Kalkulierter Konventionsbruch
Deutsches Romantik-Museum in Frankfurt
© Freies Deutsches Hochstift/Alexander Paul Englert
„Die Kunst, einen Gegenstand fremd zu machen und doch bekannt und anziehend, das ist die romantische Poetik“, schrieb der Romantikdichter Novalis einst in seinen Fragmenten und Studien. Dieser Satz könnte Pate gestanden haben für den Entwurf des Deutschen Romantik-Museums in Frankfurt. Es ist ein ungewöhnliches Ensemble, das Mäckler Architekten am Großen Hirschgraben neben Johann Wolfgang von Goethes Geburtshaus errichtet haben.
© Freies Deutsches Hochstift/Alexander Paul Englert
Über einem Sockel aus rotem Buntsandstein erheben sich die Putzfassaden dreier Stadthäuser, deren pittoreske Formenvielfalt nichts gemein hat mit dem Einheitsgrau der Nachkriegsarchitektur ringsum. Einzige Ausnahme: der nach Kriegszerstörung 1951 wiederaufgebaute Barockbau des Goethehauses nebenan. Dort finden wir die gleiche Farbpalette aus Blassgelb, Lichtgrau und Sandsteinrot und die gleiche, geschossweise Auskragung der Fassade.
Christoph Mäcklers Neubau ist alles andere als ein neutrales Behältnis für die Gemälde- und Manuskriptensammlung des Freien Deutschen Hochstifts, der seit über 150 Jahren das kulturelle Erbe der deutschen Romantik aufbewahrt. In einem fein orchestrierten Zusammenspiel vermitteln Architektur und Ausstellungsdesign (ein Werk des Frankfurter Büros Sounds of Silence) die Ideenwelt des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts mit Bildern, Raum- und Lichtstimmungen.
© Freies Deutsches Hochstift/Alexander Paul Englert
Ein Beispiel: der Blaue Erker mit seiner Bleiverglasung, der sich über dem Haupteingang als spitzer Keil in den Straßenraum schiebt. Gedacht ist er als Reminiszenz an die Blaue Blume, Sinnbild der Romantik für Liebe und Transzendenz. In blaues Licht getaucht ist auch die „Himmelsleiter“-Treppe, die direkt hinter der Straßenfassade alle Obergeschosse miteinander verbindet. Durch ihre unkonventionelle Anordnung war es überhaupt erst möglich, der Fassade einen stadtbildkonformen Fensterflächenanteil zu geben. Denn in die Ausstellungsräume durfte wegen der empfindlichen Exponate kein Tageslicht gelangen.
© Freies Deutsches Hochstift/Alexander Paul Englert
© Freies Deutsches Hochstift/Alexander Paul Englert
Gemeinsam mit dem Büro Sounds of Silence haben die Architekten die drei Ausstellungsebenen ganz unterschiedlich inszeniert: im Duktus einer klassischen Gemäldegalerie im ersten Obergeschoss, mit vielfältigen Themenräumen in der zweiten Etage und getaucht ins Halbdunkel alter Dachböden im obersten Geschoss. Das Ergebnis ist eine abwechslungsreiche Entdeckungsreise in eine Epoche, die angesichts der verbreiteten Wissenschaftsskepsis und des Booms der Fantasy- und Historienromane heute gar nicht mehr so fern scheint.
© Freies Deutsches Hochstift/Alexander Paul Englert
Und die Fassade? Mit ihrer postmodernen Zitierfreude ist sie eher kein Modell dafür, wie die Frankfurter Innenstadt künftig weitergebaut werden sollte. Doch sie symbolisiert perfekt den Ausbruch aus den Konventionen der Bürgerlichkeit, um den es den Künstlern der Romantik bestellt war. Und damit verleiht sie diesem Museum an diesem Standort den passenden Ausdruck – nicht mehr und nicht weniger.
Mehr dazu in Detail 4.2022 und in unserer Datenbank Detail Inspiration.
Architektur: Mäckler Architekten
Bauherr: ABG Frankfurt Holding
Standort: Großer Hirschgraben 21, 60311 Frankfurt am Main (DE)
Tragwerksplanung: Bollinger + Grohmann
TGA-Planung, Bauphysik, Akustik: EGS-plan, Treppenbelag: Deppe Backstein
Ausstellungsarchitektur: Mäckler Architekten, Sounds of Silence
Bruttogrundfläche: 3244 m²
Nutzungsfläche: 2080 m²
Baukosten: 12 Mio. € (Gebäude), 6 Mio. € (Dauerausstellung)
Galerie
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