sogar einen indischen Priester in die Präsentation bestellt.

"lichtklangphonogramm" von Melissa Cruz Garcia, Aleksander Kolkowski, Matteo Marangoni und Anne Wellmer, Foto: Jens Ziehe

So treffen hier ganz unterschiedliche Positionen kuratorischer Praxis auf einander: Während bei Stoye nicht mehr ein einzelnes Objekt – eine künstlerisch gestaltete Heiligenfigur als Stellvertreterin für das religiöse Ritual –, sondern mit ihm auch gleich Altar, Beigaben und das Ritual selbst inklusive Priester „musealisiert" wird, verzichtet Pinkow bei seiner Medieninstallation zum "Gedankenscherz" komplett auf jegliches Objekt zur Vergegenständlichung einer ästhetischen Auseinandersetzung: Die Leinwand, auf der die intuitiv gesteuerten, vorprogrammierten Bildwelten erscheinen, wird zur projezierten Netzhaut. Erforschung und Diskussion der Ausstellungspraxis im Museum des 21. Jahrhunderts bewegen sich also beim Humboldt Lab Dahlem in einem Spannungsfeld zwischen komplexer Sinnlichkeit und ästhetischem Intellektualismus. Grund genug, diesen Prozess weiter aufmerksam zu verfolgen. 
(Cordula Vielhauer)
Weitere Informationen:
www.kulturstiftung-des-bundes.de
www.humboldt-forum.de

"Gedankenscherz": Installation von Andreas Pinkow, Foto: Jens Ziehe

"Museum der Gefäße" von Nicola Lepp, Foto: Jens Ziehe

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