25.05.2010

"Klimawandel ist größter Innovationstreiber"

Ist das Bauwesen wirklich so rückständig, wie häufig behauptet wird? Wer sich in der deutschen Forschungslandschaft, zumal bei den Fraunhofer-Instituten, umsieht, muss die Frage eigentlich verneinen. Als größten Innovationstreiber identifiziert Klaus Sedlbauer, Vorsitzender der „Fraunhofer-Allianz Bau“, den Klimawandel.

Die Bauwirtschaft wird in der Öffentlichkeit häufig als träge, konservativ und wenig innovativ wahrgenommen. Ist das so oder trügt dieses Bild?
High-Tech, Low-Tech, Bau-Tech – das ist das Bild, das viele von der Baubranche haben, zum Teil durchaus berechtigt. Das Problem liegt darin, dass wir sehr langlebige Güter beforschen und daran arbeiten. Ein Gebäude steht nun mal 30, 50, 80 Jahre. Dennoch gibt es hoch spannende Bereiche in der Bauforschung, die von Low-Tech weit entfernt sind. Denken Sie zum Beispiel nur an innovative Materialien und Werkstoffe, an die Gebäudeleittechnik und die Gebäudeautomation. Energiepreis, Klimawandel, Ressourcenverknappung – angesichts dieser Entwicklungen müssen wir unsere Gebäude deutlich intelligenter bauen und betreiben. Hier kommen wir unvermeidlich in den High-Tech-Bereich.

Wer sind die Innovationstreiber am Bau?
In erster Linie werden wir von außen getrieben. Der größte Innovationstreiber ist dabei der Klimawandel. Wenn wir die Reduktion der CO2-Emissionen ernst nehmen und etwas dafür tun wollen, dann haben wir mit der Baubranche einen riesigen Hebel. Die Baubranche ist eine der Schlüsselbranchen, denn sie bindet weltweit einen enormen Anteil aller Ressourcen, insbesondere an Material und Energie. Wenn es um technologische Entwicklungen geht, gibt es viele unterschiedliche Innovationstreiber. Das kann die Architektur sein, wenn man an hochmoderne nachhaltige Gebäude denkt. Es kann die Forschung sein, wenn man an Plusenergiehäuser denkt. Das können aber auch große Baukonzerne sein, die mit neuen Modellen die betriebliche Steuerung von Baustellen voran treiben. Allerdings handelt es sich dabei meist um Einzelaktivitäten. Der interdisziplinäre Austausch war bislang eher unzureichend.

Es fehlt also an Abstimmung und Koordination. Welche Aufgabe fällt in diesem Zusammenhang der Fraunhofer-Allianz Bau zu?
Wir haben drei Zielsetzungen. Das eine ist, die Kompetenzen und Aktivitäten in der Bauforschung zu bündeln und an den Schnittstellen Innovationen voranzutreiben. Der zweite Punkt ist, größere Projekte gemeinsam anzugehen. In Stuttgart sind wir beispielsweise gerade dabei, ein großes Innovationscluster zur Thematik Nachhaltigkeit aufzustellen. Drittens arbeiten wir darauf hin, das Themenfeld Bauforschung in der Politik stärker zu verankern und dessen enormes technisches und wirtschaftliches Potential aufzeigen. Der Gesellschaft muss bewusst werden, dass die Baubranche die Schlüsselrolle bei der Bewältigung unserer globalen Probleme wie Klimawandel, Ressourcenverknappung und Energieversorgung spielt.

Stichwort Forschungsaktivitäten. Was sind dabei die vorherrschenden Themen, mit denen sich die Fraunhofer-Allianz Bau beschäftigt?
Es gibt vier Säulen. Zum einen der Themenkomplex Nachhaltigkeit, also Gebäude so zu planen, zu erstellen, zu betreiben und rückzubauen, dass der Einfluss auf die Umwelt minimiert wird. Hier spielen ökologische Faktoren eine Rolle wie Ökobilanzen oder recyclinggerechtes Konstruieren. Hinzu kommen ökonomische Faktoren. 80 Prozent der Kosten eines Gebäudes entstehen in der Nutzungsphase, das ist zuviel. Wir müssen auch einen stärkeren Focus auf die Ökobilanz der Produkte legen, die wir verbauen. Die zweite Säule betrifft die Frage, warum wir bauen – für den Menschen. Also müssen wir Räume gesund und behaglich gestalten. Wenn Mitarbeiter in Büros leistungsfähiger und produktiver arbeiten können, spart das dem Unternehmen Kosten ohne die Mitarbeiter mehr zu belasten. Die dritte Säule der Bauforschung, das sind Hochleistungswerkstoffe, multifunktionale Produkte, Fassadensysteme. Ich denke beispielsweise an Sanierungssysteme, die es erlauben, mit minimalinvasiven Eingriffen einen Altbau zu ertüchtigen und zugleich die Sanierungszeiten extrem zu verkürzen. Die vierte Säule betrifft die Softwareentwicklung, dass man also, ausgehend von der CAD-Skizze eines Architekten, die gesamten Funktionalitäten simulieren und ein Gebäudemodell entwickeln kann - da stehen wir im Baubereich vor einem Riesensprung.

Werden diese Themen irgendwann in konkrete Produkte münden?
Die anwendungsorientierte Forschung mit einer marktnahen Umsetzung entspricht dem Fraunhofer-Prinzip. Ein Beispiel dafür sind die akustischen Absorber. Das ist mittlerweile eine ganze Produktfamilie. Die Absorber schlucken den Schall und führen zu höherer Sprachverständlichkeit in Räumen. Oder: Wenn ich weiß, welche Moleküle zu welcher Geruchsbelastung führen und woher sie kommen, kann ich eine Lüftungsanlage nach sensorischen Ereignissen steuern. Wenn also der Bauer draußen Gülle streut, fährt die Lüftungsanlage runter. Unser Ziel ist immer, Entwicklungen, die wir aus der Chemie, Physik, Werkstoffwissenschaft und Mikroelektronik kennen, in die harte Technologie des Bauens zu überführen und als Produkte zum Einsatz zu bringen.

Wie steht die deutsche Bauwirtschaft hinsichtlich ihrer Innovationskraft im internationalen Vergleich da?
Sie steht hervorragend da, aber kommuniziert das zu wenig. Die Bauwirtschaft täte gut daran, mit mehr Überzeugungskraft aufzutreten. Nehmen Sie zum Beispiel die USA. Beim LEED-Zertifizierungssystem spricht man dort von Leadership, obwohl Amerika in Sachen Bauforschung bislang eher Entwicklungsland war. Hier setzt nun die Fraunhofer-Allianz Bau an, die vorhandene Innovationskraft der deutschen Bauforschung- und ‑wirtschaft aufzugreifen und zu bündeln.

Auf der BAU 2011 in München wird sich die Fraunhofer-Allianz Bau mit einer Sonderschau zum Thema „Intelligentes Bauen“ präsentieren. Was versprechen Sie sich von diesem Auftritt?
Wir möchten die Kompetenz der deutschen Ingenieurskunst darstellen. Ohne mich jetzt schon festzulegen, wären drei zentrale Themenfelder vorstellbar: Erstens Nachhaltigkeit; zweitens Innenräume und Menschen, klima- und kulturangepasstes Bauen und drittens: Hochleistungswerkstoffe und intelligente Gebäudeleitsysteme. Die Besucher der Sonderschau sollen sich von der Vielseitigkeit der Bauforschung begeistern lassen.

Machen wir einen Zeitsprung ins Jahr 2050. Wie leben wir dann? Wie sieht das Gebäude der Zukunft aus?
Wir werden in kleinen Kraftwerken wohnen, also in Gebäuden, die mehr Energie liefern als sie verbrauchen. Diese Plusenergiehäuser werden auch unsere Elektroautos auftanken. Als Folge der Ressourcenverknappung werden das Gebäude sein, die man mit einfachen Mitteln komplett recyclen kann. Nachhaltiges Bauen ist dann kein angestrebtes Ziel mehr sondern längst Standard. 2050 wird das Kupfer aus dem Baubestand kommen und nicht mehr aus der Kupfermine. Die Gebäude werden außerdem sehr viel intelligenter sein und ihre Nutzer unterstützen. Sie werden flexibel und multifunktional sein und sich über die Wettervorhersagen dem Klima anpassen. Wir werden Gebäude künftig auch nicht mehr komplett auf 20 Grad heizen, sondern die Klimabedingungen, die wir brauchen, sehr viel lokaler und temporärer herstellen. Ein Sensor im Schuh kann kalte Füße signalisieren, dann schaltet sich kurzfristig ganz kleinräumig die Heizung unter der Tischplatte an. Mit minimalem energetischem Aufwand und maximaler Intelligenz das Optimum an Komfort für den Menschen herausholen – das werden wir 2050 erleben.

Interview: Messe München GmbH


Zur Person
Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Phys. Klaus Sedlbauer, Jahrgang 1965, ist Inhaber des Lehrstuhls für Bauphysik der Universität Stuttgart (LBP), Leiter des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik (IBP), und Senatsmitglied der Fraunhofer Gesellschaft. 2007 war Sedlbauer Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB), deren Präsidium er angehört. Auch die Gründung der Fraunhofer-Allianz Bau ging maßgeblich von Sedlbauer aus, deren Vorsitzender er ist.

Zur Fraunhofer-Allianz Bau
Die Fraunhofer-Allianz Bau ist ein Zusammenschluss von 16 Forschungseinrichtungen der Fraunhofer-Gesellschaft. Sie wurde am 28. Mai 2008 gegründet. Als interdisziplinäre Organisation agiert die Allianz Bau als Schnittstelle zwischen Wirtschaft, Forschung und Politik. Sie bildet alle wesentlichen forschungsrelevanten Fragestellungen zum Thema Bau innerhalb der Fraunhofer-Gesellschaft ab. Die zentrale Geschäftsstelle der Allianz Bau hat ihren Sitz am Fraunhofer-Institut für Bauphysik (IBP), Institutsteil Holzkirchen, etwa 30 Kilometer südlich von München.

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