22.01.2015 Jakob Schoof

Vielfalt ist Trumpf: Staatspreis für Architektur und Nachhaltigkeit vergeben

Fünf Gebäude erhielten am 13. Januar in Wien den Österreichischen Staatspreis Architektur und Nachhaltigkeit. Die Preisträger und Nominierten zeigen die ganze Bandbreite nachhaltigen Bauens in der Alpenrepublik. Bestimmt wurden die Jurydiskussionen aber auch  von einem Neubau, der die ökologische Architektur revolutionieren sollte – und letztlich leer ausging.
Der Staatspreis für Architektur und Nachhaltigkeit wird seit 2006 alle zwei Jahre vom österreichischen Ministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft ausgeschrieben. Insgesamt 74 Einreichungen gab es diesmal, die nahezu die komplette Bandbreite der möglichen Bauaufgaben abdeckten. Zwölf dieser Objekte wählte die Jury in die engere Auswahl; fünf davon prämierte sie letztlich mit einem Staatspreis. Die Bandbreite reicht vom Kindergarten bis zum Justizzentrum und von der Wohnhaussanierung bis zur Logistikhalle. Im Einzelnen wurden ausgezeichnet:
Kindergarten Muntlix, Zwischenwasser, Vorarlberg
Bauherrin: Gemeinde Zwischenwasser
Architektur: HEIN architekten
Fachplanung: DI Bernhard Weithas GmbH, Gernot Thurnher ZT GmbH

Kindergarten in Zwischenwasser, HEIN architekten mit Bernhard Weithas und Gernot Thurnher, Foto: Kurt Hoerbst

Betriebsgebäude Schachinger Logistik, Hörsching, Oberösterreich
Bauherrin: Schachinger Immobilien und Dienstleistungs GmbH und Co KG
Architektur: Poppe Prehal Architekten ZT GmbH
Fachplanung: GBT Planung GmbH TB, Freudenthaler GmbH

Betriebsgebäude in Hörsching, Poppe Prehal Architekten mit GBT Planung und Freudenthaler GmbH, Foto: Kurt Hoerbst

Justizzentrum Korneuburg, Niederösterreich
Bauherren: BIG Bundesimmobiliengesellschaft m.b.H., Bundesministerium für Justiz
Architektur: ARGE Dieter Mathoi Architekten & DIN A4 Architektur ZT GmbH
Fachplanung: Energieeffizientes Bauen Herz & Lang GmbH

Justizzentrum in Korneuburg, ARGE Dieter Mathoi/DIN A4 Architektur mit Herz & Lang, Foto: Kurt Hoerbst

Wohnhaus, Sanierung, Wien-Währing
Bauherren: Jutta Moll-Marwan und Daniel Marwan
Architektur: bogenfeld architektur
Fachplanung: Ingenieurbüro für Bauphysik Ing. Wolfgang Kögelberger, Xaver Peter

Wohnhaussanierung in Wien, Bogenfeld architektur mit Wolfgang Kögelberger und Xaver Peter, Foto: Kurt Hoerbst

Wohnhaus »Wohnprojekt Wien«, Wien Leopoldstadt  
Bauherrin: SCHWARZATAL Gemeinnützige Wohnungs- und Siedlungsanlagen-GmbH
Architektur: einszueins architektur
Fachplanung: RWT plus ZT GmbH, raum & kommunikation

Wohnprojekt in Wien, Einszueins architektur mit RWT plus und raum & kommunikation, Foto: Kurt Hoerbst

Interessant ist die Auswahl nicht nur aufgrund ihrer vielfältigen Nutzungen und Typologien, sondern auch wegen der unterschiedlichen ökologischen und sozialen Schwerpunkte bei der Planung. Der Kindergarten in Muntlix ist ein Holzbau in Reinkultur »ökologisch konsequent bis zum kleinsten Detail« (so die Jury) und verfügt als Besonderheit über einen neun Zentimeter starken Lehmstampfboden – eine Premiere für ein öffentliches Gebäude in Österreich. Die Schachinger-Logistikhalle besteht ebenfalls weitgehend aus Holz – einschließlich des Tragwerks – und ist damit das erste Gebäude dieses Typs und dieser Größe aus dem nachwachsenden Rohstoff. Beheizt wird sie über eine Grundwasser-Wärmepumpe; bei der Gebäudehülle wurde Wert auf gute Wärmedämmung und – insbesondere im Bereich der Laderampen, wo 400 Lkws täglich andocken – hohe Luftdichtigkeit gelegt. Das flächenmäßig größte Preisträgerobjekt – und gleichzeitig eines der größten Passivhäuser in Europa - ist das Justizzentrum Korneuburg mit 33.000 m² Netto-Nutzfläche. Der Neubaukomplex vereint ein Gerichtsgebäude und eine Justizvollzugsanstalt – auch dies eine Premiere im Passivhausbau. Eher der Größenordnung »S« entspricht die Sanierung eines 20er-Jahre-Wohnhauses in Wien – und weist doch für ein Einfamilienhaus recht stattliche Abmessungen auf. Die Architekten brachten den Altbau mit einer Außenwanddämmung, Kastenfenstern und neuer Gebäudetechnik fast auf Passivhausstandard – und bewiesen dabei doch großes gestalterisches Feingefühl. Komplettiert wird dies durch ein intelligentes Raumkonzept, das die spätere Teilung des Hauses in zwei einzelne Wohnungen erlaubt. Eher der soziale Aspekt stand beim »Wohnprojekt Wien« auf dem ehemaligen Nordbahnhofgelände der österreichischen Hauptstadt im Vordergrund. Der aus einem Bauträgerwettbewerb hervorgegangene Neubau gehört einer Baugruppe, weist 40 Wohnungen und zahlreiche Gemeinschaftsräume auf, darunter ein Mehrzwecksaal, Büroflächen, eine Gemeinschaftsküche, Werkstätten und ein Probenraum.

Bürogebäude in Lauterach, Dietrich/Untertrifaller Architekten, Foto: Kurt Hoerbst

Verwaltungsgebäude in Vandans, Hermann Kaufmann Architekten, Foto: Kurt Hoerbst

Unter den sieben Objekten, die zwar für die engere Auswahl nominiert, aber letztlich nicht preisgekrönt wurden, finden sich einige viel publizierte Neubauten der letzten Jahre. Dazu zählen zum Beispiel das Verwaltungsgebäude der Illwerke im Montafon von Hermann Kaufmann Architekten sowie der Bürobau der i+R Gruppe von Dietrich/Untertrifaller in Lauterach. Sie werden ebenso wie die Preisträger in der vorbildlich gestalteten Wettbewerbsdokumentation vorgestellt, die auf der klima:aktiv-Website zum Download bereitsteht.  

Eine »positive Provokation« sorgt für Diskussionen
Lesenswert sind auch die in der Dokumentation festgehaltenen Statements zu einem Gebäude, das im vergangenen Jahr viel Medienresonanz erfuhr und auch unter den Juroren für kontroverse Diskussionen sorgte: das Bürogebäude »2226« von be baumschlager eberle in Lustenau. Juror Otto Kapfinger nannte es eine »positive Provokation«, bekannte aber auch, auf ihn wirke der Neubau formalistisch. Die Züricher Architektin Marianne Burkhalter sagt: »Das Gebäude in Lustenau reflektiert diese Auseinandersetzung mit dem Thema auf provokative Art und Weise. Als Statement und Manifest der heutigen, für uns Architektinnen immer zwingenderen Vorschriften und Gesetze.« Der Juryvorsitzende Roland Gnaiger betont die Langlebigkeit von »2226«: »Dieses Haus, davon bin ich überzeugt, kann sehr alt werden; gleich jenen mehrhundertjährigen Stadthäusern, die an Aktualität nie verlieren.« Deutlich kritischer äußert sich Robert Lechner vom Österreichischen Ökologie-Institut: »2226 definiert sich als Postulat gegen das ‚Technische’, verweigert Lüftungsanlage, Heizung, Klimatisierung und Dämmstoffe. Realisiert wurde eine mit je zwei Motoren betriebene Fensterlüftung, macht 200 Motoren nur fürs Lüften. Die massive 80-cm-Außenwand ist doppelt so dick als notwendig. Gedämmt wird also schon, aber etwas aufwendig. Der Technikverzicht erweist sich als hochtechnisiertes Konstrukt, wo Beleuchtung oder Computer als Notheizung agieren, egal ob wer da ist oder nicht.« Und Helmut Krapmeier vom Energieinstitut Vorarlberg urteilt salomonisch: »Der diskutierte Bau ist hinsichtlich der Nachhaltigkeit ein positiver Beitrag zur Vielfalt der Konzepte.« Er rechnet jedoch vor, dass die von den Architekten vorgelegten Energieverbrauchswerte schon vor 15 Jahren von den damals besten Bürobauten um rund 50 % unterschritten worden seien. Sowohl Krapmeier als auch Gnaiger gewinnen dem Technikverzicht bei »2226« aber auch etwas Positives ab: »Auf 1.220 m² breitet sich in einem unserer Preisträgerprojekte die Technik aus. ‚2226’ genügt dafür eine Besenkammer«, so der Juryvorsitzende.

Fazit: Vielfalt ist Trumpf im nachhaltigen Bauen in Österreich – auch dank des provokanten baulichen Statements von be baumschlager eberle. Der Staatspreis Architektur und Nachhaltigkeit legt davon ein eindrückliches Zeugnis ab.
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