Robotisches Architektursystem: adaptiv und interaktiv
Blick auf den Demonstrator am Gelände der Universität Stuttgart (Foto: ICD/ITKE/ITFT University of Stuttgart)
Drei Institute der Universität Stuttgart, das Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung ICD, das Institut für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen ITKE und das Institut für Textil- und Fasertechnologien ITFT, haben anhand des ITECH Forschungsdemonstrators 2018-19 biegsame Mechanismen für architektonische Anwendungen untersucht. Das Faltmuster der beweglichen Sonnenschutzelemente wurde dabei von dem Flügelaufbau der Marienkäfer (Coleoptera coccinellidae) inspiriert. Die Faltelemente bestehen aus einem kohlenstoff- und glasfaserverstärkten Verbundkunststoff, ihre Faltbewegung wird durch nachgiebige Gelenkzonen mit integrierten, pneumatischen Antrieben erreicht. Ein interaktives Steuerungssystem aus integrierten Sensoren, Online-Kommunikation und Backend-Informationsverarbeitung ermöglicht die interaktive Steuerung der Faltelemente durch die Benutzer.
Der Forschungsdemonstrator besteht aus zwei Faltelementen mit einer Breite von 1,70 m und einer Höhe von 3,00 m bzw. 2,50 m sowie einem Gewicht von 23 kg pro Element. Die beiden »Flügel« wurden durch die robotergestützte Methode des Tape-Legens hergestellt. Durch das Ablegen von faserverstärkten Tapes mit 12 mm Breite und einer Gesamtlänge von ca. 30 km in variierenden Richtungen und Positionen entstanden beanspruchungsgerechte Laminate. Wo statisch benötigt, wurden Kohlenstofffasern eingesetzt, während die Glasfasern zur Herstellung der vollflächigen Platten verwendet wurden und aufgrund der weißlichen Farbe des Polyamid-Tapes Transluzenzen ermöglichen. Nach dem Verlegen der Tapes wurde der thermoplastische Lagenaufbau in einer Heißpresse aufgeschmolzen, anschließend unter Druck in einer Kaltpresse gekühlt, um die faserverstärkten Verbundplatten zu festigen.
Die Bewegungsmöglichkeiten der Sonnenschutzelemente wurden entwickelt, indem die drei Institute kinematische Wirkprinzipien biologischer Ideengeber aus der Natur identifizierten, abstrahierten und diese in technische Architekturanwendungen übertrugen. In Zusammenarbeit mit dem Institut für Evolution und Ökologie und dem Zentrum für Angewandte Geowissenschaften der Universität Tübingen wurden das Origami-ähnliche Faltmuster der Marienkäfer-Flügel als biologisches Prinzip ausgewählt. Die zerbrechlichen Hinterflügel werden dabei zum Schutz möglichst kompakt entlang genau definierter, flexibler Gelenkzonen unter die robusten Vorderflügel gefaltet. Die eingefalteten Flügel speichern in den Gelenkzonen elastische Energie, um ein schnelles Aufklappen und Entfalten zu ermöglichen, falls das Insekt einer Gefahr entkommen muss. Die Bewegung des Demonstrators wird entsprechend durch Ansteuerung von pneumatischen Kissen in den Gelenkzonen ausgelöst. Mit einem maximalen Druck von 0,8 bar in den horizontalen und 0,4 bar in den vertikalen Gelenkzonen kann ein Faltwinkel von bis zu 80° erreicht werden. Beim Falten wird in den Gelenkzonen elastische Energie gespeichert, durch die sich die Elemente nach der Druckentlastung wieder selbstständig entfalten.
Für die Nutzerinteraktion mit dem adaptiven Demonstrator wurden zwei Szenarien entwickelt: Das erste Szenario nutzt die elektrische Leitfähigkeit der Kohlenstofffasern für eine physische Interaktion zwischen Nutzer und architektonischem Element. Die Berührung verschiedener sensorischer Bereiche löst unterschiedliche Bewegungen aus. Die zweite Interaktionsmethode verwendet eine webbasierte Benutzeroberfläche, die es ermöglicht, die Bewegung des Demonstrators über Smartphone oder Tablet-PC anhand eines digitalen Zwillings des ITECH Forschungsdemonstrators zu steuern.
Der Demonstrator kombiniert eine Reihe von zukunftsorientierten Aspekten: Er setzt intensiv auf einen integrierten, computerbasierten Entwurfs-, Simulations- und Fertigungsprozess; er zeigt die Möglichkeiten der Interaktion zwischen gebauter Umwelt und ihren Nutzern zur Veränderung der räumlichen Konfiguration durch aktive Steuerung und Echtzeitkommunikation auf; und er trägt dazu bei, neu über die bisherigen Grenzen und Definitionen von Architektur nachzudenken.
Konzeptentwicklung, Systementwicklung und Realisierung:
Miro Bannwart, Eliza Biała, Xiaoyu Chen, Rebeca Duque Estrada de Almeida Araujo, Farnaz Fattahi, Rob Faulkner, David Horvath, Niloofar Imani, You-Wen Ji, Fabian Kannenberg, Nate Kaylor, Denitsa Koleva, Jure Kozmos, I-Ching Lee, Ada Lezuchowska, Zhiqi Lin, Samantha Melnyk, Seyed Mobin Moussavi, Mona Mühlich, Seyed Ahmad Razavi, Tamara Rosales, Emi Shiraishi, Sanoop Siby, Piyanat Songkhroh, Hana Svatos-Raznjevic, Naomi Kris Tashiro, Babasola Thomas, Aditya Tiwari, Maria Wyller, Nima Zahiri, Ruqing Zhong
Mit Unterstützung von: Anja Mader, Katja Rinderspacher, Maria Yablonina