09.02.2023 Jakob Schoof

Der Workaround als Prinzip

Andreas Pilot, © TU Darmstadt

Digitale Modelle eignen sich perfekt, um faktenbasierte Entwurfsentscheidungen zu treffen und die interdisziplinäre Zusammenarbeit einzuüben. Die Kreativität muss darunter nicht leiden – aber an vielen Stellen ist Improvisationsgeist gefragt, sagt Andreas Pilot von der TU Darmstadt.

Integrale Konzepte, © CUBITYdigital - interdisziplinäres BIM-Projekt von Moritz Baur, Pascal Deutzer, Eric Klingebiel,
Yunqing Luo, Edgard Rudenko und Rebecca Stein an der TU Darmstadt

Sie haben 2019 das Building Information Modeling Studio am Fachgebiet Entwerfen und Gebäudetechnologie der TU Darmstadt mitbegründet. Mit welchem Ziel?
Uns geht es darum, die Kompetenz zukünftiger Generationen von Architekten und Vertreterinnen verwandter Ingenieurdisziplinen für die digitale Zusammenarbeit zu sichern. Dafür ist es wichtig, BIM als festen Baustein in Lehre und Forschung zu integrieren und in interdisziplinären Projekten zu verankern.

Wie binden Sie BIM in Ihrem Studio in die Architekturlehre ein? Bringen Sie den Studierenden die Bedienung bestimmter Programme bei, bieten Sie eigene Entwürfe an, die dann mit BIM geplant werden müssen, und wie verlaufen die Entwurfsbesprechungen?
Wir haben Lehrveranstaltungen etabliert, in denen 3D-Modelle nicht nur Teil der Abgabeleistung sind, sondern in denen sie bereits während der Projektbearbeitung genutzt werden. Beispielsweise lassen sich damit in interdisziplinären Planungsbesprechungen die eigenen Ideen besser vermitteln, oder die Modelle bilden die Grundlage für Variantenvergleiche hinsichtlich Nachhaltigkeitskriterien oder Flächeneffizienz. So werden dann auf substantiierten Grundlagen Entwurfs- und Planungsentscheidungen getroffen. Da unsere technischen und methodischen Konzepte auf openBIM basieren, können die Studierenden ein openBIM-fähiges Autorensystem frei auswählen. Für die Zusammenarbeit stellen wir das Common-Data-Environment und eine Virtual-Reality-Umgebung zur Verfügung. Der Zugang ist niederschwellig und wird durch kurze Tutorials unterstützt. Besprechungen, Präsentationen oder virtuelle Führungen in Virtual Reality basieren immer auf den aktuellsten 3D-Modellen. Pläne sind in den Abgabeleistungen für unsere BIM-Seminare explizit nicht gefordert.

Außenperspektive, © Brückenschlag - Neubeginn an der Ahr - Interdisziplinärer Entwurf mit BIM von Gentijana Kurtishi,
Max Niemert, Julia Pauly und Berkan Yirik an der TU Darmstadt

Es sei wichtig, sich die architektonischen Freiheiten nicht durch die Programme beschränken zu lassen, heißt es in einem Zitat auf der Homepage Ihres Studios. Wie gewährleisten Sie das in der Lehre?
Es ist keine neue Erkenntnis, dass es Studierenden besser gelingt, ihre Ideen und Konzepte zum Ausdruck zu bringen, wenn sie souverän mit entsprechenden Werkzeugen umgehen können. Das Spektrum der Möglichkeiten beinhaltet dabei skulpturales Arbeiten mit Ton genauso wie den Modellbau mit Pappe, das Skizzieren, Malen und Zeichnen auf Papier und das digitale Gestalten. Vor diesem Hintergrund haben wir festgestellt, dass die Studierenden ihr kreatives Potential bei BIM-Lehrveranstaltungen, bei denen wir zum Beispiel ein Baukastensystem bereitstellen, genauso nutzen wie bei klassischen Konzept- und Entwurfsworkshops, bei denen mit physischen Arbeitsmodellen und mit Bleistift auf Papier gearbeitet wird.

VR-Begehung, © BIM ganz praktisch - interdisziplinäres BIM-Projekt von Yven Herbst, Helen O’Gorman, Juri Reklin und Henri Schneider als “studio heyhej” an der TU Darmstadt und der Fachhochschule Erfurt

Wie gelingt es, das Skizzenhafte, Ungefähre früher Entwurfsideen mit digitalen Mitteln zu fassen?
Digitale Werkzeuge bieten aktuell kaum Möglichkeiten, mit Circa-Abmessungen zu arbeiten. Viele architektonische Ideen und konzeptionelle Ansätze leben aber genau davon, dass sie zunächst frei von Exaktheit kreiert werden. Eine wichtige Entwicklung wird dabei die Wiederbelebung der Diskussion um Umschärfelogik (Fuzzy Logic) sein, bei der Systeme auch Eingaben verarbeiten können, die nur ungefähr sind, wie beispielsweise „ein bisschen“, „ziemlich“ oder „sehr“. Die zukünftige Umsetzung in digitale Methoden und Werkzeuge wird dabei sehr interessant werden. Ganz praktisch gesehen integrieren wir im BIM-Studio das Ungefähre a priori in die Lehrmethoden: In den interdisziplinären Projekten liegt ein besonderes Augenmerk auf dem Zusammenspiel der exakten Ingenieurdisziplinen mit den unscharfen Konzepten früher Projektphasen. Dazu arbeiten wir mit Schätzungen, Varianten und Szenarien. Diese lassen sich in den Programmen aktuell häufig nur über Workarounds abbilden. Das ist etwas, dass die Studierenden auch in der Bearbeitung ihrer Projekte mit BIM lernen.

Außenperspektive, © CUBITYdigital - interdisziplinäres BIM-Projekt von Stefan Bingert, Yannis Fandel, Maximilian Gehring, Uday Kamel, Moritz Lüpke, Harun Popal und Jingyi Zhang
an der TU Darmstadt

BIM kann nützlich sein, um interdisziplinäres Arbeiten zu lernen. Wie organisieren Sie die interdisziplinäre Zusammenarbeit der Studierenden an Ihrer Universität?
Im Programm “xchange for innovation” der Technischen Universität Darmstadt verfolgen wir den Ansatz des Architectural Engineering – also der integralen, interdisziplinären und teamorientierten Entwicklung gemeinsamer Konzepte durch die Fachrichtungen Architektur und Bau- und Umweltingenieurwissenschaften. Darüber hinaus arbeiten wir auch mit anderen Universitäten und Hochschulen zusammen, etwa mit der FH Erfurt.

Modellbasiertes Tragwerkskonzept, © CUBITYdigital - interdisziplinäres BIM-Projekt von Stefan Bingert, Yannis Fandel, Maximilian Gehring, Uday Kamel, Moritz Lüpke, Harun Popal
und Jingyi Zhang an der TU Darmstadt

Auf welche Hürden stoßen Sie in der Lehre mit BIM – technische ebenso wie solche im Denken? Wo laufen die Dinge noch nicht so rund, wie Sie das gern hätten?
Studierende modellieren häufig schon in 3D. Allerdings werden die Modelle bislang selten als digitale Prototypen verstanden. Das ist ein Paradigmenwechsel, der für viele darauf aufbauende Fragestellungen den Weg ebnet. In der Praxis stoßen wir an vielen Stellen immer wieder an technische Grenzen der Anwendungen. Die Architektur- und Bauinformatik hat zwar jahrelang Lösungen entwickelt, die Anwender und Anwenderinnen haben diese aber kaum genutzt oder ausgereizt. Das wiederum hatte zur Folge, dass weder ein Praxistest noch eine Anpassung hinsichtlich der Bedienungsfreundlichkeit erfolgt ist. Vor allem interdisziplinäre Workflows haben sich daher kaum weiterentwickelt. Bis heute gibt es beispielsweise kein Modellierungswerkzeug, dass die Möglichkeiten des seit 2008 existierenden openBIM-Dateiformats Ifc 2x3 vollständig nutzt. Aber zum Glück ist hier in den letzten Jahren bereits vieles in Bewegung gekommen. In unseren Lehrveranstaltungen reagieren wir auf dieses Manko, indem wir Workarounds zum Prinzip erheben und eine selten gekannte Fehlerkultur etablieren. Beides sind wesentliche Grundlagen für eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit.

Integrale Konzepte Tragwerk und Technische Gebäudeausrüstung, © CUBITYdigital - interdisziplinäres BIM-Projekt von Lia Birmele, Mayur Gohel, Til Sommer, Fabian Weinhart,
Glenn Yacoub und Mingchen Xing an der TU Darmstadt

Die digitale Transformation bringt in rascher Folge neue Themen und Veränderungen mit sich. Curricula und Lehrangebote müssen so gestaltet sein, dass sie sich dynamisch an diese Veränderungen anpassen lassen. Dies zu vermitteln ist nicht immer leicht. Daher haben wir uns unter anderem am Positionspapier der Bundesarchitektenkammer zum Thema Digitalisierung in der Lehre beteiligt. Die Einführungsstrategien und die erfolgreiche Überwindung aktueller Hürden sind durchaus vielschichtig. Das Buch „Implementierung von BIM in der Lehre" von Tim David Lemmler und mir ist ein ausführlicher Beitrag dazu. Wir erleben, dass das Bild des Architektenberufs sich derzeit grundlegend wandelt: vom einsamen Universalgenie mit jahrzehntelanger, allumfassender Erfahrung hin zur Idee echter Teamleistung in Entwurf und Planung. Dafür bietet openBIM technisch und methodisch auf jeden Fall eine hervorragende Grundlage.

VR-Begehung, © Brückenschlag - Neubeginn an der Ahr - Interdisziplinärer Entwurf mit BIM von Gentijana Kurtishi, Max Niemert, Julia Pauly und Berkan Yirik an der TU Darmstadt

Welche technischen Neuerungen rund um die digitale Planung halten Sie für besonders interessant, sowohl im Hinblick auf die Lehre als auch für die Büropraxis?
Green BIM als kombinierte Methode aus Dekarbonisierung und Digitalisierung ist aktuell ein hoch diskutiertes Thema. Dazu werden wir in naher Zukunft auch funktionierende technische und modellbasierte Lösungen sehen. In Lehre und Forschung diskutieren wir das Thema schon länger. Doch jetzt wird es bald auch in der Praxis unverzichtbar werden, wenn man beispielsweise Förderkriterien für Bauprojekte erfüllen will. Wesentlich für die breite Anwendung von BIM ist derzeit die Standardisierung interdisziplinärer Prozesse – sowohl methodisch als auch in der technischen Umsetzung. Dazu lohnt sich beispielsweise ein Blick in die Richtlinie VDI 2552 Blatt 11.2. Sie beschreibt die vollständig modellbasierte Zusammenarbeit bei der Schlitz- und Durchbruchsplanung. Das heißt: Niemand muss die entsprechenden Prozesse und Standards für die eigenen Projekte nun noch neu entwickeln. Persönlich sehe ich bei den Entwicklungen rund um Virtual und Augmented Reality enorme Potenziale sowohl in der Lehre als auch in der Praxis. Sie ermöglichen einen niederschwelligen Zugang zur modellbasierten, interdisziplinären Zusammenarbeit. Gleichzeitig machen sie die Planung und Kollaboration immersiv und sinnlich erlebbar.

Andreas Pilot leitet seit 2019 an der Technischen Universität Darmstadt das BIM-Studio mit dem Fokus auf Lehre und Forschung zu modellbasierten und interdisziplinären Methoden. Er hat das BIM-Profi-Netzwerk BIM_ag mitgegründet, arbeitet bei buildingSMART mit, engagiert sich als Mitglied im VDI Fachausschuss BIM und als einer der Gremiumsvorsitzenden der Richtlinienreihe 11 der VDI 2552. Andreas Pilot arbeitet als Architekt, IT-Unternehmer und BIM-Manager. Dabei coacht er auch Architektinnen, Bauherren und Betreiberinnen zu BIM.


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