Architekturbiennale 2023 – die Länderpavillons
Selbstreflexion, Ablenkungsmanöver und reale Science-Fiction
Deutscher Pavillon, © Frank Kaltenbach
Ja, es lohnt sich nach Venedig zu fahren und ja, es gibt dort auch Architektur zu sehen. Dieses Jahr lohnt sich der Besuch aber vor allem, um sich der Vielfältigkeit und Widersprüchlichkeit unserer komplexen Welt auf engstem Raum bewusst zu werden. Insofern ist Lesley Lokkos Titel „The Laboratory of the Future“ von den Teilnehmern eingelöst worden – zumindest teilweise. Zugegeben, in manchen Pavillons hätte man sich konkrete zukunftsweisende Technologie- und Architekturprojekte gewünscht, die ja bereits existieren. Zu oft bleiben die Beiträge bei Bestandsaufnahmen von Missständen wie der Zerstörung der Landschaft durch Raubbau an Trinkwasser, Unfruchtbarkeit des Bodens durch Monokulturen, einer nicht nachhaltigen Nahrungsproduktion oder der Ausbeutung und Vertreibung der letzten indigenen Bevölkerung von den Samen in Skandinavien bis zum Tropenwald im Amazonasgebiet.
Der brasilianische Pavillon erhielt den Goldenen Löwen. © Matteo de Mayda - Courtesy La Biennale di Venezia
Goldener Löwe für brasilianischen Pavillon
Nach Einschätzung der Jury, unter dem Vorsitz von OMA-Partner Ippolito Pestellini Laparelli, ist der Spagat aus relevantem Inhalt und ästhetisch sinnlicher Gestaltung am besten dem brasilianischen Pavillon gelungen, den sie mit dem Goldenen Löwen auszeichnete. Die Kuratorinnen Gabriela de Matos und Paulo Tavares haben das modernistische Pavillongebäude mit einem Lehmboden und Lehmtischen ausgekleidet und machen so den Begriff Terra als Sinnbild für Erde oder Territorium den Besuchern intuitiv erlebbar. Die Installation korrespondiert mit der Ausstellung, die die Zerstörung der Landschaft der indigenen Bevölkerung durch den Bau der Hauptstadt Brasilia thematisiert und deren Weltkulturerbe-Status zur Diskussion stellt.
Deutscher Pavillon
Der deutsche Pavillon dagegen ist ein Materiallager mit angeschlossener Reparaturwerkstatt. Das Kuratorenteam aus Arch+, Summacumfemmer und Juliane Greb sammelte die herausgerissenen Ausstattungen der vergangenen Kunstbiennale und katalogisierte sie mit QR-Code beschriftet in einer Materialdatenbank. Vorbild für die kommende Circular Building Economy?
Reparaturwerkstatt im deutschen Pavillon, © Matteo de Mayda - Courtesy La Biennale di Venezia
Chinesischer Pavillon
Wachstumsgroßmacht China macht auf Understatement und zeigt kleine Nachverdichtungsprojekte. Dekolonisation? Fehlanzeige. Die ökologischen, ökonomischen und sozialen Folgen des Dreischluchtendamms oder der Neuen Seidenstraße, Chinas kolonialistische Erschließung afrikanischer Infrastrukturen, sind auf dieser Biennale nirgends thematisiert.
Pavillon der Ukraine, © Matteo de Mayda - Courtesy La Biennale di Venezia
Pavillon der Ukraine von Innen, © Andrea Avezzu - Courtesy La Biennale di Venezia
The Oxagon von BIG, © Neom
Nationale Pavillons
Katar feiert trotz der Forderung nach Dekarbonisierung im Palazzo Franchetti seine ungebrochene Begeisterung für Großmuseen westlicher Stararchitekten. Saudi-Arabien behauptet sogar, die Lösung der dekarbonisierten Großstadt gefunden zu haben. In der Abbazia de San Gregorio ist der Wettbewerb zu Neom ausgestellt: eine 150 km lange, 300 m hohe Bandstadt ohne Autos, komplett mit regenerativer Energie betrieben. Auch wenn die Renderings der schluchtartigen Stadtlandschaften von Morphosis, UN Studio, DMAA, Lava, Pei Copp, Fuksas, Coop Himmelblau und David Adjaye an Szenen aus einem Science-Fiction Film erinnern. Der erste Abschnitt für 250 000 Einwohner ist bereits im Bau, ebenso die dazugehörige oktogonale Solarcity von BIG und das Skiressort auf einem Berg in der Wüste von Lava mit umweltfreundlichem Kunstschnee.
Veranstaltung: 18. internationale Architekturbiennale Venedig
Ausstellungsdauer: 20. Mai bis 26. November 2023
Ausstellungsort: Venedig (IT)
Veranstaltungsprogramm: Carnival – Programm