Interview mit Jasna Moritz von Kadawittfeldarchitektur
Nachhaltigkeit ist Teamwork
Jasna Moritz, © Carl Brunn
Jasna Moritz ist Mitglied der Geschäftsführung bei Kadawittfeldarchitektur mit Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit. Im Interview berichtet sie über die Erfahrungen des Büros mit dem zirkulären Bauen.
Das Gespräch ist Teil einer Interviewreihe, die in der Publikation „Zirkuläres Bauen in der Praxis“ der Wirtschaftsförderung Region Stuttgart erschienen ist. In den kommenden Wochen veröffentlichen wir weitere Interviews aus der Reihe.
Wie seid ihr zum zirkulären Bauen gekommen?
2015 haben wir für die RAG-Stiftung das neue Verwaltungsgebäude in Essen Zollverein geplant. Der Bauherr hatte von Beginn an die Idee, nach dem Cradle-to-Cradle-Konzept zu bauen, und war damit gemeinsam mit dem Generalfachplaner Drees & Sommer entscheidender Impulsgeber.
Welche Erfahrungen habt ihr bei diesem Projekt gemacht?
Die Auseinandersetzung mit dem zirkulären Bauen war für uns sehr interessant – und eine echte Herausforderung, weil wir nur neun Monate Planungszeit hatten und uns mit einer neuen Denkweise auseinandersetzen mussten. Begleitet wurden wir dabei von den Nachhaltigkeitsexpertinnen von Drees & Sommer. Für ein Architekturbüro, das in diesen Bereich einsteigen möchte, ist es auf jeden Fall sinnvoll, sich erfahrene Unterstützung zu holen.
2017 stellten Kadawittfeldarchitektur auf der Zeche Zollverein den Verwaltungsbau der RAG-Stiftung fertig. © Nikolai Benner
Wie viele Projekte habt ihr schon nach dem Konzept des zirkulären Bauens realisiert?
Die Themen, die uns bei Zollverein beschäftigt haben, finden Einzug in alle darauffolgenden Projekte. Seit drei Jahren unterstützen unsere Nachhaltigkeitsexpertinnen und -experten Projekte im Wettbewerb konzeptionell und verankern damit in frühen Phasen die Aspekte des zirkulären Bauens. Ein schönes Projekt-Beispiel ist das LVR-Haus in Köln. Wir konnten den Bauherrn im Projektverlauf für das zirkuläre Bauen begeistern. Erfreulicherweise bekennen sich dazu immer mehr Auftraggeberinnen von Beginn an.
Das Projekt Zollverein habt ihr 2017 fertiggestellt. Aktuell entwickelt ihr in der Hamburger HafenCity das Projekt Moringa. Allein von der Größe her ist das eine andere Erfahrung, oder?
Nachdem wir mit Zollverein unsere ersten Schritte gemacht haben, gehen wir jetzt mit Moringa noch mehr in die Tiefe. Der Markt ist heute viel weiter als noch vor sieben Jahren, sodass wir uns beim Konzept mehr trauen und im Hinblick auf die Zirkularität höhere und vielschichtigere Ziele setzen konnten.
Das RAG-Gebäude in Essen ist eines der ersten Bürogebäude Deutschlands nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip. © Nikolai Benner
Und der Bauherr ist da immer mitgegangen?
Gemeinsam mit dem Bauherrn und der HafenCity wurden ambitionierte Ziele für das Projekt vereinbart und konkret definiert. All unsere Ideen, zum Beispiel 100 % der durch die Baumaßnahme versiegelten Flächen in Form von Fassaden- und Dachgrün zu kompensieren, wurden in einem Anforderungskatalog festgeschrieben. Das ist ein wichtiges Moment, um die Qualität und Nachhaltigkeit sicherzustellen, und bei möglichen Hindernissen, die sich im Planungsverlauf in den Weg stellen, an diesem einvernehmlichen Anspruch festhalten zu können.
Welche Schwierigkeiten erlebt ihr denn?
Unkonventionell zu bauen ist für die ausführenden Firmen in Zeiten des Fachkräftemangels wenig attraktiv. Neben der Baupreisexplosion, die uns gerade allen zu schaffen macht, treibt uns aktuell vor allem an, die richtigen Partnerinnen für die Ausführung zu finden.
Wie war das beim Projekt Zollverein?
Da waren wir noch positiv überrascht, wie viele Produkte es gibt, die die Cradle-to-Cradle-Kriterien erfüllen. Aber die Überprüfung, ob unsere Planung auf der Baustelle dann tatsächlich kreislaufgerecht ausgeführt wurde, war ein Kraftakt. Der Generalunternehmer hatte jemanden abgestellt, der das gewissenhaft überwacht, um zum Beispiel einem Subunternehmer den ungewünschten Klebstoff aus der Hand zu reißen. Das ist eine ganze Kette, die da in Gang gesetzt wird und konsequent bis zum Ende verfolgt werden muss. Die Hersteller müssen umdenken und ihre Produktion ändern und die, die die Produkte verbauen, müssen darauf achten, wie sie diese fügen und welche Hilfsmittel sie nutzen.
Die Dachflächen des RAG-Neubaus in Essen sind dicht begrünt. © Nikolai Benner
Ist es für euch eine Herausforderung, Material zu bekommen?
Der Markt ist im Moment sehr dynamisch. Vor einem halben Jahr sind wir bei unserer Recherche nach unverleimtem Holz nur auf zwei Produzenten gestoßen. Inzwischen gibt es deutlich mehr, die die Kriterien erfüllen. Das kennen wir auch anders, da zuweilen interessante nachhaltige Produkte aufgrund mangelnder Nachfrage vom Markt verschwinden.
Das Problem ist ja auch, dass Projekte wie Moringa für diese Hersteller riesige Volumina sind, da sie keine industriellen Produktionskapazitäten haben.
Moringa ist tatsächlich kein Nischenprojekt. In dieser Größenordnung geht es um Massentauglichkeit, was den Markt zum Teil vor Schwierigkeiten stellt. Wir stellen gerade positiv fest, dass sich auch die großen Hersteller aufgrund der enormen Nachfrage an nachhaltigen Produkten viel intensiver als noch vor vier Jahren damit beschäftigen, wie ihre Produkte zirkulärer, CO2-ärmer und gesünder werden können.
Das Projekt Moringa in der HafenCity Hamburg soll nach seiner Fertigstellung das erste Wohnhochhaus in Deutschland nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip sein. Visualisierung © kadawittfeldarchitektur
Projekt Moringa, Visualisierung © kadawittfeldarchitektur
Aus eurer Erfahrung heraus: Ist zirkuläres Bauen teurer oder günstiger?
Im Moment ist der Markt außer Rand und Band, auch konventionelles Bauen ist plötzlich sehr viel teurer. Früher hat man gesagt, dass man beim zirkulären Bauen 10 % draufrechnen müsse. Bei Moringa würden wir aufgrund der vielschichtigen geplanten Maßnahmen von mehr als 20 % sprechen. Maßnahmen wie zum Beispiel Fassadenbegrünung oder Grauwasseraufbereitung, die noch nicht Usus sind, haben einen langfristigen Benefit. Man muss den Bauherrinnen aufzeigen, dass die Anfangsinvestitionen etwas höher sind, aber dass sich das auf lange Sicht lohnt. Die Betrachtung des Lebenszyklus rückt immer mehr in den Vordergrund.
Das eine ist so zu konstruieren, dass man in 20, 30 Jahren alles rückbauen kann. Das andere ist beim Konstruieren bereits Materialien wiederzuverwenden. Macht ihr das auch
Sekundärmaterialien und -bauteile sind das Emissionsärmste, das wir verwenden können. Wir brauchen Protagonistinnen, die uns unterstützen. Vorreiterprojekte in diesem Bereich, wie sie Cityförster oder LXSY im Portfolio haben, können aktuell – so inspirierend sie sind – leider nicht in jedem Maßstab realisiert werden. Nachhaltigkeit ist sehr vielschichtig und jedes Büro muss für sich herausfinden, was es leisten kann. Die Frage, was mit dem Abbruchmaterial passiert und ob man Sekundärmaterialien einsetzen kann, sollte sich jeder stellen.
Welche Rolle kommt uns Architekten auf dem Weg beim zirkulären Bauen zu?
Wir sind und bleiben Dreh- und Angelpunkt und wichtige Impulsgeberinnen im Projekt. Wir tragen Verantwortung, nachhaltig und zirkulär zu bauen. Das ist nichts, was die Bauherren extra bestellen müssen. Wir können schon auf einem sehr niedrigen Level CO2-Emissionen einsparen. Ich hoffe, dass wir viele Menschen erreichen, denn zirkuläres, klimabewusstes Planen und Bauen ist eine kollektive Aufgabe. Je mehr am Bau Beteiligte sich dafür einsetzten, desto schneller werden wir in Zukunft intelligenter bauen und die erforderlichen Klimaschutzziele erreichen können.
Jasna Moritz ist Architektin und Partnerin bei Kadawittfeldarchitektur. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt im Bereich des nachhaltigen Bauens. Das Architekturbüro mit Standorten in Aachen, Berlin und München verknüpft Architektur und Innenarchitektur an der Schnittstelle zu städtebaulichen Planungen und urbanen Projekten. Mit dem Projekt Moringa in der HafenCity Hamburg realisieren Kadawittfeldarchitektur derzeit das erste deutschlandweite Wohnhochhaus nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip.
Das komplette Interview wurde zuerst veröffentlicht in der Publikation „Zirkuläres Bauen in der Praxis“.
Verfasser/-innen:
Markus Weismann, asp Architekten
Marcus Herget, Marcus Herget Beratungsunternehmen
Nadine Funck, asp Architekten
Raphael Dietz, asp Architekten
Auftraggeberin: Wirtschaftsförderung Region Stuttgart
Die Publikation untersucht, inwieweit zirkuläres Bauen bereits am Markt angekommen ist, welche Potenziale sich dadurch ergeben und wie diese besser ausgeschöpft werden können. Die 15 Experteninterviews zeigen dabei die unterschiedlichen Perspektiven aus Wirtschaft, Politik, Architektur, Wissenschaft und Bauherrinnen auf.
Download: Zirkuläres Bauen in der Praxis