21.06.2012 popp@detail.de

Trojanisches Teehaus to-go - im Gespräch mit Terunobu Fujimori

Terunobu Fujimori ist einer der eigenwilligsten Architekten Japans. Seine Gebäude sehen aus wie einer anderen Welt entsprungen: surreal, humorvoll, fantastisch und durch ihre natürlichen Baumaterialien fast wie von selbst so gewachsen. Fujimoris Teehäuser, die oft so winzig sind, dass sie gerade einmal Platz für eine Handvoll Leuten bieten, müssen erklommen werden, bevor man ins Innere kommt. Dabei unterstützen sie das Gefühl von bewusstem Zelebrieren eines traditionellen Aktes, dem des Teetrinkens, und ermöglichen überdies ungewöhnliche Architektur zu rezipieren.

Ort: Villa Stuck, Prinzregentenstraße 60, D-81675 München
Eröffnung: 20. Juni 2012, 19.00 Uhr
Dauer: 20 Juni bis 16. September 2012

Walking Café im Garten Museum Villa Stuck, 2012; Foto: Bernd Schuller

Fujimoris Werk ist vielschichtig und sprüht vor Ironie und Witz. Er hatte sich in seiner Heimat Japan längst als Architekturhistoriker einen Namen gemacht, bevor er mit 45 Jahren die Seiten wechselte und anfing mit Vorliebe originelle und skurrile Teehäuser zu entwerfen. Doch sein Repertoire umfasst weitaus mehr. Eine wichtige Rolle in der Ausstellung nehmen auch seine postapokalyptischen Architekturutopien ein. Als kritischer Visionär setzt er sich mit der Frage auseinander: Wie könnten Städte wie München und Tokio in 100 Jahren nach einer Zivilisationskrise aussehen, wie können sie zurück zum Ursprünglichen, zum Einklang mit der Natur finden? Zudem werden Arbeiten seiner frühen Schaffensjahre gezeigt, die im Rahmen der von ihm und anderen namhaften japanischen Künstlern und Intellektuellen gegründeten »Roadway Observation Society« (ROJO) entstanden sind. In den späten 80ern hat sich die avantgardistische Gruppierung auf die Suche nach skurrilen urbanen Phänomen gemacht, die Gefahr liefen von der Stadtlandschaft verschluckt zu werden, und diese fotografisch dokumentiert.

Etwas haben alle Arbeiten Fujimoris gemeinsam: den Witz, das Spielerische und die Verbundenheit mit der Natur. Eigens für die umfangreiche Werkschau in der Münchner Villa Stuck, in der Modelle, Zeichnungen, Materialtafeln, Architekturpläne und Fotografien zu sehen sind, hat der japanische Architekt ein mobiles Teehaus entworfen, das unter Berücksichtigung nationaler Vorlieben bei der Getränkewahl »Walking Café« genannt wurde. DETAIL sprach mit Terunobu Fujimori und dem Kurator Hannes Rössler über die Intention seiner Architektur.

Auf drei Ebenen werden Modelle, Zeichnungen und Fotografien von Fujimori gezeigt; Foto: DETAIL

Fujimori beim Skizzieren im Garten der Villa Stuck; Foto: DETAIL

Terunobu Fujimori erklärt seine Vision von München in hundert Jahren, in der nur noch das Olympiastadion steht; Foto: DETAIL

DETAIL: Herr Fujimori, Sie sind ausgebildeter Architekt, haben sich zu Beginn Ihrer Karriere aber erst einmal mit der Architekturgeschichte befasst und sind als Theoretiker bekannt geworden. Welcher Impuls hat Sie dazu veranlasst, von der Theorie zur Praxis überzuwechseln?

Terunobu Fujimori: Schon als Student hatte ich große Freude am Entwerfen. Allerdings habe ich dann eine andere Spur eingeschlagen und mich entschlossen als Architekturhistoriker die Geschichte der modernen Architektur Japans zu beschreiben. Und als ich das Gefühl hatte, dies zur Genugtuung aller geleistet zu haben, konnte ich mich anderen Aufgaben zuwenden. Als dann 1990 mit dem Historischen Museum der Priesterfamilie Moriya die erste Auftragsarbeit kam, habe ich die Gelegenheit ergriffen, in die Praxis zu wechseln. Ich war damals 45 Jahre alt. Ich bin Architekt geworden, um zu bauen und nicht um Pläne zu zeichnen. Für mich gibt es zwei Arten von Architektur: »weiße« Architektur, die glatt, geschmeidig und abstrakt ist, die Art von Architektur, die wir kennen. Dann gibt es aber auch »rote« Architektur, die rau, individualistisch und primitiv ist. Ich denke, dass wir rot werden müssen, um als Menschheit zu überleben. Mein Werk ist tiefstes Blutrot.

Irisentei (Teehaus Irisien), 2010

Irisentei, Foto: Akihisa Masuda, Städtisches Kunstmuseum Chino

DETAIL: Sie sind in Japan besonders wegen Ihrer Teehäuser berühmt, die einerseits das Thema einer uralten japanischen Tradition aufgreifen, mit denen Sie andererseits etwas ganz Neues schaffen. Wie sind Sie dazu gekommen Teehäuser zu entwerfen? Terunobu Fujimori: Jeder japanische Architekt ist begeistert von Teehäusern, doch normalerweise wird für den Bau eines Teehauses kein Architekt angeheuert, sondern ein spezieller Zimmermann. Ich bin dazu gekommen Teehäuser zu entwerfen, weil ich tatsächlich einen Auftrag dafür bekommen habe. Viele meiner Teehäuser waren Aufträge. Doch als ich für den ehemaligen japanischen Premierminister Morihio Hosokawa das erste Teehaus gebaut habe, hatte ich das Gefühl, es nicht hergeben zu wollen. Und beim zweiten Auftrag dann in Kyoto war es ebenso. Ich war selbst erstaunt über dieses Gefühl nach der Vollendung. Im Vergleich zu den Teehäusern habe ich diese emotionale Bindung bei anderen Auftragsarbeiten nicht verspürt. Teehäuser sind ja relativ klein und der Bauprozess ist sehr intim. Durch diese Haptik und das mit den Händen bauen, habe ich einen sehr kindlichen, spielerischen Zugang. Nach der Erfahrung dieser zwei Auftragsarbeiten habe ich mich dann entschlossen, auch für mich selbst mal ein Teehaus zu bauen. Und danach sind dann immer mehr Aufträge gekommen. Ich orientiere mich beim Entwerfen eines Teehauses nicht an der Tradition, sondern will vielmehr etwas Neues schaffen. Die Teehäuser sind für mich architektonische Werke, eventuell können Sie auch wie eine Skulptur betrachtet werden, jedoch würde ich sie nicht als Kunstwerke bezeichnen. DETAIL: Welche Anforderungen gibt es beim Bauen eines Teehauses? Terunobu Fujimori: Das Bauen von Teehäusern knüpft an eine alte Tradition an. Es sind sehr kleine Räume. Doch obwohl es kleine Räume sind, sollen sie nicht erdrückend sein, sollen eben nicht klein erscheinen, das ist ein Widerspruch. Das ist der schwierigste Teil beim Entwerfen. Ich verwende modernste Techniken, wissenschaftliche Herangehensweisen, versuche aber, sie mit natürlichen Materialien zu umwickeln. Die modernen Techniken, die zum Einsatz kommen, sind wichtig. Ich bemühe mich jedoch sie im Blick der Betrachter zu verbergen. Die Menschen sind erst zu Menschen geworden, als sie begonnen haben sich mit Kleidern zu bedecken, genauso ist es bei meinen Teehäusern – natürliche Baustoffe umhüllen die moderne Technik im Inneren. Das tolle an meinen Teehäusern ist auch, dass sie so schön schwanken. Erst wenn alle Beteiligten zur Ruhe gekommen sind, kann die Teezeremonie beginnen.

Chashitsu Tetsu (Teehaus Tetsu), 2006; Foto: Akihisa Masuda, Städtisches Kunstmuseum Chino

DETAIL: Bei dem für die Villa Stuck entworfenen Teehaus kommt ein neuer Aspekt hinzu – die Mobilität. Dadurch bekommt Ihr Werk in einer Gesellschaft, die von der To-go-Kultur geprägt ist, eine besondere Aktualität. Wie lässt sich der meditative Charakter eines Teehauses damit vereinbaren? Terunobu Fujimori: Das hier ist tatsächlich anders als traditionelle Teehäuser. Allerdings ungeachtet dieses Kontexts: Wenn man drinnen sitzt, ist es eine sehr spirituelle, gleichzeitig aber auch kommunikative Erfahrung. Die Zeit vergeht wie im Flug, vier Stunden sind gar nichts. Es ist auch ein Raum, der einlädt, sich vom Alltag zu lösen und in sich zu gehen. Länger als vier Stunden bleibe ich niemals drinnen. Auch bei der traditionellen Teezeremonie sind vier Stunden der Rahmen. Bei der englischen Teezeremonie dem »afternoon tea« sind es übrigens auch vier Stunden, wohl auch, weil der Kuchen so groß ist. DETAIL: Halten Sie selbst Teezeremonien ab? Terunobu Fujimori: Ja, allerdings in der Regel nicht nur für mich alleine, sondern im kleinen Rahmen, für zwei oder drei Personen. Und im Vorfeld kommen die Einladungen so eine Woche vorher, dann treffe ich über eine Woche lang Vorbereitungen. Die ganze Freude daran ist, zu ergründen, was den Gästen persönlich gefallen könnte, zum Beispiel welche Motive, welche Blumen sie mögen, welches Teeservice ihnen am Besten gefällt. Und das wird dann im Vorfeld subtil ergründet, um dem Gast eine Freude zu bereiten. DETAIL: Sie haben schon öfter Projekte für Museen verwirklicht, so zum Beispiel das »Black Tea House« für die RMIT Gallery in Melbourne. Dabei ist die Herausforderung, die an die japanische Tradition angelehnte architektonische Ausdrucksform mit den kulturellen Gegebenheiten des Ausstellungsorts zu vereinen. Wodurch haben Sie einen Bezug zu München und zur bayerischen Kultur hergestellt? Terunobu Fujimori: Bayern sehe ich als eine Ort mit starken Persönlichkeiten. Und auch dieses Bauwerk hier ist unter meinen Teehäusern eines der charakterstärksten Gebäude, weil es eine besondere Ausstrahlung von Stärke hat. Die Art der Schindelung, der Schuppenpanzer aus Kupfer und Schindeln, ist hier zum ersten Mal an einem Teehaus von mir entstanden, sie hat auch etwas sehr Bayerisches, da eben die Holzschindelung der traditionellen lokalen Architektur entspricht. Ich habe nur Materialen aus der Region genutzt, nur Handwerksarbeiten, die vor Ort von lokalen Handwerkern entstanden sind. Nichts wurde in Japan vorbereitet. Studenten, Handwerker und Kinder haben mir dabei in Workshops geholfen. Was die äußere Erscheinung des »Walking Cafés« angeht, habe ich mich von einem Gemälde in der Alten Pinakothek in München inspirieren lassen: das »Schlaraffenland« von Pieter Bruegel d.Ä., auf dem ein aufgespießtes Schwein zu sehen ist. Es hat mich auf die Idee gebracht, für die Villa Stuck ein »trojanisches Schwein« zu bauen.

Fujimoris »trojanisches Schwein« im Garten Museum Villa Stuck, 2012; Foto: DETAIL

Schindelung aus Kupfer und Holz; Foto: DETAIL

Walking Café, Workshop bei Holzbau-Schmid, Trostberg; Foto: Museum Villa Stuck

Feburar 2012; Foto: Museum Villa Stuck

DETAIL: Welche deutsche Architektur begeistert Sie am meisten? Terunobu Fujimori: Der deutsche Architekt aus der Vergangenheit, den ich am meisten schätze, ist Peter Behrens. Bei ihm harmoniert wie bei keinem anderen der Wunsch, die Moderne und die Vormoderne zu vereinen. Dies spiegelt sich in der Wahl seiner Materialien wider. Moderne Materialien harmonieren wunderbar mit vormodernen Bauformen.

DETAIL: Herr Rössler, noch eine Frage an Sie als Kurator: Warum war es Ihnen ein besonderes Anliegen Fujimori nach München zu holen? Hannes Rössler: Fujimori ist in Japan sehr erfolgreich, sein erstaunliches Werk wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet, auf der Architektur-Biennale 2006 in Venedig gestaltete er den japanischen Pavillon. Zu Unrecht ist er in Europa jedoch fast unbekannt. Es scheint, als wäre sein Werk hier nicht wirklich lesbar, es ist voller Widersprüche und entzieht sich so unseren Begrifflichkeiten. Seine Typologie ist sehr speziell, sie ist sehr stark verankert in der japanischen Kultur. Sein Werk ist mutig, konzeptionell – wer die Häuser einmal gesehen hat, kann sie nicht mehr vergessen.

Fliegendes Lehmboot, 2010; Foto: Akihisa Masuda, Städtisches Kunstmuseum Chino

Studentenwohnheim der Kumamoto Landwirtschaftsschule, 2000, Foto: Akihisa Masuda, Städtisches Kunstmuseum Chino

Dachhaus, 2009; Foto: Akihisa Masuda, Städtisches Kunstmuseum Chino

Das Gespräch mit Terunobu Fujimori und Hannes Rössler führte Isabelle Rupprecht im »Walking Café« im Garten der Villa Stuck in München. Katalog: Michael Buhrs/Hannes Rössler (Hg.), Hatje Cantz Verlag, Ostfildern, mit Texten von Terunobu Fujimori, Dana Buntrock, Thomas Daniell, Toyo Ito und Hannes Rössler, 240 S., ISBN 978-3-7757-3322-9, € 35,– www.villastuck.de
www.hatjecantz.de
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