Nachbericht der Veranstaltung »my home is my castle«
(v.l.n.r.: Layla Keramat, Kerstin Sailer, Philip Tidd) Foto: Julian Wenninger
Gemeinschaft entsteht durch Kommunikation. Erst wer weiß, wie kommuniziert werden soll, kann die entsprechenden Räume dafür schaffen. Kerstin Sailer von der Bartlett School of Architecture in London sprach in einem Impulsvortrag über die soziale Komponente von Gemeinschaft. Layla Keramat, Executive Creative Director bei Spark Reply erörterte – nicht unkritisch – den digitalen Einfluss und Philip Tidd, Principal / Head of Consulting Europe bei Gensler fügte die räumlich, architektonische Komponente hinzu. Gemeinsam schufen sie den Auftakt für die mehrtägige Veranstaltung »have we met?«, die sich mit Vorträgen, Diskussionen und dem Workshop Community Design Lab mit der Rolle der Gemeinschaft in einer nicht selten einsamen, urban geprägten Gesellschaft auseinandersetzte. Konkretes Ziel war es, Ideen und konzeptionelle Ansätze zu bündeln und zu entwickelt, die das temporäre Wohnen für urbane Nomaden zum Vehikel für Gemeinschaft werden lassen – in München, aber auch global betrachtet. So einfach wie die »Zutatenliste« sich aber zunächst darstellt (Mensch + Digitale Dienstleistung + Raum = Gemeinschaft), ist die Thematik aber bei weitem nicht, wie sich in der angeregten Diskussion zeigte.
Wie möchten wir in Zukunft wohnen?
Digital vernetzt, lokal zuhause! Wieviel Nähe, Nachbarschaft und soziale Kontakte will der urbane Nomade lokal vor Ort? Welche Konstante benötigt eine sich ständig verändernde Gemeinschaft? Und welche Räume sind dafür erforderlich – baulich und virtuell? Ausschlaggebend für die Überlegungen und die Suche nach innovativen neuen Wohnformen ist das Bauprojekt Munich Urban Colab, das UnternehmerTUM gemeinsam mit der Stadt München im Kreativquartier in München bauen wird. Damit dieses Co-Working-Center ein Erfolg wird und eine hohe Anziehungskraft auf Entrepreneure der ganzen Welt hat, muss zwangsläufig darüber nachgedacht werden, diesen Menschen für die Zeit in München auch innovativen Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Dafür wurde von UnternehmerTUM in Kooperation mit MINI Living und Detail die Veranstaltungsreihe welcome home ins Leben gerufen, die in verschiedenen Formaten und Konstellationen unterschiedlichen Aspekten von Co-Living auf den Zahn fühlt.
The Social = Kommunikation
Wer eine Community kreieren möchte, muss sich erst einmal Gedanken darüber machen, welche Art der Gemeinschaft entstehen soll. Dreh- und Angelpunkt ist dabei – und da sind sich alle drei Experten einig – die Form der Kommunikation. Es geht nicht nur darum, Räume zu schaffen, die Menschen einfach nur zusammen bringen, sondern es müssen Gelegenheiten für eine bedeutungsvolle Kommunikation und Interaktion geschaffen werden.
Kersten Sailer betrachtet die moderne Rolle urbaner Nomaden aus der Historie heraus. »Die Lebensform des urbanen Nomaden ist relativ neu, und erst recht die entsprechenden Wohnformen. Fremde standen in früheren Jahrhunderten als Synonym für Bedrohung. Man wohnte nicht mit Fremden zusammen.« Deshalb gilt es auch heute noch, aus Fremden möglichst schnell Bekannte werden zu lassen und das Gefühl der Fremdheit einer Vertrautheit weichen zu lassen. Die meisten Städte und Wohnformen erreichen aber genau das Gegenteil: »Warum bauen wir Städte für einsame Menschen?«, fragt die Wissenschaftlerin.
Eine wichtige Rolle, um eine bedeutungsvolle Kommunikation und emotionale Beziehung zu anderen Menschen aufbauen zu können, spielt natürlich ein gewisses Level an persönlicher Nähe. Aber »Co-Presence alleine macht noch keine Community aus«, so Kerstin Sailer. Als gebautes (Negativ-)Beispiel führt sie das Co-Working & Co-Living-Projekt The Old Oak in London an. Was als innovatives Wohnexperiment für 550 urbane Nomaden gedacht war, stellte sich für manche als kaum noch erträgliche Kommerzialisierung von Wohnen und Leben dar. Hier gilt es einen schmalen Grad zwischen Komfort, Service, Kontrolle und Reglementierung auf der einen und Freiraum, Vielfalt, Aneignung und Kommunikation auf der anderen Seite zu finden.
The Digital = reale Interaktion
Layla Keramat geht sogar noch einen Schritt weiter und zeigt existierende Bespiele für, teils irritierende, digitale Dienstleistungen, die das Leben und Wohnen urbaner Nomaden in China vereinfachen sollen. Gesellschaft, Gemeinschaft und soziale Interaktion werden hier durch Apps und Dienstleistungsroboter angeboten, die ebenfalls lediglich auf die Aspekte Organisation, Komfort und Bequemlichkeit setzen. Zwischenmenschliche Faktoren, die befriedig werden müssen, um sich zuhause zu fühlen, werden dabei ausgeblendet. Ebenso findet auch eine Stereotypisierung des Entrepreneurs statt, die dieser multidisziplinären und multinationalen Zielgruppe nicht gerecht wird – weder das Alter, der persönliche Hintergrund noch die Erwartungen und Bedürfnisse sind einheitlich. Wer die richtigen Produkte – egal ob App oder Architektur – entwickeln möchte, muss die richtigen Fragen stellen. Die Interaktion zwischen den Menschen muss durch alle zur Verfügung stehenden Medien – sozial, digital und räumlich – zugelassen werden und nicht, wie häufig durch digitale Tools, weiter reduziert werden. Konflikte dürfen entstehen und dienen durch ihre Bewältigung der Bildung einer sozialen Gruppe. Ziel sollte es sein, andere zu motivieren, selbst Teil dieser Community zu werden: So unterschiedlich die Zielgruppe sein mag, es gibt gemeinsame Interessen: Lernen und den Horizont zu erweitern, Erlebnisse und Networking, Gesundheit und Wellness aber auch Spezialthemen wie Upcycling und Ehrenamt und Gutes tun etc. können als Antrieb und Keim für neue digitale Dienstleistungen – fern der üblichen Komfortschiene – dienen, die eine reale Interaktion fördern.
The Physical = Funktionsmix statt Funktionstrennung
Philip Tidd vom Architekturbüro Gensler leitet seine These für die räumlich-architektonischen Bedürfnisse des Co-Livings von den Erfahrungen des Büros mit Co-Working ab. Grundsätzlich sieht er in unserer modernen, global agierenden Arbeitswelt keine klare Trennung von Leben (also Wohnen) und Arbeiten mehr und eine Verschiebung bzw. ein Auseinanderdriften von Ort und Zeit. Während in vergangenen Jahrzehnten die Arbeit die Menschen kontrolliert und das Leben vieler im Gleichklang rhythmisiert hat, hat nun jedes Individuum die Möglichkeit, seinen eigenen Rhythmus zu finden oder seine eigenen Orte zu wählen. Die entsprechende räumliche Entwicklung die Bürogebäude und -organisationen seit den 70er-Jahren vollzogen haben (vom Einzelbüro zum effizienten, standardisierten Großraumbüro hin zu flexiblen, individuell nutzbaren Raumzonen und Angeboten), lässt sich nun auch auf das Wohnen bzw. das Co-Living übertragen. Wichtig für eine moderne und zeitlose Gesellschaft ist für Philip Tidd ein Funktionsmix – innerhalb eines Gebäudes oder zumindest innerhalb des Quartiers. Mit Lounges, Sofaecken, Cafés, Zonen zur Kontemplation und Kommunikation, sehen schon heute moderne Office- und Hotelwelten recht ähnlich aus. Der Übertrag auf das temporäre Co-Living ist nun der nächste Schritt.
Im Anschluss an die voll besuchte Veranstaltung in kreativem Ambiente im Weißen Saal, dem Atelier der Architekturstudenten der TU München, fand an zwei Tagen ein multidisziplinärer Workshop statt, um neue Ideen zu generieren, wie die Bildung einer Community forciert werden kann.
Weitere Informationen zu den spannenden Ergebnissen des Community Design Lab erhalten Sie hier.
Das Community Design Lab wird im Rahmen des Erasmus+ Programms der Europäischen Union BauHow5 durch die TU München in Kooperation mit UnternehmerTUM, MINI LIVING und DETAIL durchgeführt.
Partner:
Welcome home – Co-Living 2020, eine Initiative von: