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Skizzen einer Erfolgsgeschichte: 30 Jahre Artemide Tolomeo
Grafik: Artemide
Den Erfolg der Tolomeo erklärt sich Architekt und Designer Michele De Lucchi, seit 1987 gemeinsam mit Giancarlo Fassina Urheber der berühmten Aluminiumleuchte, immer mit denselben Parametern: Er entstand zunächst aus einer tiefen Freundschaft – zu Artemide-Gründer Ernesto Gismondi – und dem damit verbundenen Mut, neue Wege im Leuchtendesign zu gehen. Dazu erfüllt das Objekt auf simple und unaufdringliche Art funktionale und formale Qualitäten, ist vielseitig einsetzbar und wird als offenes Konzept stetig weiterentwickelt. Das charakteristische Aussehen – klassisch konischer Schirm, schlanke und flexibel ausrichtbare Struktur, Federzug-Konstruktion und teils doppelter Lichtaustritt – ist in jeglichen Formaten, Farben und Formen adaptierbar. Im Laufe von 30 Jahren blieb das Design jedoch in den Grundzügen erhalten, auch wenn die neu eingesetzte (LED-) Technologie es längst nicht mehr erfordert. Ein Blendschirm wäre nahezu überflüssig, das Federausgleichssystem müsste kaum mehr Gewicht kompensieren und die obere Lichtöffnung ist ohnehin nur noch reine Nostalgie. Trotz dieser formalen Konstanz ist das Kind der Postmoderne Tolomeo nicht stehengeblieben. Genauso wie die italienische Leuchtenschmiede Artemide selbst. Sie verfügt über ein beispielloses Portfolio, einen ungebrochenen Innovationsdrang und pflegt Kooperationen mit den namhaftesten Architekten und Designern weltweit. Vizepräsidentin von Artemide, Architektin und Produktdesignerin Carlotta de Bevilacqua bezeichnet diese in erster Linie als Freunde denn als Geschäftspartner. Während De Lucchi, langjähriger Wegbegleiter des Unternehmens, das Objekt als zentralen Ausgangspunkt seines Schaffens sieht, widmet sich de Bevilacqua vorzugsweise der Erforschung von Lichttechnologie. Im Gespräch mit beiden wird deutlich, warum genau diese Mischung ein Erfolgsrezept darstellt.
DETAIL: Herr De Luchhi, als Gründer und Mitglied der Bewegung Memphis haben Sie in den 1980er-Jahren gegen die akademisch geprägte, rein funktionelle Designkultur, den Überfluss an Produkten und die Rolle des Designers innerhalb des Produktionsprozesses protestiert. Nun sind Sie selbst Professor für Design an der Politecnica di Milano. Was lehren Sie Ihre Studenten, vielleicht ebenso rebellisch, ebenso mutig zu sein?
Michele De Lucchi: Ich selbst war ein Schüler von Ettore Sottsass, er hat mich sehr geprägt. Er wollte allerdings niemals lehren und tat es nur, weil er es tun musste. Anfang der 2000er-Jahre wurde ich dann zum Professor ernannt und gelangte in dieselbe Situation, denn ich war sehr skeptisch, was meine Lehrkompetenzen angeht. Es hat sich aber herausgestellt, dass Lehre die beste Art ist, um selbst zu lernen. Ich lehre, um mit der jungen Generation in Kontakt zu kommen und um zu sehen, wie diese heutzutage an Architektur herangeht. Wir selbst können nur unsere Erfahrung, unser Wissen und unser Selbstvertrauen weitergeben. Ich denke dennoch, die Studenten heutzutage haben es viel schwerer, als wir damals.
Inwiefern? Was hat sich in den letzten Jahrzehnten in der Herangehensweise an die Entwurfstätigkeit, ob als Architekt oder Produktdesigner, geändert?
MDL: Es hat sich eine Menge geändert. Wir hatten damals nur wenige Meister oder Referenzpunkte und konnten unsere eigene Persönlichkeit besser entfalten. Heute gibt es viel mehr Vorbilder und es ist komplizierter geworden, einen eigenen Weg zu gehen. Dazu hat sich der Lebensstil gewandelt und wir leben in einer Zeit großer technologischer Entwicklungen. Es ist schwieriger, diese Fülle an Informationen in einem Produkt oder einem Werk zusammenzubringen.
Denken Sie ein Designobjekt oder ein Bauwerk von vornherein in seiner Gesamtheit oder als Produkt vieler einzelnen Details?
MDL: Ich entwerfe in erster Linie Objekte, wobei auch ein Bauwerk ein Objekt ist, das Raum definiert. Ich sage immer: Ein Objekt in der Natur erzeugt eine Landschaft, ein Objekt im Innenraum erzeugt eine Atmosphäre.
Carlotta de Bevilacqua: Wir könnten meinen, in unserer digitalisierten Umgebung würden Gegenstände überflüssig werden. Aber das ist falsch. Wir werden immer eine Bibliothek haben, in die wir Bücher stellen wollen, denn daran können wir uns besser orientieren, wir wissen, wo wir etwas finden. Wir brauchen Gegenstände, die wir nicht sofort wegschmeißen, sobald wir sie nicht mehr brauchen. Das schafft Werte, die nicht nur leistungsbezogen sind.
Herr De Lucchi, lassen Sie sich bei Ihrer Arbeit auch von regionalen Einflüssen inspirieren? Ihre Bauwerke in Georgien beispielsweise sprechen eine ganz andere Sprache als das, was Sie in Italien gebaut haben.
MDL: Tatsächlich war die Vorgabe in Georgien, sehr extravagante Gebäude zu entwerfen. Es sollte bewusst etwas ganz anderes sein, als die bestehende Sowjetarchitektur. Es sollte etwas sein, worauf man stolz sein kann, sozusagen einen neuen »georgischen Stil« prägen. Für einen Architekten ist es sehr interessant, etwas mit symbolischem Wert zu entwerfen. Ich würde sagen, es ist die schönste Herausforderung.
Zurück zu Ihrer Arbeit für Artemide. Das Unternehmen bindet immer wieder traditionelles Handwerk in das Design ein, wie beispielsweise jahrhundertealte Techniken der Glasbläserei. Sie selbst definieren alle Formen zunächst in geschnitzten Holzmodellen. Welche Erkenntnisse aus dem Handwerk fließen in Ihre Arbeit ein?
MDL: Ich betrachte alles als Handwerk, was mit der Hand gemacht wird. Und alles, was mit der Hand gemacht wird, kann Fehler generieren. Aber das ist ein Vorteil. Ich selbst experimentiere sehr viel. Pro Jahr baue ich 20 Prototypen meiner Entwürfe, dazu skizziere ich mehrere Stunden am Tag. Die Angst vor Fehlern ist der beste Weg, um Innovationen zu schaffen.
Vor welche Herausforderungen stellt Sie eine Innovation wie die LED? Die Tolomeo verdankt ihre Form ja der Glühbirne. Nun werden die Leuchten immer reduzierter, minimalistischer, vielleicht weniger formenreich. Welche Auswirkungen hat das auf Ihre Arbeit, wo Sie beim Entwurf eher am Objekt und an der Form interessiert sind?
MDL: Es gibt auch dekorative Entwürfe mit LED, wie die Leuchte LED Net beispielsweise, die ich ebenfalls für Artemide entworfen habe. Die LED ist ja nur eine Möglichkeit und sie schränkt manchmal auch ein, denn meist sind die Lichtquellen fest montiert. Mit austauschbaren Leuchtmitteln hat man mehr Freiheit im Design. Ich würde das Thema aber anders betrachten. Die Frage ist: Wie kann ich eine Leuchte entwerfen, die heutigen Bedürfnissen entspricht? Eine, die überall funktioniert, sei es im Zusammenspiel mit traditionellen oder modernen Möbeln, sei es in einem formellen oder informellen Umfeld, sei es im Büro, Zuhause oder im Ladengeschäft. Ich bekomme sehr viele Informationen zu Innovationen und technologischen Entwicklungen über das Unternehmen. Aber diese sind nicht der Ausgangspunkt meiner Arbeit. Ich finde meine Ergebnisse, indem ich Gegenständen eine Bedeutung gebe.
Frau de Bevilacqua, Sie betrachten die Aufgabe Lichtdesign von einer eher wissenschaftlichen Perspektive.
CdB: Und einer humanistischen. Es gibt keine Wissenschaft ohne Humanismus und umgekehrt. Das ist meine Herangehensweise.
Für Sie ist Licht ein Material, Sie suchen nach einem Design, das Emotionen schafft, dazu erforschen Sie kulturelle Veränderungen, um passende Lösungen für das menschliche Wohlbefinden zu schaffen. Welche Erkenntnisse aus Ihrer forschungsnahen Herangehensweise können Sie an Planer weitergeben?
CdB: Ich maße mir nicht an, Ratschläge zu erteilen, aber was wir alle wissen, ist dass wir Licht, Luft und Wasser brauchen, um zu leben. Über die physikalische Komponente hinaus, die wahrnehmungsfähige Wellenlänge, ist Licht in Zukunft auch wichtig in Hinblick auf Intelligenz. Wir sind in der Lage, über Licht und optische Fasern Informationen und Daten zu transportieren. Wir können Lichtquanten und Wellenlängen also für weitere intelligente Zwecke einsetzen, als nur zur Beleuchtung. Auch diese Interpretation kann zu einem besseren Leben beitragen. Gleichzeitig bedeutet Licht Energie, und das ist ohnehin in Hinblick auf Nachhaltigkeit ein wichtiger Aspekt.
Sie sind beide Architekten. Welche Auswirkungen haben technologische Entwicklungen im Hochbau auf Ihre Arbeit, zum Beispiel im Kontext von Bürobauten der Trend zum Großraum, in dem verschiedene Bedürfnisse individuell steuerbares Licht erfordern, wo also mehr oder weniger das Licht den Arbeitsbereich rahmt?
CdB: Auch hier spielt intelligente Datenübertragung eine Rolle, unter der Prämisse zweier Faktoren: der Rhythmus des menschlichen Lebens und der Rhythmus des natürlichen Lichts. Künstliche Lichtquellen können in Echtzeit über das »Internet der Dinge« gesteuert werden. Das können Sensoren sein, aber jeder kann auch zum Protagonisten dieser Steuerung werden und verantwortlich dafür sein, diesen Rhythmus ideal für sich anzupassen. Man nimmt dadurch seinen Privatraum oder seinen Arbeitsraum anders wahr und spürt die damit verbundene Dynamik.
Inwiefern sollte diese Steuerung aus Sicht von Artemide automatisch geschehen, oder ist es besser, Lichtsituationen aktiv zu steuern und manuell zu verändern?
CdB: Interaktion ist wichtig. Wir wollen immer auch eine Wahrnehmung schaffen, eine physische, manuelle Interaktion, wie im Kontext der Bücher vorhin. Aber wir brauchen beides. Physische Interaktion hat eine erzieherische, kulturelle Komponente. Erst wenn du gelernt hast, etwas zu nutzen, lernst du auch, verantwortlich damit umzugehen, in Hinblick auf Konsum beispielsweise. Wir arbeiten viel in diese Richtung und haben mehrere Patente für Produktentwicklungen. Eines davon heißt »Target Point«, das wir zusammen mit der Universität von Padua entwickelt haben. Dabei geht es um ein fortschrittliches Interaktionssystem zwischen Lichtquelle und Umfeld. Farbtemperatur und Lichtqualität stehen in ständigem Informationsaustausch mit den vorherrschenden Ambientebedingungen. Sie ändern sich wahrnehmbar, und auch nur für einzelne Raumbereiche oder individuelle Bedarfssituationen. Daher auch der Name. Wir schaffen also eine Interaktion zwischen Licht und Objekt, gleichzeitig eine Interaktion mit unseren menschlichen Bedürfnissen.
MDL: Als ich jung war, hatte jeder Raum eine einzige Lichtquelle in der Mitte. Wenn man sich hingegen heute hier umschaut, sind zehn verschiedene Leuchten im Raum, die jeweils eine eigene Aufgabe übernehmen. Beleuchtung hat nicht mehr nur eine einzige Funktion, sondern wird zu einer ganzen Installation. In einem Büro sind es Allgemeinbeleuchtung, Arbeitsbeleuchtung, Stimmungslicht, die in Abhängigkeit von Raummaßen, Raumnutzung und Raumflexibilität bestimmt werden können. Aber diese geben dem Raum noch keine Persönlichkeit. Das ist der Grund, warum ich an Objekte glaube.
Artemide hat schon mit zahlreichen Architekten und Designern zusammengearbeitet, die Rang und Namen haben. Chipperfield, Herzog & de Meuron, Nouvel, Thun, Foster. Liegt das daran, dass Architekten im Leuchtendesign einen Weg sehen, technische Raffinessen mit visuellen Qualitäten, fast kunstvollen Formen zu verbinden? Gehen Sie gezielt auf Kollegen zu oder wie kommen diese Kooperationen zustande?
CdB: Wir gehen auf die Architekten zu und Designer kommen eher auf uns zu. Aber alles geht von einer guten Freundschaft aus, wir teilen dieselben Werte. Architekten betrachten Licht im räumlichen und humanistischen Kontext. Im Ergebnis ist es ein Objekt, und letztendlich ist es Schönheit, aber zunächst ist es das tiefere Verständnis des Phänomens Licht. Es ist typisch italienisch, etwas zu synthetisieren, was dem Nutzen dient. Künstler und Wissenschaftler in einem zu sein, das ist doch das Geheimnis italienischen Designs.
DETAIL: Herr De Luchhi, als Gründer und Mitglied der Bewegung Memphis haben Sie in den 1980er-Jahren gegen die akademisch geprägte, rein funktionelle Designkultur, den Überfluss an Produkten und die Rolle des Designers innerhalb des Produktionsprozesses protestiert. Nun sind Sie selbst Professor für Design an der Politecnica di Milano. Was lehren Sie Ihre Studenten, vielleicht ebenso rebellisch, ebenso mutig zu sein?
Michele De Lucchi: Ich selbst war ein Schüler von Ettore Sottsass, er hat mich sehr geprägt. Er wollte allerdings niemals lehren und tat es nur, weil er es tun musste. Anfang der 2000er-Jahre wurde ich dann zum Professor ernannt und gelangte in dieselbe Situation, denn ich war sehr skeptisch, was meine Lehrkompetenzen angeht. Es hat sich aber herausgestellt, dass Lehre die beste Art ist, um selbst zu lernen. Ich lehre, um mit der jungen Generation in Kontakt zu kommen und um zu sehen, wie diese heutzutage an Architektur herangeht. Wir selbst können nur unsere Erfahrung, unser Wissen und unser Selbstvertrauen weitergeben. Ich denke dennoch, die Studenten heutzutage haben es viel schwerer, als wir damals.
Inwiefern? Was hat sich in den letzten Jahrzehnten in der Herangehensweise an die Entwurfstätigkeit, ob als Architekt oder Produktdesigner, geändert?
MDL: Es hat sich eine Menge geändert. Wir hatten damals nur wenige Meister oder Referenzpunkte und konnten unsere eigene Persönlichkeit besser entfalten. Heute gibt es viel mehr Vorbilder und es ist komplizierter geworden, einen eigenen Weg zu gehen. Dazu hat sich der Lebensstil gewandelt und wir leben in einer Zeit großer technologischer Entwicklungen. Es ist schwieriger, diese Fülle an Informationen in einem Produkt oder einem Werk zusammenzubringen.
Denken Sie ein Designobjekt oder ein Bauwerk von vornherein in seiner Gesamtheit oder als Produkt vieler einzelnen Details?
MDL: Ich entwerfe in erster Linie Objekte, wobei auch ein Bauwerk ein Objekt ist, das Raum definiert. Ich sage immer: Ein Objekt in der Natur erzeugt eine Landschaft, ein Objekt im Innenraum erzeugt eine Atmosphäre.
Carlotta de Bevilacqua: Wir könnten meinen, in unserer digitalisierten Umgebung würden Gegenstände überflüssig werden. Aber das ist falsch. Wir werden immer eine Bibliothek haben, in die wir Bücher stellen wollen, denn daran können wir uns besser orientieren, wir wissen, wo wir etwas finden. Wir brauchen Gegenstände, die wir nicht sofort wegschmeißen, sobald wir sie nicht mehr brauchen. Das schafft Werte, die nicht nur leistungsbezogen sind.
Herr De Lucchi, lassen Sie sich bei Ihrer Arbeit auch von regionalen Einflüssen inspirieren? Ihre Bauwerke in Georgien beispielsweise sprechen eine ganz andere Sprache als das, was Sie in Italien gebaut haben.
MDL: Tatsächlich war die Vorgabe in Georgien, sehr extravagante Gebäude zu entwerfen. Es sollte bewusst etwas ganz anderes sein, als die bestehende Sowjetarchitektur. Es sollte etwas sein, worauf man stolz sein kann, sozusagen einen neuen »georgischen Stil« prägen. Für einen Architekten ist es sehr interessant, etwas mit symbolischem Wert zu entwerfen. Ich würde sagen, es ist die schönste Herausforderung.
Zurück zu Ihrer Arbeit für Artemide. Das Unternehmen bindet immer wieder traditionelles Handwerk in das Design ein, wie beispielsweise jahrhundertealte Techniken der Glasbläserei. Sie selbst definieren alle Formen zunächst in geschnitzten Holzmodellen. Welche Erkenntnisse aus dem Handwerk fließen in Ihre Arbeit ein?
MDL: Ich betrachte alles als Handwerk, was mit der Hand gemacht wird. Und alles, was mit der Hand gemacht wird, kann Fehler generieren. Aber das ist ein Vorteil. Ich selbst experimentiere sehr viel. Pro Jahr baue ich 20 Prototypen meiner Entwürfe, dazu skizziere ich mehrere Stunden am Tag. Die Angst vor Fehlern ist der beste Weg, um Innovationen zu schaffen.
Vor welche Herausforderungen stellt Sie eine Innovation wie die LED? Die Tolomeo verdankt ihre Form ja der Glühbirne. Nun werden die Leuchten immer reduzierter, minimalistischer, vielleicht weniger formenreich. Welche Auswirkungen hat das auf Ihre Arbeit, wo Sie beim Entwurf eher am Objekt und an der Form interessiert sind?
MDL: Es gibt auch dekorative Entwürfe mit LED, wie die Leuchte LED Net beispielsweise, die ich ebenfalls für Artemide entworfen habe. Die LED ist ja nur eine Möglichkeit und sie schränkt manchmal auch ein, denn meist sind die Lichtquellen fest montiert. Mit austauschbaren Leuchtmitteln hat man mehr Freiheit im Design. Ich würde das Thema aber anders betrachten. Die Frage ist: Wie kann ich eine Leuchte entwerfen, die heutigen Bedürfnissen entspricht? Eine, die überall funktioniert, sei es im Zusammenspiel mit traditionellen oder modernen Möbeln, sei es in einem formellen oder informellen Umfeld, sei es im Büro, Zuhause oder im Ladengeschäft. Ich bekomme sehr viele Informationen zu Innovationen und technologischen Entwicklungen über das Unternehmen. Aber diese sind nicht der Ausgangspunkt meiner Arbeit. Ich finde meine Ergebnisse, indem ich Gegenständen eine Bedeutung gebe.
Frau de Bevilacqua, Sie betrachten die Aufgabe Lichtdesign von einer eher wissenschaftlichen Perspektive.
CdB: Und einer humanistischen. Es gibt keine Wissenschaft ohne Humanismus und umgekehrt. Das ist meine Herangehensweise.
Für Sie ist Licht ein Material, Sie suchen nach einem Design, das Emotionen schafft, dazu erforschen Sie kulturelle Veränderungen, um passende Lösungen für das menschliche Wohlbefinden zu schaffen. Welche Erkenntnisse aus Ihrer forschungsnahen Herangehensweise können Sie an Planer weitergeben?
CdB: Ich maße mir nicht an, Ratschläge zu erteilen, aber was wir alle wissen, ist dass wir Licht, Luft und Wasser brauchen, um zu leben. Über die physikalische Komponente hinaus, die wahrnehmungsfähige Wellenlänge, ist Licht in Zukunft auch wichtig in Hinblick auf Intelligenz. Wir sind in der Lage, über Licht und optische Fasern Informationen und Daten zu transportieren. Wir können Lichtquanten und Wellenlängen also für weitere intelligente Zwecke einsetzen, als nur zur Beleuchtung. Auch diese Interpretation kann zu einem besseren Leben beitragen. Gleichzeitig bedeutet Licht Energie, und das ist ohnehin in Hinblick auf Nachhaltigkeit ein wichtiger Aspekt.
Sie sind beide Architekten. Welche Auswirkungen haben technologische Entwicklungen im Hochbau auf Ihre Arbeit, zum Beispiel im Kontext von Bürobauten der Trend zum Großraum, in dem verschiedene Bedürfnisse individuell steuerbares Licht erfordern, wo also mehr oder weniger das Licht den Arbeitsbereich rahmt?
CdB: Auch hier spielt intelligente Datenübertragung eine Rolle, unter der Prämisse zweier Faktoren: der Rhythmus des menschlichen Lebens und der Rhythmus des natürlichen Lichts. Künstliche Lichtquellen können in Echtzeit über das »Internet der Dinge« gesteuert werden. Das können Sensoren sein, aber jeder kann auch zum Protagonisten dieser Steuerung werden und verantwortlich dafür sein, diesen Rhythmus ideal für sich anzupassen. Man nimmt dadurch seinen Privatraum oder seinen Arbeitsraum anders wahr und spürt die damit verbundene Dynamik.
Inwiefern sollte diese Steuerung aus Sicht von Artemide automatisch geschehen, oder ist es besser, Lichtsituationen aktiv zu steuern und manuell zu verändern?
CdB: Interaktion ist wichtig. Wir wollen immer auch eine Wahrnehmung schaffen, eine physische, manuelle Interaktion, wie im Kontext der Bücher vorhin. Aber wir brauchen beides. Physische Interaktion hat eine erzieherische, kulturelle Komponente. Erst wenn du gelernt hast, etwas zu nutzen, lernst du auch, verantwortlich damit umzugehen, in Hinblick auf Konsum beispielsweise. Wir arbeiten viel in diese Richtung und haben mehrere Patente für Produktentwicklungen. Eines davon heißt »Target Point«, das wir zusammen mit der Universität von Padua entwickelt haben. Dabei geht es um ein fortschrittliches Interaktionssystem zwischen Lichtquelle und Umfeld. Farbtemperatur und Lichtqualität stehen in ständigem Informationsaustausch mit den vorherrschenden Ambientebedingungen. Sie ändern sich wahrnehmbar, und auch nur für einzelne Raumbereiche oder individuelle Bedarfssituationen. Daher auch der Name. Wir schaffen also eine Interaktion zwischen Licht und Objekt, gleichzeitig eine Interaktion mit unseren menschlichen Bedürfnissen.
MDL: Als ich jung war, hatte jeder Raum eine einzige Lichtquelle in der Mitte. Wenn man sich hingegen heute hier umschaut, sind zehn verschiedene Leuchten im Raum, die jeweils eine eigene Aufgabe übernehmen. Beleuchtung hat nicht mehr nur eine einzige Funktion, sondern wird zu einer ganzen Installation. In einem Büro sind es Allgemeinbeleuchtung, Arbeitsbeleuchtung, Stimmungslicht, die in Abhängigkeit von Raummaßen, Raumnutzung und Raumflexibilität bestimmt werden können. Aber diese geben dem Raum noch keine Persönlichkeit. Das ist der Grund, warum ich an Objekte glaube.
Artemide hat schon mit zahlreichen Architekten und Designern zusammengearbeitet, die Rang und Namen haben. Chipperfield, Herzog & de Meuron, Nouvel, Thun, Foster. Liegt das daran, dass Architekten im Leuchtendesign einen Weg sehen, technische Raffinessen mit visuellen Qualitäten, fast kunstvollen Formen zu verbinden? Gehen Sie gezielt auf Kollegen zu oder wie kommen diese Kooperationen zustande?
CdB: Wir gehen auf die Architekten zu und Designer kommen eher auf uns zu. Aber alles geht von einer guten Freundschaft aus, wir teilen dieselben Werte. Architekten betrachten Licht im räumlichen und humanistischen Kontext. Im Ergebnis ist es ein Objekt, und letztendlich ist es Schönheit, aber zunächst ist es das tiefere Verständnis des Phänomens Licht. Es ist typisch italienisch, etwas zu synthetisieren, was dem Nutzen dient. Künstler und Wissenschaftler in einem zu sein, das ist doch das Geheimnis italienischen Designs.
Das Interview erscheint in der Ausgabe DETAIL 9/2017.