Interview mit Shigeru Ban
Soziales Engagement
Shigeru Ban bei einem Besuch in Lwiw im Juni 2023. © Roman Baluk
Shigeru Ban leistet seit den 1990er-Jahren mit dem Bau von Notunterkünften humanitäre Hilfe in Katastrophengebieten. Im dritten Teil des Gesprächs zwischen Shigeru Ban und Jan Geipel geht es um die von ihm gegründete, weltweit tätige NGO, die auch junge Architektinnen und Architekten in ihren Bann zieht.
1995 haben Sie das Voluntary Architects' Network (VAN) gegründet. Was war der Ausgangspunkt für diese Nichtregierungsorganisation?
Der Anlass war das, was 1994 in Ruanda geschah: Ein Völkermord, bei dem Menschen aus der Volksgruppe der Tutsi von Hutu-Milizen getötet wurden. In diesem Zusammenhang wurden über zwei Millionen Menschen zu Flüchtlingen. Ich sah Fotos von UN-Flüchtlingsunterkünften, in denen die Menschen froren und kaum mehr als eine Decke hatten, um sich vor den Wetterbedingungen zu schützen. Das brachte mich zum Nachdenken darüber, was ich als Architekt beitragen könnte. Ich traf mich mit dem Verantwortlichen für den Bau von UN-Unterkünften. Er zeigte großes Interesse an meinen Vorschlägen und stellte mich als Berater ein. So begann ich 1994 am Entwurf von Flüchtlingsunterkünften zu arbeiten. Und dann, ein Jahr später, am 17. Januar, ereignete sich das verheerende Erdbeben von Kobe, hier in Japan.
Krankenhausentwurf für Lwiw, © Shigeru Ban Architects
Warum haben Sie Papier als Baumaterial für Ihre neuartige Unterkunft gewählt?
Ursprünglich waren die UN-Unterkünfte damals aus einheimischen Bäumen gebaut worden. Die UNO stellte darüber hinaus nur Plastikplanen zur Verfügung. Mit der Zeit entwaldete man damit die entsprechenden Gebiete. Um dem ein Ende zu setzen, griff die UNO auf Aluminiumrohre als Konstruktionsmaterial zurück. Aluminium hat ein geringes Gewicht, was den Transport erleichtert, aber es ist als Rohstoff sehr teuer und wertvoll. Die Flüchtlinge begannen also, die Aluminiumrohre zu verkaufen, um Geld zu verdienen, und fällten weiterhin Bäume, um Unterkünfte zu bauen. Deshalb schlug ich vor, stattdessen Unterstände aus Papier zu entwerfen. Sie wurden in Kigali, der Hauptstadt Ruandas, hergestellt.
Wie war das in der Ukraine? Hat das Land Sie um Hilfe gebeten?
Es gab keine Einladung. Ich reiste auf eigene Faust dorthin, nachdem ich in Polen an Partitionen für die Unterbringung von ukrainischen Flüchtlingen in Sammelunterkünften gearbeitet hatte. Ein befreundeter polnischer Architekt stellte den Kontakt zum Bürgermeister von Lwiw her. In Bezug auf die Ukraine denken und planen wir weit voraus. Sobald der Krieg vorbei ist, können wir davon ausgehen, dass die Bauunternehmen sehr beschäftigt sein werden. Gleichzeitig werden die Baumaterialien wahrscheinlich sehr teuer sein. Deshalb habe ich Pläne für ein erschwingliches Wohnsystem vorgeschlagen, das ohne Bauunternehmer gebaut werden kann. Ein Prototyp wurde bereits in Zusammenarbeit mit polnischen Studenten erstellt. Darüber hinaus arbeite ich mit lokalen Architekten und der Stadt Lwiw zusammen, um ein Krankenhaus aus Holz zu bauen. Es gibt so viele Dinge, die Architekten dort tun können, um die Situation zu verbessern.
Nach einer Katastrophe lässt sich mit dem von Ban entworfenen modularen Trennwandsystem aus Pappröhren in Sammelunterkünften wie hier in der Türkei mehr Privatsphäre schaffen. © Shigeru Ban Architects
Was würden Sie insbesondere der jüngeren Generation von Architekten raten?
Das Wichtigste ist das Reisen. Überallhin auf der Welt. Wenn man Architekt werden will, muss man reisen, um gute Architektur und verschiedene Landschaften zu sehen. In der realen Welt, nicht auf dem Bildschirm eines Handys! Reisen ist die wichtigste Form der Bildung für junge Menschen. In letzter Zeit ist die Zahl der jungen Japaner, die im Ausland studieren, zurückgegangen. Sie fühlen sich in Japan wohl und bleiben hier, weil es sicher ist. Als ich in den USA studierte, bildeten Japaner die größte Gruppe unter den asiatischen Studenten. Aber jetzt entspricht ihre Zahl nur noch 1/20 der chinesischen und vielleicht 1/5 der koreanischen Studenten.
© Shigeru Ban Architects
© Shigeru Ban Architects
Wie locken Sie die Studenten aus ihrer Komfortzone heraus?
Ich lade meine Studenten in die Katastrophengebiete ein. Sonst würden sie nur nach Taiwan, Korea oder Hawaii fahren. Das ist so langweilig. Gleichzeitig ist es sehr interessant zu sehen, dass Frauen anscheinend die mutigeren sind, bereit, ihre Komfortzone zu verlassen. Wenn ich Katastrophengebiete besuche oder dort mit NROs arbeite, ist mehr als die Hälfte der jungen japanischen Architektenschaft dort weiblich.
Der erste Teil des Interviews mit Shigeru Ban „Der Entwurf als Problemlöser“ ist in Detail 12.2023 und in unserer Datenbank Detail Inspiration veröffentlicht. Den zweiten Teil finden Sie hier.