Die Post-Corona-Stadt ist Grün
Stadtplaner, Klimaforscher und Gesundheitsfachleute fordern im Zuge von Ausgangs- und Reisebeschränkungen mehr Grün für die Stadt. Foto: Herbert Dreiseitl
Ist es nicht erstaunlich, wie schnell Änderungen möglich sind? Dort, wo sich sonst stinkende Blechkonvois durch die Straßen zwängten, waren plötzlich wieder Vögel zu hören. Die Menschen konnten ruhig über die Straßen gehen – mit dem gebührenden Abstand versteht sich – und erlebten Stadtgrün als Quelle physischen und mentalen Wohlbefindens. Irgendwie hat das Corona Virus über Nacht das geschafft, was Politiker, Planer und Umweltaktivisten über Jahrzehnte nicht vermochten. Und wie geht es jetzt weiter?
Vielfach wird laut, dass wir nicht mehr zurück zum alten Zustand sollten, sondern die Chance nutzen mögen für eine Veränderung zu einem nachhaltigeren Lebensstil. So spricht der Klimaforscher Joachim Schellnhuber von einem „Klima-Corona-Vertrag“ und fordert von den Älteren jetzt umgekehrt Solidarität mit der jungen Generation, da diese die Folgen des Klimawandels in ihrem Leben viel stärker spüren wird. Anders als das Coronavirus ist die Klimakrise für die Menschen zunächst nicht unmittelbar lebensbedrohlich, aber in ihrer Auswirkung umso dramatischer und unumkehrbar.
Aktuell zu spüren waren und sind die Auswirkungen der Corona-Pandemie. In der Zeit der drastischen Ausgangsbeschränkungen beispielweise haben viele Menschen den Wert ihres Wohnraums neu erlebt und vorhandene Balkone, Dach- und Hausgärten besonders schätzen gelernt. Grünflächen und Parks belebten sich zusehends durch Fußgänger und Radfahrer. Gerade der „Shut Down“ machte deutlich, dass wir dieses in Beziehung-Treten mit der Natur brauchen, um physisch, sozial und mental gesund zu bleiben. Das ist der Biophilia-Effekt – die Liebe zur Natur und zu allen Lebewesen. Vielfältiges Grün dient zudem der Biodiversität, verringert Lärm, Luft- und Wasserverschmutzung, dämpft die Wirkungen extremer Wetterereignisse und bietet Schutz vor Überschwemmungen, Dürren und Hitzewellen.
Urbanes Bauen im Wandel
Entwickler, Planer und Architekten sind bereits auf dem Weg, einen Paradigmenwechsel herbeizuführen und nachhaltigen Städtebau, ökologische Gebäude sowie blau-grüne Infrastrukturen intensiver einzusetzen.
Die Krise setzt neue Denkanstöße, so hat die Stadt Singapur beispielsweise jetzt Programme einer interdisziplinären Arbeitsweise in die Wege geleitet, bei der Gesundheitsfachleute und Stadtplaner viel stärker zusammenarbeiten für „Healthy Cities in a Post-Pandemic World“.
Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo spricht von der „15-Minuten-Stadt“, in welcher die Bewohner ihre täglichen Wege zu Fuß, mit dem Rad oder öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen. Die Arbeitswelt hat ja jetzt erlebt, dass Homeoffice und Videokonferenzen Wege verkürzen oder ganz überflüssig machen. Und ein verändertes Mobilitätsverhalten wirkt sich auf die benötigte Infrastruktur in den Städten aus.
Auf Europäischer Ebene sind neue Programme, Normen und Finanzierungen in Vorbereitung. So wird die neue Europäische Plattform für die Begrünung der Städte die Anpflanzung von Bäumen, auch im Rahmen des LIFE-Programms, erleichtern.
Städte ab 20 000 Einwohnern sind aufgefordert, bis Ende 2021 ehrgeizige Pläne für die Begrünung auszuarbeiten. Dazu gehören Maßnahmen zur Schaffung von biologisch vielfältigen städtischen Wäldern, Parks und Gärten, Stadtbauernhöfen, begrünten Dächern und Mauern, Alleen, städtischen Wiesen und Hecken. Zudem geht es um die Unterbindung von Pestizid-Einsatz und von Praktiken, die die biologische Vielfalt schädigen – wie übermäßiges Mähen.
Die Pläne für die Begrünung der Städte werden auch eine zentrale Rolle bei der Verleihung der Titel „Grüne Hauptstadt Europas 2023“ und „Grünes Blatt Europas 2022“ spielen.
Neue Chance
Bei allem Leid hat die Corona-Pandemie auch etwas Gutes, da die Bereitschaft zur Veränderung in der Gesellschaft in Krisenzeiten am Größten ist.
Es geht jetzt um die Eindämmung des Klimawandels und die Schaffung einer lebenswerten und resilienten Urbanen Landschaftsarchitektur. Gesunde Ökosysteme müssen systematisch in die Stadtplanung einbezogen werden: bei der Gestaltung öffentlicher Räume, bei der Planung von Gebäuden und in der kontextuellen gesunden Einbettung in die Umgebung.
Wir dürfen diese Chance nutzen für einen Wertewandel mit Priorität auf eine gesündere Umwelt gerade in der Stadt und damit einen gesellschaftlichen Gewinn, für die Gesundheit der Menschen und damit mehr Hoffnung für künftige Generationen.
Über den Autor:
Herbert Dreiseitl ist als Landschaftsarchitekt, Stadtplaner und Professor ein international geachteter Experte für seine Pionierleistungen. Seit über drei Jahrzehnten arbeitet er weltweit auf dem Gebiet der lebenswerten Stadtentwicklung mit Fokus auf innovative nachhaltige Nutzungen und klimatisch angepasste Lösungen auch von urbanen Wassersystemen. Dreiseitl hat 1980 das Atelier Dreiseitl in Überlingen gegründet (heute Ramboll Studio Dreiseitl) und ist heute mit Entwurf und Beratungsleistungen in seinem eigenen Studio DREISEITLconsulting GmbH international tätig.