28.10.2015 Christian Schittich

Landschaftsarchitektur als Prozess – Ein Interview mit Catherine Mosbach

Foto: Hisao Suzuki

DETAIL: Catherine Mosbach, was ist Ihre grundsätzliche Haltung in der Landschaftsarchitektur?
Catherine Mosbach: Mir geht es nicht darum, mit meinen Entwürfen Geschichten zu erzählen oder irgendwelche Ideen zu verwirklichen. Vielmehr versuche ich, allgemeine Lebensweisen in die Landschaft zu übertragen, wie bei einer Transkription. Ich bin schon glücklich, wenn die Leute meinen Entwurf verstehen und annehmen, ohne dass ich etwas erklären muss. Vor allem aber möchte ich jegliche Art von Mode vermeiden, denn im normalen Leben ist der Mensch ständig mit Moden konfrontiert. In der Landschaft muss er sich verlieren können, abschalten und entspannen.

Haben Sie während des Entwurfs ein Bild des fertigen Projekts vor Augen?
Nein, denn ein Landschaftsprojekt ist im Gegensatz zu einem Gebäude niemals fertig.
Die Landschaft verändert ständig ihr Gesicht: Mit dem Wetter, mit den Jahreszeiten, aber auch mit dem Wachstum der Pflanzen. Landschaft muss sehr geduldig sein, sie muss auch bei Regen oder im Winter bei Schnee ihre Qualitäten zeigen. Die Prozesse sind mir somit wichtiger als das fertige Bild.

Wie kam die Zusammenarbeit mit SANAA beim Louvre Lens zustande und wie liefen die Prozesse ab?

Der Kontakt zu den Architekten aus Tokio wurde über das MoMA in New York vermittelt, wo ich an einer Ausstellung teilnahm. Die beiden Partner von SANAA, Kazuyo Sejima und Ruye Nishizawa, wollten an dem Wettbewerb mitmachen und suchten dazu einen Landschaftsplaner aus Frankreich. Ich war schon immer an Architektur interessiert und fasziniert von Herzog und de Meuron, deren Projekte ich als Leonardo da Vinci-Stipendiatin des französischen Staates zu Beginn meiner Karriere studieren konnte. Das Werk von SANAA aber kannte ich vorher nicht, trotzdem hat die Zusammenarbeit dann sehr gut geklappt.

Wie können wir uns das vorstellen?
Während der Wettbewerbsphase lief die Kommunikation vor allem über das Internet ab. Überhaupt habe ich Kazuyo Sejima und Ruye Nishizawa in dieser Zeit nie persönlich kennengelernt. Denn als sie für den Wettbewerb nach Frankreich kamen, war ich terminlich verhindert, so dass sich die Architekten nur mit meinem Team treffen konnten. Insgesamt hatten wir nur etwa zwei bis drei Monate für Städtebau, Landschaftsgestaltung, Architektur sowie die Szenographie. Ich habe sofort damit begonnen, mir Gedanken zum Städtebau zu machen und sah die einzige Möglichkeit, mit dem ungünstig geschnittenen Grundstück umzugehen darin, die Bewegungsabläufe zu analysieren, um daraus ein Zirkulationssystem zu entwickeln. Wir schickten unsere Zeichnungen nach und nach an SANAA und haben erst einmal lange kein Feedback bekommen – etwa einen Monat lang, so dass die Zeit bis zur Abgabe langsam knapp wurde. Als wir vier Wochen vor Abgabe von den Architekten noch keine Vorstellungen zu dem Gebäude hatten, fing ich an den Park zu entwerfen – ohne das Museum. Mein Team und ich waren sich einig, dass das Gebäude in der Mitte liegen würde und die Architekten setzten es dann auch tatsächlich dort hin – in Form eines etwas modischen Gebildes. Zwei Wochen später aber übermittelten sie uns einen völlig veränderten Entwurf. Wir waren zuerst verärgert wegen der vielen Arbeit, die wir schon investiert hatten, merkten dann aber schnell, dass das neue Gebäude viel besser war und weit mehr zu unserem Park passte. Die Baukörper waren jetzt in die Länge gestreckt und viel klarer und einfacher. Die Architekten haben damit auf unseren Entwurf reagiert.

Ist das sonst nicht üblich?
Architekten sind es nicht gewohnt, ihre Ideen mit anderen zu teilen. Bei den meisten Projekten steht das Gebäude im Mittelpunkt und die Landschaftsarchitektur ist wie eine Art Teppich, den man zur Dekoration außen herum legt. Bei der Zusammenarbeit mit SANAA hatte ich das erste Mal das Gefühl, dass wir Landschaftsarchitekten vollkommen gleichberechtigt sind. Wir lagen mit unseren Vorstellungen auf einer Wellenlänge und beeinflussten uns gegenseitig und das führte zu einem optimalen Resultat, bei dem Landschaftsarchitektur und Gebäude perfekt harmonieren. Ich hatte nicht darum gebeten, dass die Architekten ihren Entwurf für das Museum noch einmal ändern, aber sie haben es gemacht, weil sie merkten, dass es dann besser passt. Das Gebäude wird dort – nicht zuletzt aufgrund der matt schimmernden Aluminiumhaut – zum Teil der Landschaft.

Welches ist Ihr Grundkonzept beim Louvre Lens?
Der Park hier ist nicht zentriert, alles wird durch die Bewegung, das Herumlaufen erlebt. Die Situationen verändern sich damit ständig, man steht nie vor einem Monument, sondern eher vor einer Schwelle, einer Lichtung, vor einer Wiese oder auch einer Aluminiumfassade. Gleichzeitig haben wir auch den Boden lebendig gestaltet. Die Morphologie habe ich dann aus den Moosen entwickelt, aus dem Prinzip, wie verschiedene Arten von Moosen Formen schaffen.

Im Moment arbeiten Sie zusammen mit dem französisch-Schweizer Architekten Philippe Rahm an einem etwa 70 Hektar großen Park in Taichung, Taiwan. Warum heißt dieser »Phase-Shift-Park«?
Er heißt Phase-Shift-Park, da das Mikroklima dort in verschiedenen ausgewiesen Zonen zwischen der vorhandenen feuchtheißen und gleichzeitig verschmutzten und einer kühleren, weniger feuchten und weniger verschmutzten Luft wechseln soll. Ausgehend von dem vorhandenen Zustand haben wir verschiedene Klimakarten angelegt: Eine für die Temperatur, eine andere, die die verschiedenen Grade an Feuchtigkeit aufgezeigt und schließlich eine für die Luftverschmutzung. Die Gradienten jeder dieser Parameter kreuzen und überlagern sich. Auf diese Weise entsteht eine Vielzahl von unterschiedlichen Mikroklimata und Atmosphären. Wir schaffen damit eine Art städtisches Utopia, indem wir lithosphärisches Design (Wasser, Topographie und Boden) mit atmosphärischem (Hitze, Feuchtigkeit und Schadstoffbelastung) verbinden.

Mit welchen Mitteln beeinflussen Sie das Mikroklima?
Durch spezielle Pflanzen sowie durch die von Philippe Rahm entworfenen und gebauten Strukturen, die die Luft kühlen oder beispielsweise be- oder entfeuchten.

Wie war Ihre Herangehensweise als Landschaftsarchitektin bei einem so großen Park?
Mein Ansatz ist grundsätzlich eher pragmatischer als konzeptioneller Art. Ich muss die jeweilige Situation verstehen und erleben, was den jeweiligen Ort auszeichnet. Ich verbrachte also einige Tage auf Taiwan, um die Besonderheiten der Insel zu verstehen: ihr Klima, ihre Morphologie. Mein Team und ich haben viel Zeit dafür aufgewendet, die Landschaft mit ihrem Bezug zum Meer zu analysieren und ihre äußeren Bedingungen zu verstehen. Danach habe ich angefangen zu zeichnen.

Sie zeichen Ihre Entwürfe von Hand und übergeben diese später an Ihr Team, das dann mit dem Computer weiterarbeitet. Welche Bedeutung hat das Zeichnen für Sie?
Ja, ich muss zeichnen um nachzudenken, nicht umgekehrt, Zeichnen ist wie Transkription. Es kann rein mechanisch sein, wie das Training beim Sport, einfach um sich fit zu halten. Und aus den Zeichnungen entsteht dann ein Prozess.

Können Sie das etwas genauer erklären?
Ich versuche, nicht akademisch eine schöne Form zu finden, sondern ein System einzuführen. Wenn man ein offenes System hat, passiert das, was passieren muss, beinahe von allein. Wie bei einer Art Zellteilung entstehen autonome Prozesse. Denn ohne ein System gibt es so viele Möglichkeiten von Störungen: technische, oder weil dem Bauherrn irgendetwas nicht gefällt. Ein System macht das ganze stringenter. Es geht dann nicht mehr darum, ob beispielsweise ein Platz hier oder da sein soll, sondern um Wiederholungen – um den Rhythmus. Die Musik ist wichtiger als die einzelne Form.

Foto: Catherine Mosbach

Foto: Catherine Mosbach

Foto: Catherine Mosbach

Foto: Agnes Pirlot

Foto: Agnes Pirlot

Foto: Catherine Mosbach

Foto: Catherine Mosbach

Foto: Catherine Mosbach

Foto: Catherine Mosbach

Foto: Catherine Mosbach

Foto: Catherine Mosbach

Foto: Catherine Mosbach

Foto: Catherine Mosbach

Foto: Catherine Mosbach

Grafik: Catherine Mosbach

Grafik: Catherine Mosbach

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