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Nächste Ausfahrt: Nullenergiehaus
Schritt für Schritt zur Nullenergie: Mit der neuen Gebäuderichtlinie hat die EU die Weichen für das energieeffiziente Bauen der Zukunft gestellt. Der zehnte und letzte Teil unserer Jubiläumsserie stellt die Frage, mit welchen Technologien der Nullenergiestandard in Gebäuden erreicht werden soll und ob Architekten künftig wieder zu Protagonisten des solaren Bauens werden können.
Mitte 2010 hat die Europäische Union die Weichen für die künftigen Energiestandards in Europas Gebäuden gestellt: Ab Ende 2020 müssen alle Neubauten innerhalb der EU „Niedrigstenergiegebäude“ sein, also einen Netto-Energiebedarf für Heizen, Lüften, Kühlen und Warmwasser von nahe Null besitzen. So sieht es die Novelle der EU-Gebäuderichtlinie vor. Die genaue Definition des Begriffs „Niedrigstenergie“ bleibt den einzelnen EU-Mitgliedsländern überlassen, die die Richtlinie in nationales Gesetz umsetzen müssen. Absehbar ist jedoch, dass der Nullenergiestandard zumindest in Deutschland, das EU-weit als Vorreiter im energieeffizenten Bauen gilt, bis 2020 bei Neubauten zur Regel geworden sein wird.
Die Technologien, um diesen Standard zu erreichen, sind heute schon vorhanden, und die Zahl der Pilotprojekte für Nullenergiehäuser steigt. Eine nähere Untersuchung zeigt, dass die Nullenergiekonzepte zumindest bei Einfamilienhäusern zunehmend auf einen gemeinsamen Nenner hin konvergieren: Basis sind stets eine gut gedämmte, kompakte Gebäudehülle (die jedoch keineswegs immer Passivhausniveau erreichen muss), hohe innere Speichermassen und die optimierte Nutzung solarer Gewinne. Hinzu kommen eine Komfortlüftung mit Wärmerückgewinnung, die Beheizung über Erdreich-Wärmepumpen sowie eine thermische Solaranlage, die Warmwasser bereitstellt. Zwei Beispiele verdeutlichen, wie solche Gebäude im Detail funktionieren – und belegen, dass Nullenergiehäuser schon längst keine technisch hochgerüsteten „Solarmaschinen“ sein müssen:
Das „Sunlighthouse“ in Pressbaum bei Wien, fertiggestellt im Herbst 2010, gilt als Österreichs erstes CO2-neutrales Einfamilienhaus. Entworfen haben es die Architekten Hein-Troy aus Bregenz und Wien, finanziert die Firma Velux; wissenschaftlich begleitet wurde das Projekt durch die Donau-Universität Krems und das Institut für Baubiologie und –ökologie (IBO) in Linz. Die Architekten hatten bei ihrem Neubau mit einer solarenergetisch gar nicht günstigen Lage zu kämpfen. Der steil abfallende Nordosthang führte zu einem Entwurf, bei dem die solaren Gewinnflächen und die Freibereiche des Gebäudes im Wesentlichen zur Bergseite hin orientiert sind. Ziel ist, dass das rund 270 Quadratmeter große Gebäude binnen einer Nutzungsdauer von 30 Jahren nicht nur energieneutral betrieben werden kann, sondern auch das bei seinem Bau – inklusive Herstellung der Materialien und aller Transportwege - freigesetzte CO2 durch solare Energiegewinne amortisiert.
Hierzu war zunächst eine konsequente Minimierung der „grauen Energie“ im Gebäude erforderlich, was durch eine Holzbauweise mit Zellulosedämmung erreicht wurde. Lediglich das Untergeschoss ist aus Ortbeton erstellt, bei dem der Zement weitgehend durch CO2-arme Hochofenschlacke ersetzt wurde.
Aufgrund der Verschattung und ungünstigen Ausrichtung konnte das Haus nicht als Passivhaus errichtet werden. Der Heizwärmebedarf beträgt 27 kWh/m²a; der Nullenergiestandard wird rechnerisch dennoch erreicht. Eine Sole-/Wasser-Wärmepumpe liefert die Energie für die Fußbodenheizung im Haus. Zusätzlich stellt eine 8 m² große Solaranlage Warmwasser bereit. Betrieben werden die Wärmepumpe und alle anderen elektrischen Verbraucher im Haus über eine netzgekoppelte, monokristalline Photovoltaikanlage mit 48 m² auf der Südwestseite des Daches. Die Planer prognostizieren, dass PV-Anlage und solarthermische Anlage gemeinsam im Jahresverlauf 20% mehr Energie bereitstellen als im Haus verbraucht wird.
Mit 225 Quadratmetern Wohnfläche ähnlich groß, aber an einem Südhang gelegen ist das Wohnhaus, das Norbert Fisch, Norbert Fisch, Leiter des Instituts für Gebäude- und Solartechnik der Universität Braunschweig, in Leonberg realisiert hat. Entworfen wurde das Haus von den Architekten Berschneider + Berschneider aus Neumarkt. Mit seiner langrechteckigen Form, dem nach Süden geneigten Pultdach und den großen Fensterflächen im Süden ist dieses Haus dem „Sunlighthouse“ nicht unähnlich, verfolgt jedoch energetisch ein etwas anderes Konzept: Ziel ist hier, neben dem Gebäude auch noch diverse Elektrofahrzeuge mit Solarstrom zu versorgen. Dadurch soll nicht zuletzt der selbst verbrauchte Anteil des Stroms gesteigert werden, was sich günstig auf die Höhe der Einspeisevergütung auswirkt.
Auch das Haus in Leonberg verdeutlicht, dass Nullenergiegebäude nicht unbedingt Passivhäuser sein müssen: Sein Heizwärmebedarf liegt bei rund 30 kWh/m²a. Auch hier stellt eine Geothermie-Wärmepumpe die Energie für die Fußbodenheizung bereit, und auch hier liefern Solarkollektoren (7 m²) Warmwasser. Die PV-Anlage ist bei diesem Haus deutlich größer dimensioniert als beim „Sunlighthouse“: Mit rund 14000 kWh/a soll sie mehr als den doppelten Jahresertrag liefern als bei dem österreichischen Wohnhaus. Im Gebäude wurde ein Stromlastmanagement realisiert, das einzelne Verbraucher (Wärmepumpe, Kühl- und Gefrierschrank) automatisch abschaltet, wenn die PV-Anlage nur wenig Strom liefert, und so die Menge des aus dem Netz bezogenen Stroms minimiert. Als Stromspeicher für Geräte, die nicht abgeschaltet werden können (wie Telefon oder IT) ist im Haus eine eigene Batterie installiert.
Das Nur-Strom-Haus – Modell der Zukunft?
Die Frage, welche Technologien sich für künftige Nullenergiegebäude durchsetzen, wird jedoch kaum von einzelnen Pilotprojekten entschieden werden. Viel maßgeblicher ist der Einfluss, den die Politik mit den von ihr initiierten Förderprogrammen ausübt. So erlebte die Photovoltaik in Deutschland seit Einführung des Erneuerbare-Energien-Einspeisegesetzes 2000 einen unausgesetzten Boom. Der Grund: Die Vergütung wird im Umlageprinzip von allen Stromkunden erhoben, ist also nicht von Haushaltssperren oder anderen Schwankungen der Tagespolitik betroffen.
Die Frage, welche Technologien sich für künftige Nullenergiegebäude durchsetzen, wird jedoch kaum von einzelnen Pilotprojekten entschieden werden. Viel maßgeblicher ist der Einfluss, den die Politik mit den von ihr initiierten Förderprogrammen ausübt. So erlebte die Photovoltaik in Deutschland seit Einführung des Erneuerbare-Energien-Einspeisegesetzes 2000 einen unausgesetzten Boom. Der Grund: Die Vergütung wird im Umlageprinzip von allen Stromkunden erhoben, ist also nicht von Haushaltssperren oder anderen Schwankungen der Tagespolitik betroffen.
Andere Technologien wie Solarthermie oder Kraft-Wärme-Kopplung sind vom Auf und Ab der Haushaltspolitik dagegen weit stärker beeinträchtigt worden und weit hinter ihren Möglichkeiten zurückgeblieben. Auf die Frage, wie energieeffiziente Gebäude künftig beheizt und mit Energie versorgt werden, hat dies erheblichen Einfluss. Schon verbreiten erste Planer wie Manfred Hegger, Leiter des Fachgebiets Entwerfen und Energieeffizientes Bauen an der TU Darmstadt, die Vision eines reinen „Stromhauses“, das alle gebäudetechnischen Funktionen wie Heizen, Kühlen und Lüftung nur noch mit Hilfe elektrischen Stroms aus erneuerbaren Energiequellen erfüllt.
Schon heute, so Hegger, kostet Solarstrom bei Berücksichtigung der Gesamtkosten rund 20 Cent, eine Kilowattstunde Solarwärme dagegen 25 Cent. Überdies hat Strom den Vorteil, dass sich damit Wärmepumpen ebenso antreiben lassen wie LED-Lampen, Kühlaggregate und Rechenzentren. Mit Solarwärme lassen sich Gebäude dagegen nur beheizen und – mit Einschränkungen – kühlen.
Wo sind die Pioniere?
Auch heute noch rufen solare Pionierbauten wie das Haus in Leonberg oder – um ein älteres, noch bekannteres Beispiel zu nennen - das Haus R128 von Werner Sobek in Stuttgart ein großes Medienecho hervor. Daran lässt sich zweierlei erkennen: Erstens ist das Interesse an der gelungenen Verbindung von Architektur, Energieeffizienz und erneuerbaren Energien ungebrochen. Zweitens bilden solche gelungenen Beispiele noch immer die große Ausnahme. Gemeinsam ist den erwähnten Pionieren, dass sie im universitären Milieu verwurzelt sind und dort einen Großteil ihrer Forschungsarbeit leisten – und finanzieren lassen – können.
Auch heute noch rufen solare Pionierbauten wie das Haus in Leonberg oder – um ein älteres, noch bekannteres Beispiel zu nennen - das Haus R128 von Werner Sobek in Stuttgart ein großes Medienecho hervor. Daran lässt sich zweierlei erkennen: Erstens ist das Interesse an der gelungenen Verbindung von Architektur, Energieeffizienz und erneuerbaren Energien ungebrochen. Zweitens bilden solche gelungenen Beispiele noch immer die große Ausnahme. Gemeinsam ist den erwähnten Pionieren, dass sie im universitären Milieu verwurzelt sind und dort einen Großteil ihrer Forschungsarbeit leisten – und finanzieren lassen – können.
Gerade der „Solar Decathlon“, 2002 erstmals in Washington veranstaltet und inzwischen als „Solar Decathlon Europe“ auch auf unserem Kontinent präsent, setzt Maßstäbe in der Verknüpfung von Forschung, Lehre, Baupraxis und medialer Wirkung. Bei diesem Studentenwettbewerb muss jedes Universitätsteam sein Haus am Veranstaltungsort bauen und mehrere Tage lang ausschließlich mit Solarenergie betreiben. Bewertet werden die Gebäude wird in zehn Kategorien, von der Architekturqualität über die Gebäudetechnik und das Raumklima bis zur Öffentlichkeitsarbeit. Eine interdisziplinäre Planung der Gebäude an den Universitäten ist damit Grundvoraussetzung für ein gutes Abschneiden.
So zukunftsweisend der „Solar Decathlon“ in dieser Hinsicht auch ist, so fragwürdig ist das Entwurfsthema, das er behandelt. Ein frei stehendes Wohnhaus für zwei Personen mit 55 bis 90 Quadratmetern Fläche kann kaum als Prototyp für das nachhaltige Bauen der Zukunft gelten. Ferner ist der Solar Decathlon geradezu symptomatisch für die Tatsache, dass der Architekt beim energieeffizienten Bauen nur noch eine Rolle unter vielen spielt. Die gestalterische Qualität ist im Wettbewerb nur eine von zehn Disziplinen; sie ist damit ebenso wichtig – oder unwichtig – wie ein gutes Innenraumklima, eine funktionierende Gebäudetechnik oder eine professionelle Öffentlichkeitsarbeit.
Das Plusenergiehaus, mit dem das „Team IKAROS“ der Hochschule Rosenheim den zweiten Platz im Solar Decathlon Europe 2010, wurde gar komplett ohne die Beteiligung eines Architektur-Lehrstuhls entwickelt. Beteiligt waren Studierende der Fachrichtungen Ingenieurwissenschaften, Holztechnik und Bau, Informatik, Innenarchitektur und Wirtschaftsingenieurwesen.
Diese Tatsache schmälert den Erfolg der Rosenheimer nicht, weist aber auf ein Dilemma hin: Für Null- und Plusenergiegebäude sind ganzheitliche Konzepte unabdingbar. Gemeinhin stellen Architekten den Anspruch, diese besonders gut entwickeln zu können. Damit wären sie eigentlich als Pioniere des energieoptimierten Bauens prädestiniert. Die Realität indessen sieht oftmals anders aus: Viele Architekten sehen sich heute als Getriebene. Sie sind getrieben von der Gesetzgebung, der Investoren mit ihrer Forderung nach nachhaltigeren Gebäuden, und der Lobbyarbeit der Dämmstoffindustrie und der Hersteller von Gebäudetechnik.
Architektenverbände betonen zwar einerseits die Notwendigkeit nachhaltigen Bauens, ziehen sich andererseits jedoch auf eine eigenartige Art der Besitzstandswahrung zurück: An den anerkannten Zielen der Baukultur möge bitte nicht gerüttelt werden, Häuser müssten vor allem langlebig sein und eine Überbetonung der Energieeffizienz sei architektur-, wenn nicht gar stadtbildschädigend. Gern werden Wärmedämmverbundsysteme auf Altbaufassaden oder ungeschickt integrierte Solarkollektoren auf Ziegeldächern als abschreckende Beispiele angeführt.
Doch statt sich aktiv um besser gestaltete Alternativen zu bemühen, verweigern viele Architekten den Dialog – und manövrieren sich damit selbst ins Abseits. Der Zeitgeist droht über sie hinwegzugehen, da sich weder der Gesetzgeber noch Bauträger und Baustoffindustrie verstärkt ihre Befindlichkeiten scheren. Die Deutungshoheit über das solare/nachhaltige Bauen, die sich Architekten im Laufe des 20. Jahrhunderts mühsam erarbeitet haben, droht Architekten heute verlorenzugehen – oder ist längst verlorengegangen.