Alters- und demenzsensible Architektur

Klinikum Bamberg, Patientenzimmer vorher-nachher: Farbgestaltung und Zonierung schaffen eines eigenes Territorium im Mehrbettzimmer (Foto: BIfadA)

Der demographische Wandel unserer Gesellschaft ist vielerorts ein Thema und bereits 2013 gehörte jeder fünfte Bundesbürger zur Generation 65+. Besonders in der stationären Versorgung schlägt sich das steigende Durchschnittsalter der Deutschen nieder. Generell ist die Patientenzahl in Akutkrankenhäusern zwischen 2003 und 2013 um 25 % gestiegen, wobei sich der Anteil der über 65-jährigen im Bezugsjahr 2013 bei über 40 % befand. Bis 2030, wenn die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer in Rente gehen, ist ein weiterer starker Anstieg prognostiziert. Aktuelle Schätzungen des Statistischen Bundesamts gehen davon aus, dass dann zwei Drittel aller Patienten in Krankenhäusern der Generation 65+ angehören werden. Dazu kommt, dass bereits heute bei einem Großteil dieser Patienten mit zusätzlichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu rechnen ist. So leben nach Angabe der deutschen Alzheimer Gesellschaft derzeit in Deutschland ca. 1,6 Millionen Demenzkranke, 2050 wird sich ihre Zahl auf rund 3 Millionen erhöht haben. Für Kliniken bedeutet diese Entwicklung ein Umdenken: Neben der akut zu behandelnden Krankheit wird eine Zunahme zusätzlicher kognitiver Einschränkungen bis hin zur Demenzerkrankung bei der ambulanten und stationären Versorgung zu beachten sein. Die Robert Bosch Stiftung weist in ihrer 2016 veröffentlichten Studie GHoSt darauf hin, dass bereits heute 40 % aller Krankenhauspatienten über 65 Jahre an einer kognitiven Beeinträchtigung litten und ein Fünftel dieser Altersgruppe an Demenz erkrankt war. »Alte und ganz besonders an einer Demenz oder kognitiven Einschränkungen leidende Patientinnen und Patienten werden schnell zu ‚Sand im Getriebe’ im auf Effizienz ausgerichteten Krankenhausalltag mit seiner schwer zu begreifenden Umgebung«, meint Architektin Birgit Dietz vom Bayerischen Institut für alters- und demenzsensible Architektur (BIfadA) aus Bamberg. Neben einer höheren Belastung für das Pflegepersonal haben insbesondere Patienten mit Demenz eine längere Verweildauer und verursachen angesichts der Fallpauschalen höhere Kosten. Dabei kann eine alters- und demenzgerechte Architektur durchaus zur Aufenthaltsqualität dieser Patienten beitragen und damit den Heilungsprozess unterstützen. An dieser Stelle setzt der Ende April 2018 veröffentlichte Leitfaden für alters- und demenzsensible Architektur im Akutkrankenhaus an. Bestehend aus einer systematisch aufgebauten und online abrufbaren Sammlung lassen sich architektonische Planungshinweise für eine alters- und demenzsensible Architektur finden. Auf diese Weise entstand eine Art Planungsbibliothek, in der aktuelle Forschungsergebnisse und Vorschriften, gegliedert nach Räumen und Themen, zusammengetragen wurden. So lassen sich beispielsweise bei der Flurgestaltung Informationen zu Abmessung und Orientierung ebenso finden wie zu Raumklima, Akustik oder Licht. Checklisten und mit Positiv- und Negativbeispielen bebilderte Praxisfälle unterstützen den Online-Ratgeber. Dabei wurden folgende sechs Gestaltungsprinzipien zugrunde gelegt:
  • Sicherheit gewährleisten
  • Ressourcenorientiert Kompetenzen erhalten und damit Unabhängigkeit fördern
  • vertraute Gestaltung zur Förderung emotionaler Sicherheit
  • sensorische und geistige Anregungen bieten, ohne zu überfordern
  • Privatsphäre wahren
  • soziale Interaktion ermöglichen
Das Projekt unter der Leitung der Ingenium-Stiftung für Menschen mit Demenzerkrankung ist derzeit deutschlandweit einzigartig: Auf Grundlage einer evidenzbasierten Literaturrecherche von internationalen, wissenschaftlichen Forschungsarbeiten und Expertenempfehlungen wurden die vom BIfadA erarbeiteten Planungshinweise nicht nur gesammelt, sondern auch gemeinsam mit der Ingenium-Stiftung Ingolstadt in einen gerontologischen Gesamtzusammenhang eingebettet. In erster Linie richtet sich der Leitfaden an Planer von Krankenhäusern. Darüber hinaus wird mit den architektonischen Aspekten und ihren Auswirkungen hinsichtlich Verweildauer, Gesundung und Finanzierung auch die Ebene der Geschäftsführung und Verwaltung von Kliniken angesprochen. »Der neue Leitfaden ist zwar vorrangig für Architekten sowie Krankenhaus-Betreiber konzipiert, er soll aber ebenso Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Pflege oder z.B. Organisationen wie den Alzheimer Gesellschaften Hilfestellung bieten«, erläutert Winfried Teschauer von der Ingenium-Stiftung den weiteren Anspruch des Leitfadens. Er kann somit einen wichtigen Beitrag liefern, um künftige oder bestehende Krankenhauslandschaften derart zu gestalten, dass die Umgebung abnehmende kognitive und körperliche Fähigkeiten der Patienten weitestgehend assimiliert. Letzendlich werden wir alle – ob als Patient, Pfleger oder Angehöriger – von einer Umgebung profitieren, die Barrieren abbaut und sich unseren Bedürfnissen anpasst.
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