26.06.2013

Geteilter Quader: Jüdisches Museum in Warschau

Die Idee zum Bau des Museums entstand gleich nach der Wende, doch erst 2003 konnte die grundlegende Idee und ein vorläufiger Ausstellungsplan für das Museum abgeschlossen werden. Im Frühjahr 2005 wurde ein internationaler Architektenwettbewerb ausgeschrieben, der auf sehr großes Interesse stieß. Aus 119 Einreichnungen wurden 11 Architekten ausgewählt, darunter Daniel Libeskind, Kengo Kuma & Associates, Zvi Hecker Architects, Peter Eisenman, David Chipperfield und sechs weitere Gruppen, einschließlich Lahdelma & Mahlamäki Architekt deren Entwurf als Sieger hervorging. "Ohne unnötige Rhetorik, mit Einfachheit und Eleganz" lobten die Preisrichter den Entwurf der Finnen. Architekten: Lahdelma & Mahlamäki Architects, Helsinki in Zusammenarbeit mit
Kurylowicz & Associates, Warschau
Standort: Ul. Anielewicza 6, Pl- 00-157 Warschau

Foto: Emilia Margaretha

Die Entscheidung für den Standort des Museumsneubaus in Muranów, etwa einen Kilometer von der Altstadt entfernt, fiel nicht zufällig. Heute ein Wohngebiet mit Plattenbauten der 60er-Jahre, war der Stadtteil vor dem Zweiten Weltkrieg zu 90% von jüdischer Bevölkerung bewohnt. Zwischen 1941-1943 bildete Muranów das Zentrum des Warschauer Ghettos. Im April 1948, zum fünften Jahrestag des Aufstands, wurde hier das „Denkmal für die Helden des Ghettoaufstands“ enthüllt, das durch den weltberühmten Kniefall von Willy Brandt 1970 in die Geschichtsbücher einging. 

Lageplan, Grafik: Lahdelma & Mahlamäki Architects

Der Haupteingang befindet sich direkt gegenüber dem "Denkmal für die Helden des Ghettoaufstands", Foto: Emilia Margaretha

Der Platz zwischen Museum und Denkmal heißt inzwischen "Skwer Willy'ego Brandta", Foto: Emilia Margaretha

Das Herzstück des neuen Museums bildet die 4000 m² große multimediale Dauerausstellung, die die Geschichte der Juden von ihren Anfängen im Mittelalter bis in die Gegenwart in insgesamt acht Stationen zeigen.

Ausstellungsraum, Foto: Wojciech Krynski

Foto: Juha Salminen

Während das Haupttragwerk des Gebäudes aus Ortbeton besteht, wurden die geschwungenen Wände im Innenbereich aus einem mit Spritzbeton umhüllten Stahltragwerk gebaut.
Auf die Unterkonstruktion aus gebogenen Rohren und nass geformten, extrem dünnen MDF-Holzfaserplatten wurden zwei Lagen Spritzbeton aufgebracht: auf eine 35 mm dicke, bewehrte Schicht folgt abschließend eine 15 mm dicke sandfarbene Schicht. Die zuvor aufgebrachten Leisten geben die Lage der Fugen an. Ausnahme sind die beiden Untergeschosse: hier wurde die Stahlkonstruktion durch Betonsäulen ersetzt, was zu einer wesentlichen Beschleunigung der Arbeiten führte.

Foto: Marcin Ferenc, Kurylowicz & Associates

Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten in Polen ca. 3,3 Millionen Juden, alleine in Warschau waren es eine halbe Million. Über Jahrhunderte hinweg war Polen das Land der größten jüdischen Diaspora weltweit. Durch den Holocaust kamen 90% der in Polen lebenden Juden ums Leben. Doch das neue Museum soll vor allem über das Leben des jüdischen Volkes erzählen. Der Holocaust ist nur ein Teil davon.
„Wir wollen die Toten ehren, indem wir daran erinnern, wie sie gelebt haben", sagt Barbara Kirshenblatt-Gimblett, die Professorin der New York University und Direktorin der Dauerausstellung.
Das Museumsgebäude besitzt vier Ober- sowie zwei Untergeschosse. Letztere sollen künftig die Hauptausstellung beherbergen. Während sich hier der Blick vor allem in die Vergangenheit richtet, stehen die oberen Gebäudeteile für Gegenwart und Zukunft. Dort befinden sich ein Konferenzraum für bis zu 480 Personen, zwei kleinere Veranstaltungssäle sowie die Mitarbeiterbüros. Darüber hinaus stehen dort Räume für wechselnde Ausstellungen zur Verfügung. Das moderne Kulturzentrum verfügt außerdem über einen Kino- und einen Konzertsaal sowie ein Restaurant und ein Café. 

Grundriss Eingangsebene, Grafik: Lahdelma & Mahlamäki Architects

Grundriss 1. OG, Grafik: Lahdelma & Mahlamäki Architects

Grundriss 3. OG, Grafik: Lahdelma & Mahlamäki Architects

Schnitt A-A, Grafik: Lahdelma & Mahlamäki Architects

Schnitt B-B, Grafik: Lahdelma & Mahlamäki Architects

Fertigstellung der Dauerausstellung und offizielle Eröffnung des Museums sind für Anfang 2014 geplant. Das Museum nimmt seine Ausstellungs- und Programmarbeit aber bereits jetzt auf und erwartet ab 2014 eine halbe Million Besucher jährlich.
(Emilia Margaretha)

Foto: Wojciech Krynski

Foto: Emilia Margaretha

Zwischen den geschwungenen Wänden befindet sich die 16 000 m2 große Eingangshalle, eine Art öffentliche Passage; Foto: Wojciech Krynski

Fotos: Emilia Margaretha

Die Außenhaut des Museums besteht aus zwei verschiedenen Materialien: 170 cm lange, vertikal ausgerichtete Elemente aus Glas und Kupfer sind im Wechsel an einer Stahlkonstruktion montiert, die in horizontaler Richtung »zick-zack-förmig« vor- und zurückspringt. Je nach Position des Betrachters verändert sich dadurch auch der Charakter der Gebäudehülle: Blickt man frontal auf die Fassade, reflektieren die bedruckten Glaspaneele das Licht und wirken eher undurchlässig, die gelochten Kupferplatten gewähren dagegen Einblicke ins Gebäude.

»zick-zack-förmig« ausgerichtete Elemente aus Glas und Kupfer, Foto: Marcin Ferenc, Kurylowicz & Associates

Oberer Fassadenabschluss, Foto: Marcin Ferenc, Kurylowicz & Associates

Foto: Marcin Ferenc, Kurylowicz & Associates

Wartungssteg zwischen der äußeren und inneren Fassadenhaut, Foto: Marcin Ferenc, Kurylowicz & Associates

Bauherr: Stadt Warschau und das polnische Kulturministerium Wettbewerb: 2005
Spatenstich: Juni 2007
Bauzeit: Juli 2009 - Mai 2013
Teileröffnung: 19. April 2013 Generalunternehmer: Polimex – Mostostal SA, Polen
Tragwerksplanung: Arbo projekt, Polen Gesamtgröße: 18 300 m²
Nutzfläche: 12 800 m²
Hauptausstellung: 4 000 m² Baukosten: 160 Milionen Pln (ca. 39 Milionen Euro) Weitere Informationen
www.ark-l-m.fi
www.apaka.com.pl
www.jewishmuseum.org.pl

Foto: Emilia Margaretha

Fotos: Marcin Ferenc, Kurylowicz & Associates

Eine insgesamt 6 000 m2 große Fläche wurde in Spritzbetontechnik ausgeführt. Fotos: Marcin Ferenc, Kurylowicz & Associates

Foto: Marcin Ferenc, Kurylowicz & Associates

Montage der 600 m2 großen Vorhangfassade an der Westseite, Foto: Marcin Ferenc, Kurylowicz & Associates

Westfassade, Foto: Marcin Ferenc, Kurylowicz & Associates

Die Glaspaneele wurden mit einem weißen Aufdruck beschichtet: lateinische und hebräische Buchstaben wurden so ineinander verwoben, dass sie immer wieder das Wort "polin" - auf Jiddisch "Polen", bilden. Auf Hebräisch bedeutet "polin" aber auch "Hier kannst du ruhen".

Foto: Emilia Margaretha

Je nach Blickrichtung verändert die Fassade ihr Aussehen; Blickt man frontal auf die Fassade, reflektieren die bedruckten Glaspaneele das Licht und wirken eher undurchlässig, die gelochten Kupferplatten gewähren dagegen Einblicke ins Gebäude. Foto: Emilia Margaretha

Fotos: Emilia Margaretha

Die einfache, würfelförmige Geometrie des Denkmals war der wichtigste Ansatzpunkt für die Gestaltung des Museums. Rainer Mahlamäki entwarf einen strengen Quader, mit 67 Meter langen Seiten, der von einer höhlenartigen, sich aufweitenden Passage durchschnitten wird. Die 20 Meter hohen Betonwände weichen wie Wellen auseinander. Zunächst wollten die Architekten Assoziationen an die Teilung des Roten Meeres und die wunderbare Rettung der Israeliten wecken, doch inzwischen hat sich als zweite Interpretation die Schoah als Riss durch die jüdische Geschichte Polens etabliert. Durch die verglasten Enden dieser "Schlucht" eröffnet sich der Blick entweder auf das Mahnmal oder auf den Park hinter dem Museum.

Entwurfskizze, Grafik: Lahdelma & Mahlamäki Architects

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