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Flügelschlag am Puls von Paris: Forum Les Halles
Nach jahrzehntelangen Planungen, scharfer Kritik und viel Polemik entfaltet das neue Forum Les Halles seit April 2014 seine Flügel. Ob es wirklich abhebt und zum Foyer der Seine-Metropole wird, dem »Canopee de Paris« wird sich erst 2016 zeigen, wenn die Nutzer eingezogen sind.
Architekten: Patrick Berger et Jacques Anziutti Architects, Paris
Standort: 105 Rue Berger, F–75001 Paris
Standort: 105 Rue Berger, F–75001 Paris
Das Grundstück befindet sich im Herzen von Paris in der Achse zwischen Centre Pompidou und Alter Börse. Zusätzlich zum Netz aus Straßen und Plätzen an der Oberfläche, ist das Forum Les Halles durch unterirdische Passerellen mit dem Rathaus, der Tour St. Jacques, fast bis zu Notre Dame an der Seine verbunden. Eine wesentliche Aufgabe des Projekts besteht darin, die unterirdischen Ebenen mit der Straßenebene räumlich attraktiv zu verknüpfen.
»Bauch von Paris« nannte der Schriftsteller Émile Zola die zwölf pavillonartigen Markthallen mit zentraler Glasgalerie, die Victor Baltard 1851 mitten im Zentrum von Paris auf einer Fläche von 5,6 Hektar erbaute.
Mit dem lebendigen Markttreiben, den Düften von frischem Obst, Fisch, exotischen Gewürzen und dem typischen Marktgeschrei ist schon lange Schluss: Bereits 1969 wird der Großmarkt an die Peripherie verlegt, 1973 die gusseiserne Konstruktion abgerissen. Der »Bauch von Paris« hatte sich zum »Herzen« verwandelt, in dem drei S-Bahnlinien und fünf Metrolinien in der Station »Châtelet–Les Halles« zum meist genutzten Nahverkehrsknotenpunkt Europas zusammenlaufen.
1979 wird das »Forum Les Halles« eröffnet, das größte Einkaufs- und Freizeitzentrum von Paris. Um die drei unterirdischen Ebenen visuell mit dem Straßenniveau zu verbinden, haben die Architekten Claude Vasconi und Georges Pencreac’h einen trichterförmigen Platz in ihr Bauwerk eingeschnitten. 1986 wird schließlich der Stadtpark über der größten Schwimmhalle der Hauptstadt von Paul Chemetov fertiggestellt.
Im Gegensatz zum gleichzeitig entstandenen benachbarten Centre Pompidou, das mit seiner vorgelagerten Platzfläche zu »dem« Publikumsliebling zeitgenössischer Architektur avanciert, wird das Forum Les Halles nie richtig angenommen: Forum und Park bleiben isoliert, und der Rundbau der historischen Börse, einst Endpunkt von Baltards zentraler Achse, ist seines städtebaulichen Bezugs beraubt.
2004 soll ein eingeladener städtebaulicher Wettbewerb Abhilfe schaffen. Doch weder die 22 Meter hohe begrünte Aussichtsplattform von Jean Nouvel, der in weiten Teilen gläserne Platzboden von MVRDV, noch das Feld mit über 20 bunten Glaspyramiden von Rem Koolhas finden bei den Anwohnern Anklang.
2007 wird ein neuer Wettbewerb ausgelobt mit realistischeren Vorgaben: einem neuen Gebäude für das Forum, der Erweiterung des unterirdischen S-Bahnhofs mit zusätzlichen Eingängen und der Neugestaltung des Parks. Auch bei der Veröffentlichung des Siegerprojekts von Patrick Berger und Jacques Anziutti gibt es zunächst Kritik: »Nicht spektakulär genug!«, »Viel zu groß!«. Die Pariser Architekten, deren Büro in Sichtweite des Baugrundstücks liegt, konnten sich gegen Entwürfe von Massimiliano Fuksas, Toyo Ito, Paul Chemetov und andere durchsetzen, weil ihr Konzept städtebaulich am sensibelsten auf die strikten Randbedingungen eingeht.
Die Formensprache leitet Berger – ganz in der Philosophie von Frei Otto, bei dem er als Praktikant gearbeitet hat – aus der umfassenden Analyse aller Rahmenbedingungen ab: Die Formen sind von ihm nicht a priori vorgegeben, sondern wie in der Natur eine Synthese aus den unterschiedlichsten Einflüssen: Der Fluss der Fußgängerströme bestimmt die abgerundeten Ecken der Flügelbauten im Grundriss. Die gerundete Traufe der Flügelbauten nimmt das Motiv der umgebenden Mansarddächer auf, vermeidet eine zu große Verschattung und schafft eine Pufferzone zu den Anwohnern der gegenüberliegenden Straßenseite.
In den flankierenden dreigeschossigen Flügelbauten sind allein im Erdgeschoss auf über 10.000 m² Einzelhandelsflächen, in den Obergeschossen ein Konservatorium mit Sendestudios auf 2.600 m², eine Bibliothek mit 1.050 m², öffentliche Übungsräume für Tanz und Musik, ein Kulturzentrum für Gehörlose und Schwerhörige auf 1.000 m², sowie ein Hip-Hop-Zentrum auf 1.400 m² untergebracht.
Das städtebauliche Konzept revidiert die diagonale Verbindung aus den 1970er-Jahren, die das Grundstück von der Kirche St. Eustache bis zum Tour St. Jacques durchschneidet, und reaktiviert die Blickbeziehung entlang der zentralen Achse parallel zur Seine: vom Centre Pompidou unter dem neuen Glasdach hindurch über den Park bis zum Rundbau der historischen Börse.
Über Dach und Fassaden zieht sich eine einheitliche Hülle, die nur die 4,50 Meter hohen Schaufenster des Erdgeschosses freilässt. Die Flügelbauten zeigen sich mit weiten Vordächern wie »Markisen«, die Dachfläche wird hier mit Photovoltaikmodulen belegt. Das Dach über der offenen Plaza ist in das »große Vordach« im Westen und das »kleine Vordach« im Osten unterteilt. Beim »großen Vordach« spannen 15 Fischbauchträger mit Ober- und Untergurten aus Stahlrohren zwischen einem Kastenträger, der im Grundriss ein U mit abgewinkelten Schenkeln beschreibt. Das »kleine Vordach« wird aus acht Kragarmen gebildet, die orthogonal an die kurze mittige Seite des V-förmigen Kastenträgers angeschweißt sind.
Das Glasdach schützt die Plaza vor Regen und stellt einen gewissen Sonnenschutz dar. Um eine natürliche permanente Entlüftung und im Brandfall die natürliche Entrauchung von drei unterirdischen und drei oberirdischen Geschossen sicherzustellen, hat die Dachfläche einen Öffnungsanteil von 50 Prozent: Die Fischbauchträger sind als große schräg gestellte, verglaste Lamellen im Abstand von 5,50 Meter ausgebildet, deren Neigung entsprechend der vorherrschenden Windrichtung von der westlichen Traufe Richtung Osten immer flacher wird. Druck-bzw. Zugstäbe verbinden die Gurte und verhindern das Kippen der Lamellen. Gleichzeitig nimmt die Spannweite von 96 auf 45 Meter ab.
Ende April 2014 wurde die Stahlkonstruktion mit Glasdach nach 21 Monaten Bauzeit fertiggestellt, der Betrieb soll 2015 beginnen. Dann wird sich zeigen, ob das Konzept aufgegangen ist, ein riesiges infrastrukturelles Bauwerk in seinen Kontext einzufügen: Der sandfarbene Ton wird bis hin zur Eigenfarbe der Verglasung, dem Naturstein und dem Putz der Nachbarbauten entsprechen, die bogenförmigen Stahlträger, den steinernen Strebepfeilern der gotischen Kirche St. Eustache. Das »Canopée de Paris« wird die Blickachsen ordnen und die Besucherströme intuitiv in die richtige Richtung lenken. Im Idealfall wird die überdachte Plaza zu einem beliebten Aufenthaltsort, wie der Platz vor dem Centre Pompidou.
Eine ausführliche Print-Dokumentation finden Sie in unserer Ausgabe DETAIL 2014/5 zum Thema »Umnutzung, Ergänzung, Sanierung«.