21.06.2018

David Chipperfield über die Legitimität von Architektur

Foto: Simon Menges

Ortstermin in der Basilica Palladiana in Vicenza: Im Gespräch erläutert David Chipperfield,  welche Aufgabe Architekten heute und in Zukunft zukommt, warum er sich selbst als Dinosaurier sieht und wo die Unterschiede zwischen Berlin und London liegen.


Sie haben gerade in Ihrem Vortrag erwähnt, es müsse heute eine neue Definition des Berufsfeldes von Architekten geben. Was genau meinen Sie damit?

David Chipperfield: Wir sind hier in der Basilica Palladiana – und natürlich möchten wir alle gerne eine ähnliche Legitimität für unsere Projekte haben wie Palladio sie hier hatte: Wir wollen Gebäude entwerfen zu können, die den Charakter der Stadt auf wesentliche Weise verändern oder stärken. Aber das können wir nicht. Zumindest ist es sehr ungewöhnlich, dafür eine Gelegenheit zu finden. Trotzdem bereitet es uns Schwierigkeiten, diese Rolle des Architekten als eine Art Meister loszulassen. Wir tun uns meiner Ansicht nach schwer damit, uns auf den Architekten als Vermittler und flexibleren Menschen einzustellen. Doch wir müssen einen Weg finden, den Machtverlust des Architekten in Flexibilität umzuwandeln und nicht nur in Schwäche. Wenn ich unsere Büros in London und Berlin vergleiche, dann stelle ich fest: Das Londoner Büro arbeitet in einer verbraucher- und marktorientierten Atmosphäre und ist sehr flexibel. In Deutschland hingegen ist Baukultur noch Teil eines öffentlichen Systems. Deshalb herrscht hier die Mentalität, dass der Architekt auf klar geregelte Weise mit dem Projekt beauftragt werden sollte – eine Vorbedingung, um vernünftig zu planen. Es gibt eine klarere Vorstellung davon, dass der Berufsstand geschützt werden muss, auch wenn diese Vorstellung wird beim Versuch, mehr Arbeit auf dem Markt zu finden, langsam aufgeweicht wird. In London ist das Gegenteil der Fall, hier sind wir Architekten von Haus aus flexibler. Ein Bauherr in London fragt möglicherweise: »Würden Sie oder könnten Sie sich zwei weitere Optionen vorstellen? Wir brauchen sie bis Montag.« In Berlin würde man eine solche Anfrage ablehnen; man würde Vereinbarungen treffen, den Ressourcenbedarf überdenken und einen realistischen Zeitplan überarbeiten. In London dagegen sind wir solchen Anfragen gegenüber offener. Diese Flexibilität bedeutet meiner Meinung nach auf der einen Seite, dass die Architekten einen Teil ihrer Integrität verlieren, den Schutz, den sie haben sollten und den sie verdienen. Auf der anderen Seite werden wir für eben den Typ Bauherrn, der an uns herantritt, weniger nützlich.

Unsere Erfahrung in der Redaktion ist, dass immer weniger Architekten die bautechnischen Details ihrer Gebäude kennen. Um die Details herauszufinden, müssen wir mit Fassadenplanern, Baufirmen und vielen anderen zusammenarbeiten.

DC: In diesem Punkt sind wir altmodisch. Wir haben die Details sehr gut unter Kontrolle.

Letztlich ist das auch eine Frage der Qualität.

DC: Ich weiß, aber es ist schwierig, das zu verkaufen, und es ist auch nicht gerade eine sehr einfache Strategie für das Marketing. Man ist entweder langsam, teuer und gut oder billig, schnell und weniger gut.

In der Ausstellung in Vicenza gibt es zwei Bücher mit bautechnischen Details der Neuen Nationalgalerie in Berlin. Das eine zeigt die ursprünglichen Zeichnungen von Mies van der Rohe, das andere die Ihres Berliner Büros, das für die Sanierung dieser Ikone der Moderne zuständig ist. Das beeindruckende ist, dass es für jedes ursprüngliche Detail eine Lösung gibt.

DC: Das stimmt, es ist wie Archäologie.

Der Bau der Basilica Palladiana war einst auch eine Frage der Sanierung – Palladio musste einen Weg finden, mit dem historischen Gebäude umzugehen. Der architektonische Ausdruck ist eigentlich nicht der Ausgangspunkt für diese Art von Entwurf.

DC: Als wir nach Vicenza kamen, habe ich Giuseppe Zampieri gefragt – er stammt aus Vicenza und leitet unser Büro in Mailand –, ob er glaube, dass die Basilica Palladiana für die Menschen der damaligen Zeit ein Schock war. Wie haben die Leute damals wohl reagiert? Bei näherer Betrachtung hat die Basilica Palladiana eine vertraute Architektursprache, weil sie an eine frühere Sprache anknüpft. So waren die architektonischen Gesten leichter zu verstehen. Ich glaube, dass es bei der Basilica in diesem Sinn ein Gleichgewicht zwischen der Erfindung des individuellen Architekturgenies und der gesellschaftlichen Geste gibt. Bei der Eröffnungsveranstaltung der Ausstellung im Mai diesen Jahres saßen über 300 Menschen in den Arkaden der Basilica – und ich musste ihnen gegenüber zugeben: »Tut mir leid, etwas besseres als das kann ich nicht entwerfen.« Es gibt nichts Beeindruckenderes als Menschen zu sehen, die einen architektonischen Raum wie diesen als Ort der Begegnung für ein gemeinsames Ziel nutzen. Das ist genau die Qualität von Räumen, nach der wir suchen und die seit Jahrhunderten außergewöhnlich ist.

Die letzte Architektur-Biennale in Venedig legte den Schwerpunkt auf soziale Fragen und Prozesse in der Architektur. Die diesjährige Ausgabe mit dem Titel »Freespace« kehrt zu den Wurzeln der Architektur zurück und verhandelt ihre Grundbestandteile. Ähnelt diese Ausrichtung Ihrem »Common-Ground«-Konzept für die Biennale 2012?

DC: Ich glaube Sie haben Recht, und die Kuratorinnen haben mir gesagt, mein »Common-Ground«-Thema sei in gewisser Weise die Grundlage für ihre Idee gewesen. Sie haben meiner Ansicht nach den Architekten etwas mehr Freiraum gelassen als ich damals. Ich habe den Architekten das Leben schwer gemacht, ich habe ihnen gesagt, ich wolle ihre Architektur eigentlich nur dann in der Ausstellung sehen, wenn sie mir erklären könnten, was dahinter stecke. Bis wir auf einen gemeinsamen Nenner kamen, gab es häufig mehrere Gespräche.

Das diesjährige Konzept ist sehr breit gefächert – »Freespace« wird buchstäblich als Raum definiert, ist aber auch als Metapher gemeint. Wie ich es verstehe, geht es letztlich um eine architektonische Qualität, die sichtbar oder anwendbar sein muss.

DC: Ja, und das Gleichgewicht zwischen sozialer Präsenz und physischer Schönheit hat sich meiner Ansicht nach wieder ein bisschen weg vom Sozialen hin zur physischen Schönheit verschoben.

Manche Architekten der jüngeren Generation sind von der diesjährigen Architekturbiennale enttäuscht. Ihrem Eindruck nach wird die soziale Wirkung von Architektur als kurzzeitiger Aspekt abgehandelt und nicht als substanzielle Bewegung. Wie sehen Sie das?

DC: Ich glaube, die nächste Generation muss ihre Rolle als Architekten neu definieren. Ich selbst bin ein Dinosaurier, ich stehe für die alte Vorstellung, dass Architekten auf traditionelle Weise monumentale Gebäude bauen und an Qualität festhalten. In gewisser Weise bin ich eher in einer Linie mit Palladio. Aber unser gemeinnütziges Projekt in Galizien zum Beispiel, das neue Perspektiven der Identität einer ganze Region untersucht, zeigt meines Erachtens auch eine neue Art und Weise von Architektur, weil wir kein Gebäude antasten. Wenn wir erfolgreich für andere Projekte arbeiten, haben wir letzten Endes mehr Einfluss und können mit der Fundación RIA in Galizien mehr Sinnvolles tun, als wir mit einem einzelnen Gebäude anderswo tun können.

Foto: Sandra Hofmeister

Foto: Simon Menges

Foto: Sandra Hofmeister

Foto: Sandra Hofmeister

Foto: Sandra Hofmeister

Foto: Sandra Hofmeister

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