Architekturbiennale 2023
Jünger, vielfältiger, politischer
Shade, © Matteo de Mayda - Courtesy La Biennale di Venezia
Biennalen sind politisch. Ihre Themenschwerpunkte und Auszeichnungen werfen Schlaglichter auf Menschen und ihre Haltung, sie zeigen Errungenschaften und kritisieren Missstände. Die diesjährige Architekturbiennale in Venedig setzt in dieser Hinsicht besonders eindringliche Impulse, denn erstmals seit 1975, seit es die internationale Architekturschau in Venedig also überhaupt gibt, traut sich die Hauptausstellung neue Schwerpunkte zu setzen: Die ghanaisch-schottische Generalkommissarin der 18. Internationalen Architekturbiennale, Lesley Lokko, hat insgesamt 89 Teilnehmende eingeladen – mehr als die Hälfte davon aus Afrika und seiner Diaspora.
Lesley Lokko, © Jacopo Salvi
Der Großteil ist in Büros oder Studios mit maximal fünf Personen beschäftigt. Das Durchschnittsalter liegt bei 43 Jahren – der jüngste Teilnehmer ist gerade mal 24. War die Biennale bislang eine Schau, die bis auf wenige Ausnahmen den Exklusivitätsstatus von arrivierten Archistars und westlichen Industrienationen untermauert hat, so hat sie nun eine radikale Wende vollzogen und ihre Perspektive erweitert. Für den internationalen Architekturdiskurs ist dieser Wandel längst an der Zeit – und ebenso notwendig wie wichtig.
Dekolonialisierung
„The Laboratory of the Future“, so der Titel der Hauptausstellung, reflektiert Identitäten und Erinnerungen, die Erfahrung des Kolonialismus und Perspektiven jenseits davon sind allgegenwärtig. David Adjayes Future Lab greift die Geschichten der präkolonialen Architektur in detaillierten Holzmodellen auf, die sich wie die Thabo Mbeki Presidential Library in Johannesburg in den dazugehörigen Videos in Geschichten verwandeln. Immersive Sound-Installationen, poetische Texte und Kunstobjekte sind omnipräsent im zentralen Pavillon in den Giardini und im Arsenale. Nicht nur der Kreis der Teilnehmenden hat sich erweitert, auch die Vielfalt an Darstellungsarten, die den klassischen Kanon von Architekturmodellen und Zeichnungen ergänzen.
Detaillierte Holzmodelle in David Adjayes Future Lab, © Sandra Hofmeister
Der Unterschied zwischen Kunst und Architektur ist fließend, beide stehen im Dienst der Sache. „A Window (Detail) from the Future (Case Study House)” des jungen Frauentrios Riff Studio aus New York verdichtet das „living while black“ in den USA in einem kristallinen Fenster, das von der Straße aus gesehen undurchsichtig ist. Der ghanaische Künstler Serge Attukwei Clottey hat seine große, fischernetzartige Installation im Arsenale aufgehängt. Und Theaster Gates Studio aus Chicago zeigt einen Dokumentarfilm zur Initiative „Black Artist Retreat“.
Olalekan Jeyfious wurde mit dem Silbernen Löwen als Nachwuchstalent prämiert. © Sanda Hofmeister
Utopie und Dystopie
„Practitioners“ nennt die Kuratorin die Teilnehmenden – und verwischt damit die Grenzen ihrer Disziplinen. Mit von der Partie sind auch Architekturstudios wie Flores i Prats Architects aus Barcelona oder Zao/Standardarchitecture aus Beijing. Die Exponate verhandeln Utopie und Dystopie, lenken ihr Augenmerk auf Fragen der Dekolonisierung und Dekarbonisierung, entwerfen Fantasien und Erinnerungsmomente. So zeichnet der New Yorker Künstler Olalekan Jeyfious eine elaborierte Zukunftsfiktion für die Umwelt des afrikanischen Kontinents auf und wurde dafür mit dem Silbernen Löwen als Nachwuchstalent prämiert. Seine bildstarke Welt von morgen zeigt Videos, Objekte und Renderings einer Afrofiction Vision – die Übergänge zur Dystopie sind fließend. In den großzügig gestalteten Ausstellungsräumen bleibt genügend Platz für die Exponate und ihre Aussagen. Auch dies ist ein Lerneffekt, der Schule machen sollte im Zeitalter der Dekarbonisierung: Die Ausstellungsarchitektur entstand aus den Hinterlassenschaften der vorausgehenden Kunstbiennale von Cecilia Alemani. Für die perfekte Inszenierung können bereits vorhandene Strukturen wiedergenutzt werden.
Demas Nwoko gewann den goldenen Löwen für sein Lebenswerk. © New Culture Studios
© Biennale Architettura 2023
Goldene Trophäe
Die Auszeichnung des goldenen Löwen geht an den nigerianischen Künstler, Architekten und Designer Demas Nwoko für sein Lebenswerk. „Er war einer der ersten Kreativen des Raums und der Form in Nigeria“, so Lesley Lokko in ihrer Laudatio, „der die Abhängigkeit vom Westen kritisiert hat … und immer mit lokalen Ressourcen gearbeitet hat.“ Überhaupt sind die Ressourcen – egal in welchem Kontinent und Kontext – ein Leitthema der 18. Internationalen Architekturausstellung in Venedig. Auch in den Länderpavillons ist dieser Zusammenhang immer wieder vertieft.
Veranstaltung: 18. internationale Architekturbiennale Venedig
Ausstellungsdauer: 20. Mai bis 26. November 2023
Ausstellungsort: Venedig (IT)
Veranstaltungsprogramm: Carnival – Programm