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BMW-Zentralgebäude in Leipzig (2005)
Folge 15
Architekt: Zaha Hadid Architects
Irgendwo auf dem Werksgelände steht das mehr oder weniger repräsentative Verwaltungsgebäude, darin die Normbüros, daneben die Kantine, davor die Parkplätze. So war es immer gewesen. Von hier aus streifen die Herren im weißen Kittel durch die lärmerfüllten Werkshallen und beaufsichtigen die Blaumänner und die Produktion. Anders BMW in Leipzig. Längst produzieren Roboter in blitzsauberen Hallen wie unter Laborbedingungen, längst sind die in der Produktion Beschäftigten so hoch qualifiziert wie die Schreibtischbelegschaft und tragen ebenso weiße Kragen. Hierarchien sind nicht mehr gefragt oder werden nicht mehr zur Schau gestellt. Man ist eine große Familie. Der Produktionsprozess hat sich auch verändert. Die lineare Werksstruktur ist einem sternförmigen Prinzip gewichen. Davon verspricht man sich mehr Flexibilität und kürzere Wege. Ein Stern hat ein Herz. »Zentralgebäude« heißt das Herzstück zwischen den Werkshallen bei BMW prosaisch. Es ist tatsächlich Herz und Hirn in einem. Es vereint die organisatorische und technische Verwaltung, die Qualitätskontrolle und die Sozialräume, und pumpt die Karossen von einer Halle zur anderen wie das Blut durch die Adern. So kommt es, dass man sich im Kasino seiner Rindsroulade widmet, während über den Köpfen lautlos 3er-Reihe-Rohlinge auf Förderbändern von der Karosseriepresse zur Lackiererei schweben. Das Defilee der meist silbern lackierten Karossen erfreut die Büroarbeiter, die dem Förderband von terrassenförmig ansteigenden Büroflächen zusehen können.
Schon die Anordnung der Parkplätze vor dem Haus bereitet auf Zaha Hadids Formenwelt vor. 4000 Stellplätze sind auf langen, zum Zentralgebäude hinführenden, abgeknickten Bahnen organisiert. Dort endet der Weg unter einem schräg von einer Werkhalle zur anderen spannenden Brückenbau. Darunter finden sich drei Drehtüren ins Foyer. Das ist der Eingang. Im Inneren zuerst der BMW-Devotionalienshop. Zur Linken an zwei schrägen Empfangstresen vorbei und unter einem mächtigen Betonrahmen hindurch gelangt der Besucher zum »Marktplatz«, -einer verbreiterte Verkehrsfläche mit einem Dutzend Tischgarnituren als Bistro. Alles wirkt zufällig. Er betritt einen in mehrere Richtungen fliehenden Raum, der zunächst für ihn nicht geschaffen scheint. Irgendwie fühlt man sich nicht willkommen. Der Nutzung entsprechende räumliche Qualitäten sind im Eingangsbereich nicht anzutreffen und der Besucher erkennt rasch, sie sind auch nicht angestrebt. Stattdessen viel Dynamik im Raum, in Scharen hinwegeilende Deckenspuren, Rampen mit entlang schießenden Geländern, Transportbrücken. Alles scheint in Bewegung. Die Farbpalette eher freudlos: Estrichgrau, Betongrau, Stahlgrau und Eternitgrau werden hier und da von Weißlack, rotbrauner Möblierung oder einer gelben Kranbahn akzentuiert. Und dann sind da noch die Karosserien, die auf ihren Prozessionen durch den Raum effektvoll blau angeleuchtet werden. In der Tat handelt es sich um einen bislang unbekannten Bautypus, ein multifunktionales Verbindungsgebäude. Abgeschlossen und durch Fenster einsichtig, sind Labors, der Gesundheitsdienst, die Küche und das Auditorium.
Die anderen Nutzungen, vor allem die über Treppen und Rampen erschlossenen Büroebenen, sind offen im Raumkontinuum organisiert, das vor allem eines leisten soll – die Mitarbeiter miteinander in Kontakt bringen, sie auf das gemeinsame Werk einschwören, ihnen ständig vor Augen führen, wofür sie sich engagieren. Deshalb die Transportbänder durch die Kantine. Deshalb auch die »öffentliche« Qualitätsprüfung, wo in einem sehr klinisch wirkenden Labor fertige Fahrzeuge wieder auseinander genommen und vermessen werden und die Diagnose am Schwarzen Brett aushängt, gedacht als Ansporn, empfunden -zuweilen als Tadel. Ob das Konzept funktioniert, ob die Belegschaft Zusammengehörigkeitsgefühle entwickelt und in gemeinsamer Anstrengung »ihr« Produkt in höherer Qualität liefert, werden die Arbeitspsychologen und Betriebswirtschaftler noch zu klären haben. Vielleicht können sie die Vermutung widerlegen, dass das Spazieren fahren der Karossen durch das Zentralgebäude nur ein überflüssiger Gag ist. Eine andere Frage stellt sich doch: Wie viel Hadid hat sich BMW geleistet? Die riesigen, von den Betriebsingenieuren entworfenen Werkshallen sind nicht mehr als die übliche Containerarchitektur mit Blechfassaden. Hadids verbindender Schlangenleib, wenngleich weitgehend umbaut, tritt durchaus als Blickfang hervor. Bei den recht banal konfektionierten Fassaden ließ sich Extravaganz wohl nicht realisieren. Die Grundrisse verraten mehr Pragmatik als bei ihren Entwürfen üblich. Verkehrswege, Abläufe, Raumfolgen und -charakter sind in weitem Maß plausibel und effektiv und haben die Architektur offenbar mehr bestimmt als umgekehrt. Man wird ein wenig an die organischen Grundrisse Hugo Härings erinnert. Hadids Widerstandskraft gegen den rechten Winkel allerdings bleibt ungebrochen. Rautenförmige Raumzuschnitte, springende Fenster, bizarre Treppen und schräge Streben gehören zur Grammatik ihrer Architektursprache, dynamische Sequenzen und perspektivische Dramatik zu ihrer Syntax. Die bizarre Splitterästhetik ihrer frühen Entwürfe ist abgemildert durch weiche Übergänge und runde Formen, die mehr Bewegung zum Ausdruck bringen. Ströme scheinen durch das Gebäude zu fließen, materielle wie spirituelle, und damit hat sie zweifellos die von BMW gewünschte Aussage getroffen. Dass in dem Haus vernünftig gearbeitet werden kann, spricht für ihre gewachsene Toleranz gegenüber den banalen Zwängen der -Nutzung und Ökonomie. Ihre früheren Bauherren waren nicht so gut bedient, mussten weit mehr Bau»kunst« akzeptieren. Hadid-Architektur ist tragbar geworden – ein Verdienst des umsichtigen BMW-Werksleiters Peter Claussen als Vertreter des Bauherrn und Zaha Hadids Projektleiter Patrick Schumacher. Doch die vollmundige Aussage, in Leipzig sei ein neues Zeitalter der Industrie(bau)kultur eingeläutet worden, darf wohl noch mit einem Fragezeichen versehen werden.