Gebaute Diagonalen: Rampen in der Architektur
Donato Bramante: Rampe im Belvedere-Palast im Vatikan (1505); Foto: daryl_mitchell/Wikimedia Creative Commons
Maximal 6 % Steigung, alle 6 m ein Zwischenpodest – so hat nach DIN 18 040-1 eine Rampe auszusehen. In anderen Ländern gelten ähnliche Gestaltungsvorschriften für die rollstuhltauglichen schrägen Ebenen. Doch Barrierefreiheit im heutigen Sinn ist nur eines von vielen Motiven, warum Architekten Rampen bauen. Die schrägen Ebenen sind auch Aufenthaltsräume und Orte des Flanierens. Sie bereichern die körperliche Raumerfahrung, können zum Ordnungsprinzip ganzer Gebäude werden und sind ein probates Mittel, um Dachlandschaften topografisch zu formen.
Historisch betrachtet dienen Rampen in erster Linie als Transportweg. Sie treten überall dort auf, wo Lasten oder Personen sich nicht mehr zu Fuß – und damit deutlich platzsparender über Treppen – in Gebäuden aufwärts bewegen ließen. Zu einem Massenphänomen in der Architektur wurden Rampen jedoch erst seit Beginn des Automobilzeitalters. Die ersten mehrgeschossigen Hochgaragen mit Rampenerschließung datieren noch aus den 1910er-Jahren – also bereits wenige Jahre nachdem Henry Ford in den USA mit der Serienproduktion von Automobilen begann.
Ausgehend von der Hochgarage eroberte sich die Rampe im 20. Jahrhundert zahlreiche andere Gebäudetypologien. Wegweisend für diesen Transfer waren vor allem drei gebaute Leitbilder: Le Corbusiers Villa Savoye in Poissy von 1932, Berthold Lubetkins Pinguingehege im Londoner Zoo von 1934 und natürlich Frank Lloyd Wrights Guggenheim-Museum in New York von 1957.
In den letzten beiden Jahrzehnten ist die Rampe mehr und mehr zu einem Gestaltungsmittel öffentlich zugänglicher, topografisch geformter Dachlandschaften geworden. Stilbildend waren in diesem Bereich vor allem James Stirlings Stutgarter Staatsgalerie von 1984 und das Fährterminal in Yokohama von Foreign Office Architects von 2002, aber auch die Oper in Oslo von Snohetta mit ihrer 18000 m2 großen, mit weißem Marmor belegten Dachlandschaft.
Zu einem Markenzeichen hat den urbanen Raum in der Schrägen vor allem Bjarke Ingels’ Architekturbüro BIG gemacht. Von seinen frühen Wettbewerbsentwürfen bis zu den jüngst vorgestellten Plänen für das neue Google-Hauptquartier im kalifornischen Sunnyvale spielen begehbare
(Schräg-) Dachflächen bei Ingels stets eine Hauptrolle. Die Tradition der »Promenade architecturale« von Le Corbusier findet in den Entwürfen von BIG ihre variantenreiche und oft überraschende Fortsetzung. Das zeigt, welche gestalterischen Potenziale die schräge Ebene auch heute noch für die Architektur bietet. Ganz gleich, ob sie von Fahrrädern oder Rollstühlen, Fußgängern oder Pinguinen genutzt wird.