Herkunft und Haltung

Was ist für Sie Architektur?
Architektur ist ein Ausdruck ihrer Zeit. Was sehe ich? Welche Themen stehen gerade im Fokus? Ich versuche, dies durch meine Architektur auszudrücken. Die Arbeit von Künstlern ist Ausdruck dessen, wie sie die Welt und die Gegenwart sehen. Für mich ist es dasselbe, ich konzentriere mich immer auf die Probleme.

Wie sehen Sie sich selbst? Hauptsächlich als Architekt? Oder gibt es andere Definitionen, die Sie für angemessen halten würden?
Ich sehe mich eher als Aktivist (lacht).

Woher kommt Ihre Furchtlosigkeit? Der besondere Mut und die Neugier, sich mit Projekten und Themen zu befassen, die nur wenige andere Architekten aus freien Stücken anpacken?
Ich war enttäuscht von meinem eigenen Beruf, davon, Architekt zu sein. Wir arbeiten hauptsächlich für privilegierte Menschen, die Macht und Geld haben. Aber ich fing an, mich mit sozialen Fragen zu befassen, und begann, meine Konstruktionen aus recyceltem Papier für den Einsatz als Katastrophenschutz zu adaptieren. Bevor die Leute über Ökologie und Nachhaltigkeit sprachen, interessierte ich mich dafür, alltägliche Materialien auf effiziente Weise zu nutzen.

Ist dieses Denken von der traditionellen japanischen Architektur und Haustypen wie Machiya oder Minka inspiriert, die im wahrsten Sinne des Wortes einen minimalen Fußabdruck hinterlassen?
Indirekt bin ich sicherlich von traditionellen japanischen Bautypen beeinflusst. Aber wie Sie wissen, bin ich nach meinem Highschool-Abschluss in Japan in die USA gegangen, um Architektur zu studieren. Dort habe ich versucht, jeden Bezug zur japanischen Tradition zu vermeiden. Als Japaner erwartete man von mir, dass ich etwas authentisch Japanisches vorschlage. Mir gefiel es nicht, so gesehen zu werden. Und ich will immer noch nicht auf einen spezifisch japanischen Stil festgelegt werden.

Gibt es eine Art Ritual, von dem Sie nie abweichen, egal wie hektisch der Tag auch sein mag? 
Das Skizzieren ... ja, das Skizzieren. Ich lege sogar ein kleines Skizzenbuch neben mein Bett. Manchmal habe ich im Traum eine gute Idee. Auch wenn ich schlafe, im Zug oder im Flugzeug.

Gibt es ein Traumprojekt, das Sie noch nicht entwerfen konnten?
Ich würde gerne ein Weingut entwerfen. Denn ich liebe Wein. Meine Projekte, vor allem die humanitären, etwa die, an denen wir derzeit in der Ukraine arbeiten, kann ich mir nicht aussuchen. Sie ergeben sich aus den Problemen unserer Zeit. Aber ein Traumprojekt sollte etwas sein, das ich mir aussuchen kann. Also ja, ich würde das Weingut wählen (lacht).

Träumen Sie von Architektur?
Ich glaube ja. In meinen Träumen sehe ich manchmal sogar unglaublich dekorierte Räume. Es scheint, als wären sie von mir selbst entworfen worden. In Wirklichkeit entwerfe ich keine dekorativen Räume. Aber in meinen Träumen scheint es so, als ob ich das täte.

Der erste Teil des Interviews mit Shigeru Ban „Der Entwurf als Problemlöser“ ist in Detail 12.2023 und in unserer Datenbank Detail Inspiration veröffentlicht. Den dritten Teil finden Sie hier.