Neuartige Sonnenschutzelemente nach Vorbildern aus der Natur
Makroaufnahme des Prototypen des textilen Sonnenschutzes mit »Gelenken« (Foto: TU Darmstadt/Sandra Junker)
»Sonnen- und Blendschutz sind in unseren Breiten Zukunftsfragen im Bauwesen. Trotz extremer jahreszeitlicher Schwankungen müssen sich die Menschen in den Gebäuden jederzeit wohlfühlen«, erläutert Professor Stefan Schäfer, Leiter des Instituts für Konstruktives Gestalten und Baukonstruktion, der die Entwicklung eines textilen Sonnenschutzes mit bionisch-inspirierten Gelenken an der TU Darmstadt vorangetrieben hat. Ein weiterer innovativer Ansatz für eine neuartiges Sonnenschutzelement entstand im Verbundvorhaben »FabioW: Fassadenladen« unter Koordination der Fakultät Architektur an der TH Nürnberg. Der Fassadenladen basiert auf nachwachsenden Biopolymeren und einem Hohlprofil mit besonderer Form, das durch Teiltransluzenz die Tageslichtnutzung optimiert. Beide Systeme eint, dass sie sich – wenn auch in gänzlich unterschiedlicher Weise – an dem Aufbau von Blütenblättern orientieren.
Variabler Sonnenschutz aus perforierten Textilien
Die Wissenschaftler am Fachbereich Bau- und Umweltingenieurwissenschaften der TU Darmstadt haben einen variablen, textilen Sonnenschutz entwickelt, der die Vorteile von Textilrollos und Jalousien vereinen soll und gleichzeitig zur Lichtlenkung genutzt werden kann. Die leichtgängigen und rückfedernden Gelenke der Blütenblätter von Orchideenblüten lieferten dabei das Vorbild für das neue System. Es entstand ein textiler Sonnenschutz, der durch Auseinanderziehen des Stoffs Öffnungen entstehen lässt, durch die der Lichteinfall gesteuert werden kann. Dafür wird eine Stofffläche im Lasercutting-Verfahren mit einem optimierten Muster aus kleinen, zueinander versetzten Kurven perforiert, die an Zungen erinnern. Wird nun die Stoffbahn unter Zug genommen und gestreckt, klappen die Gelenke auf, die Stoffzungen wölben sich dreidimensional nach einer Seite auf und es entstehen gleichförmige Öffnungen. Durch unterschiedlich starken Zug lässt sich die einfallende Lichtmenge stufenlos regulieren. Die Schnittmuster sind dabei variabel. Dreht man sie etwa im oberen Teil des Rollos um 180 Grad, bilden sich bei Zugspannung dort kleine Kelche, die Tageslicht gezielt von außen in den Raum leiten können und auch dunklere Innenbereiche mit natürlichem Licht versorgen – während trotzdem der Blendschutz in Fensternähe gewährleistet ist. Gegenüber herkömmlichen, starren Lamellen-Jalousien hat der Sonnenschutz aus perforierten Textilien, laut dem wissenschaftlichen Mitarbeiter Marvin Kehl, zudem die Vorteile, dass er einfach konstruiert ist, wenige Bauteile benötigt und deshalb nur einen geringen mechanischen Verschleiß aufweist.
Fassadenladen aus nachwachsenden Biopolymeren
Biogene Werkstoffe wie z.B. Biokunststoffe und Bioverbundwerkstoffe gewinnen angesichts des Klimawandels und der Endlichkeit fossiler Rohstoffe immer mehr an Bedeutung und Aufmerksamkeit. Für den Einsatz als Fassadenbauteil bieten die Materialien zusätzlich beispielsweise gegenüber Holzwerkstoffen den Vorteil, auch in lichtdurchlässigen Varianten verfügbar zu sein. Damit können die gestiegenen Anforderungen an eine effiziente Tageslichtnutzung noch besser erfüllt werden. Im Verbundvorhaben »FabioW: Fassadenladen« wurde unter Leitung von Roland Krippner vom Lehrgebiet Konstruktion und Technik an der Fakultät für Architektur der TH Nürnberg ein neuartiges Fassadenelement aus nachwachsenden Biopolymeren entwickelt. Der sogenannte Fassadenladen wird von den Entwicklern als moderne Neuinterpretation des Fensterladens verstanden, angepasst an die veränderten baulichen Strukturen und Anforderungen von Wohnungs- und Bürogebäuden bei Neubauten und im Bestand sowie dem technologischen und ökologischen Status quo. Es entstand ein adaptives, modulares Baukastensystem, das exponiert vor der Fassade bei großflächigen, verglasten Gebäudeöffnungen Sonnenschutz und Tageslichtnutzung, Sichtkontakt sowie Zu- und Abluft reguliert und einfach durch den Nutzer gesteuert werden kann.
Für den Fassadenladen kamen thermoplastische Biokunststoffe mit sehr hohem Anteil nachwachsender Rohstoffe zum Einsatz, die vorab eine Vielzahl von Untersuchungen zu strahlungsphysikalischen und lichttechnischen Eigenschaften sowie Witterungsbeständigkeit und Brandverhalten durchlaufen mussten. Als Verarbeitungsmethode wurde die Extrusion gewählt, dabei wird das Material durch Druck aus einer formgebenden Öffnung herausgepresst, sodass Elemente in beliebiger Länge produziert werden können. Wichtigster Bestandteil des modularen Sonnenschutzsystems ist ein von der TH Nürnberg mit Peter Bonfig aufwendig entwickelter Profiltyp, der aus einem Hohlprofil, beispielsweise in Rautenform, als statisch wirksamer Kern besteht. An die Raute sind Flügel angefügt, die in ihrem Querschnitt so dünn wie technisch möglich gehalten werden, damit ein Teil der auftreffenden Solarstrahlung das nur bedingt transluzente Material zur Verbesserung der Tageslichtnutzung durchdringen kann. Anknüpfend an vorangehende Forschungen von Peter Bonfig wurden verschiedene einlagige, mehrlagige und partiell bewegliche Anordnungsprinzipien der Profile erstellt.
Das dabei genutzte Wirkprinzip ist ein gänzlich anderes, als es übliche Produkte für den Sonnenschutz verwenden. Die Wirkung der zu flächigen Elementen addierten Profile, mit Analogien zu transluzenten Blättern, weist Bezüge zu textilen gerafften Behängen auf. Allerdings liegt der Fassadenladen wie der tradierte Fensterladen für bestmöglichen Sonnenschutz vor der Fassade, erlaubt Durchblicke und Ventilation und hält - im Gegensatz zu Lamellenjalousien oder außen liegenden textilen Behängen – auch hohen Windgeschwindigkeiten stand. Um verschiedene funktionale Szenarien abbilden zu können, setzt sich der Fassadenladen aus drei verschiedenen Bereichen für Brüstung, Sichtfeld und Oberlicht zusammen, die sich in der Anordnung der Profile unterscheiden. »Der Fassadenladen als gestaltprägendes Bauteil für Gebäude soll sich von bekannten Lösungen auf dem Markt absetzen und ästhetische Qualitäten neuartiger biogener thermoplastischer Werkstoffe zum Ausdruck bringen«, erläutert Roland Krippner. Und weiter: »Mit dem Fassadenladen (...) konnte gezeigt werden, dass biobasierte Sonnenschutzsysteme eine nachhaltige Alternative zum Einsatz von Standardprodukten aus Aluminium oder PVC in der Fassade darstellen.«
Für beiden Systeme – den Fassadenladen und den Sonnenschutz aus perforierten Textilien – wurden bereits die Patentanmeldungen eingereicht und es wird nach ersten Projekten und Partnern für die reale Anwendung gesucht.