Im Diskurs
Bauwende als große Chance der Architektur?
Podiumsdiskussion „Bauwende“ an der TU München. © Lukas A. Pichelmann / LIEB.ICH
Studierende der TU München haben im Rahmen der Architekturjahresausstellung eine Podiumsdiskussion organisiert, um der Frage nachzugehen, welche gesellschafts-, bau- und bildungspolitischen Veränderungen für eine nachhaltig wirksame Bauwende nötig sind. Der Expertenkreis aus den TUM-internen Professoren Stephan Birk, Florian Nagler und Thomas Auer wurde dabei von Gästen aus den Bereichen der Architektur, des Handwerks und der Medien unterstützt, darunter Gerhard Matzig, Hermann Klos, Sophie Kotter, Marianne Baumgartner und Luca Camponovo.
Hermann Klos als Stimme des Handwerks im Diskurs. © Lukas A. Pichelmann / LIEB.ICH
Mit den Mitteln der Architektur
Der Bausektor trägt zum Großteil des weltweiten Emissionsausstoßes bei, der Begriff der Bauwende ist dabei in der Fachwelt wohl bekannt. Die immense Hebelwirkung der Bauwirtschaft auf das Klimaproblem dringt dagegen, wie der Architekturkritiker Matzig betont, noch zu wenig in den öffentlichen Diskurs. Doch auch die Fachmeinungen, wie und ob dieses Ziel konkret erreicht werden kann, gehen auseinander. Während der Schreinermeister Klos kritisiert, dass der notwendige Wandel seit Jahren nicht konsequent verfolgt wird, hält Nagler dagegen. Er sieht einen klaren Weg für die Wende: Seine Arbeiten zum Thema „Einfach Bauen“ legen den Fokus auf einen Einsatz der Mittel der Architektur selbst und verzichten dabei auf einen hohen Einsatz von Technik. Auch Sophie Kotter von Boltshauser Architekten erkennt ein Wachstum an alternativen Forschungsansätzen, die auf regenerative, rückbaubare und bezahlbare Materialien setzen, wie zum Beispiel Lehm.
Eine gesellschaftliche Utopie auf politischer Basis
Die Bauwende funktioniert, laut Gerhard Matzig, nur mit sozialer Akzeptanz. Er sieht dies jedoch als faszinierende Herausforderung der Architektur, im Umbruch einer neuen Epoche etwas Neues und Besseres zu schaffen, das die Menschen begeistert. Thomas Auer und Florian Nagler ergänzen, dass diese Transformation nur funktionieren kann, wenn die bequemen, gesellschaftlichen Standards an den Wandel angepasst werden. Als ökonomisch stärkster Sektor ist die Bauwirtschaft jedoch maßgeblich von politischen Entscheidungen abhängig, denn ohne entsprechende Gesetze bleiben viele Ideen wirkungslos. Auch Stephan Birk bekräftigt, dass es ein Umsetzungs- und kein Erkenntnisproblem gibt, das durch die Politik reguliert werden muss, um Veränderung möglich zu machen.
Florian Nagler über die Möglichkeit von „Einfach Bauen“. © Lukas A. Pichelmann / LIEB.ICH
Gastexpertise durch Architektin Sophie Kotter und Journalist Gerhard Matzig. © Lukas A. Pichelmann / LIEB.ICH
Das Potenzial in der Lehre
Im Plenum herrscht Einigkeit, dass die Lehre eine zentrale Rolle in der wirksamen Umsetzung der Bauwende spielt. Gerade Universitäten wie die TUM bieten Raum für innovative Ideen, Experimente oder auch zukünftige Leuchtturmprojekte, die einen Umschwung vorantreiben können. Die Schweizer Architektin Marianne Baumgartner sieht in der Ausbildung die Möglichkeit, von Anfang an ein breiteres Bewusstsein und Engagement für nachhaltiges Bauen unter den Studierenden zu schaffen. Auch der Einsatz künstlicher Intelligenz an Hochschulen und in der Praxis bietet die Chance, schnellere und fließende Bauprozesse zu gestalten, so Auer. Dennoch bleibt die Herausforderung, Strukturen zu schaffen, die diese disziplinübergreifende Forschung in der breiten Masse verankern.
Die Veranstaltung lockt eine Vielzahl an Studierenden in das Plenum. © Lukas A. Pichelmann / LIEB.ICH
Wie Florian Nagler treffend formuliert, ist Architektur immer komplex, mit Wende oder ohne. Die Podiumsdiskussion verdeutlicht jedoch, dass der Weg zu einer nachhaltigen Bauwende sowohl architektonische Innovationen als auch ein tiefgreifendes gesellschaftliches und politisches Umdenken erfordert, das sich auch in der Ausbildung zukünftiger Architekten und Planerinnen widerspiegeln muss. Das mag als langwieriger Prozess erscheinen, kann jedoch auch als Chance betrachtet werden, die Zukunft nachhaltig mitzugestalten.
Architekturjahresausstellung TUM: AJA - Work in Progress *Insights
Rahmenveranstaltung: Podiumsdiskussion „Bauwende“
Veranstaltungsort: TU München, Arcisstraße 21, 80333 München (DE)
Organisation: Eva Marie Schmidt, Thiade Langenhan
Expertenkreis: Stephan Birk, Hermann Klos, Sophie Kotter, Thomas Auer, Gerhard Matzig, Florian Nagler, Marianne Baumgartner & Luca Camponovo.