25.11.2019 Bettina Sigmund

Resiliente Brücken aus lebenden Wurzeln

Die verschlungenen Luftwurzeln des Gummibaums Ficus elastica der Meghalaya-Brücke sind äußerst stabil (Foto: Ferdinand Ludwig, TU München)

Die Baubotanik bezieht Pflanzen als lebende Baustoffe in eine hybride Bauweise ein. Durch das Zusammenwirken von pflanzlichen und technischen Konstruktionselementen, sowie von technischen Fügungen und pflanzlichem Wachstum entstehen stabile Strukturen. Der Begriff Baubotanik und das entsprechende Forschungsgebiet wurden im Jahr 2007 am Institut Grundlagen moderner Architektur (IGMA) der Universität Stuttgart entwickelt. Seit 2017 ist das Forschungsgebiet an der Professur für Green Technologies in Landscape Architecture an der Technischen Universität München angesiedelt. (DETAIL research berichtete im Beitrag Baubotanik: Lebende Architektur). Bei dem laufenden Forschungsprojekt Lebende Brücken arbeitet das Team der TU München mit der Plant Biomechanics Group der Universität Freiburg, dem Department for biotechnology and bioinformatics, North-Eastern Hill University, Shillong und dem Institute for Building Structures and Structural Design (ITKE) der Universität Stuttgart zusammen.

Wachsende Brücken
Ferdinand Ludwig, Professor am Lehrstuhl für Green Technologies in Landscape Architecture erklärt, dass sowohl traditionelle Holzbrücken als auch moderne Stahl- und Betonbrücken während des indischen Monsuns durch anschwellende Flüsse häufig an ihre bautechnischen Grenzen kämen. Stattdessen bewährten sich jedoch Brücken aus lebendenden Baumwurzeln, die teils schon Jahrhunderte überdauern – so auch im nordindischen Meghalaya-Plateau, von dem unzugängliche Täler und Schluchten in die weiten Flächen Bangladeschs führen. In den Monsunmonaten schwellen dort die Gebirgsbäche zu wilden Flüssen an. Um diese zu überwinden, bauten die indigenen Khasi- und Jaintia-Völker stabile Brücken mit mehr als 50 Meter Länge aus den lebenden, ineinander verschlungenen Luftwurzeln des Gummibaums Ficus elastica.

In Kooperation mit Thomas Speck, Professor für Botanik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, haben die Münchner 74 dieser lebenden Brücken analysiert, wissenschaftlich untersucht und die alten Bautechniken schriftlich dokumentiert. Um den Bauprozess besser zu verstehen, führten die Forscher auch Interviews mit den Brückenbauern, meist Einzelpersonen, Familien oder auch Dorfgemeinschaften, die die Brücken nutzen und instand halten. Aus tausenden von Fotos der komplexen Wurzelstrukturen wurden 3D-Modelle entwickelt, um das System zu verstehen und übertragbar zu machen. »Üblicherweise beginnt der Bauprozess mit einer Pflanzung: Wer eine Brücke plant, pflanzt einen Setzling des Ficus elastica an einem Flussufer oder am Rand einer Schlucht ein. Zu einem bestimmten Zeitpunkt ihres Wachstums entwickelt die Pflanze Luftwurzeln«, erklärt Thomas Speck. Über eine Hilfskonstruktion aus Bambusstangen oder Palmenstämmen werden die Luftwurzeln horizontal über den Fluss geleitet. Haben die Wurzeln das andere Ufer erreicht, werden sie dort eingepflanzt, entwickeln erneut Tochterwurzeln, die wieder zurück an das ursprüngliche Ufer gelenkt werden, wo sie erneut eingepflanzt werden. Durch verschiedene Schlingtechniken bilden die Wurzeln hochkomplexe Strukturen aus, so dass Brücken mit einer großen mechanischen Stabilität entstehen, die sich durch das stetige Pflanzenwachstum immer weiter verstärkt und erneuert wird. »Die Wurzeln reagieren auf mechanische Belastungen mit einem sekundären Wurzelwachstum. Außerdem sind die Luftwurzeln zu Verwachsungen fähig: Bei Verletzungen kommt es zur sogenannten Überwallung und Kallusbildung, ein Prozess, den man auch vom Wundverschluss bei Bäumen kennt. So können sich zum Beispiel zwei Wurzeln, die zusammengepresst werden, miteinander verbinden und verwachsen«, erläutert Thomas Speck weiter die besonderen Eigenschaften des Gummibaums.

Baubotanik für moderne Städte?
An dem Bau einer lebende Brücke sich oftmals mehrere Generationen über Jahrzehnte, teils sogar Jahrhunderte, beteiligt. »Die Brücken sind ein einmaliges Beispiel für vorausschauendes Bauen«, erklärt Ferdinand Ludwig. Die Erkenntnisse über die alten Techniken der indigenen Völker könnten dabei helfen, die moderne Architektur weiterzuentwickeln. In der Integration von Pflanzen ins Bauen sieht er eine Chance, Bauwerke – und besonders Städte – besser an die Folgen des Klimawandels anzupassen. ”Stein, Beton und Asphalt heizen sich bei hohen Temperaturen schnell auf, besonders in den Städten entsteht Hitzestress. Pflanzen sorgen für Kühlung und ein besseres Klima in der Stadt. Mit der Baubotanik muss nicht extra Raum für die Pflanzen geschaffen werden. Sie sind integraler Bestandteil der Bauwerke.

Wilfrid Middleton forscht im Rahmen seiner Dissertation zum Thema der Lebenden Brücken an der Professur für Green Technologies in Landscape Architecture an der Technischen Universität München

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