14.07.2011 Frank Kaltenbach

St. Pius-Kirche in Meggen

Das Gemeindezentrum St. Pius von Franz Füeg aus dem Jahr 1966 setzt bis heute Maßstäbe, und wird in seiner Konsequenz der reinen Konstruktion und Materialverwendung bis heute von keinem anderen Bau erreicht: Während die Kirche von außen als sachlicher weißer Stahlbau erscheint, leuchten die nur 28 mm dünnen Marmorwände im Innern in den Farben des Tageslichts auf. Der gesamte 13 Meter hohe Kubus verwandelt sich mit einfachsten Mitteln in einen sakralen Erlebnisraum, der einen unvergesslichen Eindruck hinterlässt.

Architekt: Franz Füeg
Dem flüchtigen Autofahrer wird bei der Ortsdurchfahrt von Meggen, einer Nachbargemeinde von Luzern, die Kirche St. Pius nicht weiter auffallen. Bei einer Begehung verblüfft jedoch die Intensität, die die gesamte Anlage nach wie vor ausstrahlt. Die geometrische Strenge und die Klarheit der Proportionen verhelfen dem Bau, sich vor der gewaltigen Bergkulisse des Vierwaldstätter Sees und inmitten der heterogenen Wohnbebauung zu behaupten; das Weiß des Marmors scheint einen Dialog mit den entfernten Gletschern einzugehen. Im Innenraum setzt sich diese Dialektik fort durch den Kontrast zwischen dem Rhythmus der 74 scharfkantig gewalzten Stahlstützen und der malerischen Struktur der Wandfüllung aus Naturstein. Die von außen reinweißen, polierten Wände leuchten von innen morgens bläulich und bei Abendsonne honiggelb und strahlen mit ihrer samtrauen Oberfläche eine starke emotionale Wärme und stoffliche Präsenz aus.

Foto: Frank Kaltenbach

Ganz der sachlichen Architektursprache Mies van der Rohes verpflichtet, schließt sich Füeg in den 1960er-Jahren mit Alfons Barth, Hans Zaugg, Fritz Haller und Max Schlup zur so genannten Solothurner Schule zusammen. Wie Haller arbeitet auch Franz Füeg mit einem übergeordneten Raster (1,68 / 1,68 m), um Gebäuden und Außenanlagen eine strenge Ordnung zu geben, verwendet für Pfarrheim, Pfarrwohnung und Kirche einheitliche, außen liegende Stahlstützen.

Foto: Frank Kaltenbach

Nordfassade mit den unscheinbaren Eingängen, der Kirchturm und die Baumbepflanzung bilden den Vorplatz.

Foto: Frank Kaltenbach

Die Mies‘sche Ecklösung der außen liegenden Stahlstützen. Im Gegensatz zu vielen Gebäuden von Mies van der Rohe sind hier die sichtbaren Stützen jedoch nicht vorgehängt, sondern tragend. An den Längsseiten tragen sie die Wand und die Dachkonstruktion aus filigranen Fachwerkträgern, an den Stirnseiten tragen die Stützen nur die Marmorplatten und sich selbst. Die Eckstützen bilden jedoch einen Fachwerkverband im Innern über die Ecke. In der Ecke verläuft unsichtbar das Fallrohr der Dachentwässerung.

Foto: Frank Kaltenbach

Der Tiefhof als Puffer zur Durchgangsstraße. von hier gelangt man über breite Freitreppen zur Kirche hinauf oder links der Treppe in die Theresienkapelle im Sichtbetonsockel bzw. rechts der Freitreppe zu den Jugendräumen, die nachträglich in den Sockelbau integriert wurden.

Foto: Frank Kaltenbach

Im südlich vorgelagerten Sockel der St. Piuskirche ist die Theresienkapelle untergebracht. Der Innenraum wird dramatisch von einem runden Oberlicht als einziger Tageslichtquelle erhellt, von außen ist diese Lichtkuppel kaum wahrnehmbar.

Foto: Frank Kaltenbach

Auf dem Raster von 1,68 x 1,68 ist nicht nur die Kirche, sondern die gesamte Anlage aufgebaut. Die Topografie des leichten Hanges überhöht Füeg mit einem Sockel aus Sichtbeton, der eine terrassenartige Anlage bildet und Distanz zum banalen Umfeld schafft. Entscheidend ist dieses Umfeld auch für den Weg zum unscheinbaren Eingang in der Bordfassade als geistige Vorbereitung zum Gottesdienst.

Foto: Frank Kaltenbach

Von außen nicht sichtbar: Der oberste durch einen Kämpfer abgesetzte Kranz aus Marmorplatten ist mit nur 20 mm Dicke um 8 mm dünner als die darunter liegenden Platten.

Foto: Frank Kaltenbach

Je nach Lichtstimmung wirkt die Marmorfassade fahlweiß, bläulich oder leuchtend orange. Der wechselnde Sonnenstand zeichnet sich an den wandernden Schatten der Stützen auf dieser marmornen »Leinwand« wie bei einer Sonnenuhr ab.

Foto: Frank Kaltenbach

Auch die »Portale« zur Kirche sind aus Marmorplatten, die in Stahlprofile eingelegt sind. Wie Tapetentüren erscheinen sie von außen unscheinbar.

Foto: Frank Kaltenbach

Von Innen leuchten die Türen jedoch vor der Wand im natürlichen Licht auf. Währen die Wandplatten mit 28 mm Dicke das Licht nur durchschimmern lassen, erstrahlen die nur 20 mm dicken Platten der Türen heller.

Foto: Frank Kaltenbach

Die Altarwand gliedert der Architekt, indem er symmetrisch vertikale Streifen aus hellerem Marmor mit Streifen aus dunklerem Marmor abwechselt. Die Dicke ist durchgehend gleich mit 28 mm. Lediglich der rundum laufende Oberlichtkranz besteht aus 20 mm dickem Marmor.

Foto: Frank Kaltenbach

Die Längswände sind ebenfalls subtil mit der Maserung des Marmors gegliedert und reflektieren die drei Raumzonen der Kirche: Vorraum vor der Empore mit Orgel, Sitzreihen der Gemeinde und der Altarbereich.

Foto: Frank Kaltenbach

Die Empore mit Orgel. Aus statischen und akustischen Gründen war hier Stahlbeton erforderlich. Unter der Empore sind ein Stuhllager und die Sakristei hinter Holzwänden untergebracht. Die barocken Heiligenfiguren hat die Gemeinde in den 1970er Jahren angebracht.

Foto: Frank Kaltenbach

Auf der heiligen Mittelachse sind das Taufbecken und der Altar aufgereiht. Es handelt sich um eine Sichtachse, die bewusst nicht begangen werden kann, da anstelle des Mittelganges mit der üblichen Trennung in Männer und Frauen zwei Gänge zum Altar die Sitzreihen unterteilen.

Foto: Frank Kaltenbach

Der heute 90-jährige Architekt beschreibt den Bau, als sei er erst gestern fertig geworden: Glasmalereien lehnte der Purist als ­verunklärenden Zierrat ab. Der ursprünglich angedachte Onyx oder Alabaster erwies sich als nicht witterungsbeständig. In Carrara, einem der größten Handelszentren für Naturstein, wird er auf den Pentelischen »Dionysos«-Marmor aufmerksam, aus dem zweieinhalbtausend Jahre zuvor die Blöcke des Parthenon geschnitten wurden. An der Außenseite sind die Platten geschliffen, um der Witterung und Verschmutzung weniger Angriffsfläche zu geben, die Oberfläche der Raumseite ist zur Verbesserung der Akustik und um Lichtreflexe zu vermeiden, sägerau.

Foto: Frank Kaltenbach

Im Hintergrund des Kirchenvorplatzes links das Pfarrheim und rechts die Pfarrwohnung. Dazwischen ein offener Grünbereich.

Foto: Frank Kaltenbach

Die Pfarrwohnung mit dem vorgelagerten Garten hat Blick nach Süden in Richtung See.

Foto: Frank Kaltenbach

Während bei der Kirche die IPB 240 Träger auf dem Rastermaß von 1,68 stehen, sind beim Pfarrheim und der Pfarrwohnung dieselben Profile auf jedem dritten Rasterfeld, was ein wirtschaftliches Maß von 5,04 m ergibt.

Die Gesamtanlage strahlt trotz der strengen zugrund liegenden Ordnung eine zwanglose Atmosphäre aus, die der Gemeinde viel Raum gibt, um sich zu entfalten. Dass die Menschen Ihr Gemeindezentrum nach wie vor schätzen, zeigt allein der ausgezeichnete bauliche Zustand, der seit der aufwändigen Sanierung Ende der 1990er Jahre bis heute anhält.


Detail Artikel aus dem Jahr 1967:

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