17.11.2017 Bettina Sigmund

Immobilien-Zeitmaschine in der Virtual Reality

Interessierte konnten die virtuelle Architektur auf der Münchner Immobilienmesse erleben. Mit der passenden Geräuschkulisse wird es noch realistischer. (Foto: Meister Immobilien GmbH)

Sie sprechen von Nurbs und Polygonen, von Scripten, Lightmaps, Wraps und Gaming-Engines. Und auch davon, die Emotionen in der Architekturplanungsphase auf ein ganz anderes Level zu pushen. »Mit 2D-Plänen kann man keine Emotionen erzeugen. Aber wenn die Leute die 3D-Brille wieder absetzen, haben alle ein Lächeln im Gesicht«, berichtet Sebastian Meister. Sie sehen sich mit ihrer Immobilien-Zeitmaschine, so nennen sie ihre VR-Dienstleistung, als Vorreiter. Mit »iVR« tragen sie dazu bei, virtuelle Erlebnisse professionell von der Spiele-Welt in die Immobilien-Welt zu übertragen. Was sich vermeintlich zunächst nach keinem großen Transfer anhört, birgt jedoch enorme technische Hürden, die es zu überwinden gilt. Während Computerspiele einmal programmiert für alle User das gleiche Erlebnis bieten, ist die Visualisierung von Architektur genauso wie die Architektur selbst jedes Mal ein Unikat. Was genau ist und kann »iVR«?
Sebastian Meister: Unsere VR-Umgebung ist nicht nur eine Visualisierung, sondern eher ein Computerspiel. Durch die Virtual Reality-Technologie kann jedes Objekt auf Basis der CAD-Daten realistisch durch die VR-Brille erlebt werden. Der User bewegt sich frei durch den Raum, kann Schränke öffnen oder mit einem Controller die Oberflächen von Böden oder Wänden verändern, um nur einige Beispiele zu nennen. Das Erlebnis ist so realitätsnah, dass selbst Raumatmosphäre und Emotionen transportiert werden. Wir verstehen unsere Dienstleistung zum einen als Marketing-Tool für den Verkauf von Objekten, aber durchaus auch als Planungswerkzeug. Fehlentscheidungen oder Planungsfehler können so bereits im Vorfeld ausgeschlossen werden. Der Bauherr, Käufer oder Mieter kann noch während der Entwurfsphase seine eigenen Wünsche und deren Umsetzung überprüfen und gegebenenfalls anpassen. Der virtuelle Rundgang ist ein Event, macht Spaß, weckt Emotionen und erleichtert die Entscheidungen. Wie genau sah bzw. sieht der Entwicklungsprozess aus?
Nils Mikolajczak:
Wir nutzen eine bestehende Grundsoftware bzw. eine Spiele-Engine und haben diese an unsere Zwecke angepasst, haben Scripte geschrieben und Workflows entwickelt. Die Hardwareanforderungen können durch die Techniken aus dem Spielebereich, Stichwort Gamification, wesentlich besser gelöst werden, als durch die gängigen CAD-Programme. Alleine beispielsweise die ständige Berechnung der Beleuchtung aus dem jeweiligen Blickwinkel des Betrachters würde die Soft- und Hardware an ihre Grenzen bringen. Es greifen viele kleine Zahnräder, wie Grafik- und 3D-Programme, Texturierungsprogramm und diverse Programmiersprachen, die für die Interaktivität zuständig sind. Dadurch kann beispielsweise ein Materialwechsel in Echtzeit vorgenommen werden – durch Knopfdruck wechselt in der virtuellen Welt der Fußbodenbelag von einem Birken- zu einem Buchenparkett. Weitere Interaktivitäten sind ein realistischer Tag-Nacht-Verlauf, sich teleportieren zu können, Türen zu öffnen oder mit Objekten in der virtuellen Welt zu interagieren. SM: Wir haben etwa drei Jahre lang geforscht und programmiert. Seit einem halben Jahr sind wir auf dem Markt – entwickeln uns aber stetig weiter. Wir lernen mit jedem Projekt neu hinzu, es kommen immer neue Features. Das Projekt wächst. Wir fühlen uns als Pioniere: Wir betrachten das so, wie das allererste Handy oder das erste Smartphone. Der Markt ist schnell.
Kamerafahrten einer begehbaren 3D Visualisierung, Projekt Neubau Grafrath (Quelle: Meister Immobilien GmbH) Welche Vorteile bringt der Einsatz von VR in der Architektur für welche Anwender- oder Nutzergruppen? 
SM: Unsere Kunden sind hauptsächlich Bauträger. Das Tool kann schon in der Planungsphase eingesetzt werden. Wir haben bereits größere Objekte von Anfang an Hand in Hand mit dem Bauunternehmen und dem Architekten in 3D umgesetzt, inklusive Außenareal und allen Besonderheiten der Innenräume. Eine Herausforderung war beispielsweise eine Büroetage, für die verschiedene Gestaltungsvarianten getestet werden sollten. Für den Bauträger waren die Raumwirkung und der veränderte Lichteinfall der verschiedenen Varianten interessant. In dieser Phase haben wir dann auch aktiv in die Planung eingegriffen, da wir die kleinen Planungsfehler, die sich bei Großprojekten nur selten vermeiden lassen, schon in diesem frühen Stadium aufdecken konnten. Bisher haben wir bei jedem unserer Projekte kleine und größere Planungsfehler gefunden und darauf aufmerksam gemacht.  Die Kunden unserer Auftraggeber sind meist Laien, können 2D-Pläne nur bedingt lesen. Man muss sich in einer Immobilie wohlfühlen, dieses Gefühl entsteht sofort beim Betreten eines Gebäudes bzw. einer Wohnung. Im Neubau kann dieses Gefühl aber nicht durch einen 2D-Plan und einige Renderings bereits vor der Realisierung erzeugt werden. Die virtuelle Umgebung kann dieses Gefühl des sich Wohlfühlens jedoch vorab kreieren. Das Erleben des Gebäudes bereits in der Planungsphase ist etwas ganz Neues, es ist wie eine neue Achterbahn im Freizeitpark.  Wie muss man sich den virtuellen »Bauprozess« vorstellen? 
NM: Wir bekommen vom Bauträger bzw. dessen Architekt die CAD-Daten. Das Gebäude in der virtuellen Welt muss dann genauso wie das reale Objekt gebaut werden. Bis ein komplettes Gebäude, beispielsweise ein Mehrfamilienhaus mit 3 Einheiten, erstellt und eingerichtet ist, dauert es etwa 2 Wochen. Wir sammeln und bündeln. Wir benötigen Planmaterial, Informationen aus der Baubeschreibung, Produktdaten der Hersteller und Materialinformationen aus Fotos. Je mehr Informationen wir erhalten, desto realitätstreuer können wir die VR-Umgebung gestalten. Das virtuelle Gebäude kann dann bei uns im Büro besichtigt werden oder wir bauen die benötigte Technik, den Rechner und die beiden Sensoren für die Brille vor Ort beim Kunden oder auf der Baustelle im Baucontainer auf. Wir vermieten die Technik, schließlich können wir den Kunden nicht zumuten, einen Rechner zu kaufen, der so teuer ist wie ein Kleinwagen. Die Anwendung selbst ist dann wie ein Computerspiel. Man setzt sich die Brille auf und es geht los.  Weshalb können 3D-Informationen aus CAD oder BIM nicht direkt weiterverwendet werden? 
NM: Das Problem mit CAD- und BIM-Daten ist, dass diese entweder zu viele oder zu wenige 3D-Informationen enthalten, um ein echtzeitfähiges, realistisches virtuelles Erlebnis zu gewährleisten. Wenn wir ein Standard-3D-Rendering haben, bestehen die 3D-Objekte aus vielen einzelnen Polygonen. Für ein Standard-Rendering besteht ein Stuhl beispielsweise aus 3 Millionen Dreiecken. Wir müssen diesen Stuhl auf etwa 3.000 Polygone herunterbrechen und dann diverse Tricks und Kniffe anwenden, dass die Rundungen auch weiter rund aussehen. Das ist die große Kunst dabei. Die Standard-3D-Modelle einfach in eine VR-Gaming-Engine zu ziehen funktioniert leider nicht. BIM-Modelle sind aber auch nicht für realistische 3D-Renderings ausgelegt, sondern für die Bündelung vieler weiterer Informationen und Produktdaten relevant. Hinzu kommt, dass Architekturprogramme anders arbeiten, da diese Nurbs- und nicht Polygon-basiert sind. Dies könnte Einfluss auf die Belichtung haben. Sind die Kontaktpunkte an Ecken und Kanten nicht exakt gesetzt, gibt es kleine Schattenfehler. Weiterhin ist das Planmaterial für die VR-Visualisierung meist nicht sauber genug gezeichnet. Wird hier getrickst und es liegen Linien oder Ebenen übereinander, kollidieren diese im 3D-Modell. Alle Informationen werden also noch einmal komplett neu zusammengestellt, gezeichnet und eingegeben.  Wie reagieren Planer auf die neuen VR-Möglichkeiten? 
NM: Es gibt viele positive aber natürlich auch skeptische Stimmen. Planer besitzen ein trainiertes räumliches Vorstellungsvermögen, sodass das Tool vielleicht zunächst überflüssig erscheinen mag. Sobald sie aber die Brille aufsetzen, merken die meisten schnell, dass es einen großen Unterschied gibt: In dem Moment, wo sie in das virtuelle Objekt eintreten, ist es keine Vorstellung mehr, sondern man steht wirklich in dem Objekt. Gerade in der Planungsphase ist das ein großer Vorteil, denn egal, wie lange man bereits im Business ist und wie gut das Vorstellungsvermögen ist, sich in dem geplanten Objekt zu bewegen, bekommt das eine ganz andere Dimension.  Renderings haben gegenüber Handzeichnungen den Nachteil, dass ihnen die Emotionen und die persönliche Note fehlen. Werden diese Emotionen nun im virtuellen Objekt wieder erzeugt? 
SM: Bei unseren Messepräsentationen geschieht es immer wieder, dass sich Leute eine Auszeit in der Virtual Reality nehmen. Sie sitzen oder liegen dann sogar mit Anzug einfach am Boden und genießen die Atmosphäre im Garten eines Objekts, sie fühlen sich mitten im Grünen. Die Blätter bewegen sich im Wind, am Himmel rote Abendstimmung, Vogelschwärme fliegen vorbei, der Wind pfeift.... Die Leute haben sich danach für die Momente der Ruhe bedankt, die wir ihnen geschenkt haben. Und genau damit holen wir die Menschen ab, wir liefern Emotionen.  NM: Die Lichtstimmung spielt dabei eine besondere Rolle. Uns ist wichtig, die Lichtberechnung physikalisch korrekt zu gestalten. Wir nutzen dafür die Geokoordinaten der Objekte sowie die Jahres- und Tageszeit, um den Lichtstand korrekt anzugeben. Leuchten und künstliche Lichtquellen werden mithilfe der Herstellerdaten möglichst exakt nachempfunden, damit die Lichtkegel und die Lichtwärme der Realität entsprechen. Wir versuchen die Lichtsettings so realistisch wie möglich zu gestalten und das Ganze zusätzlich noch künstlerisch aufzuwerten. Es ist eine virtuelle Welt und wir wollen, dass sich die Menschen hier besonders wohl fühlen. Also arbeiten wir beispielsweise verstärkt mit warmen Farben.  SM: Dass wir damit erfolgreich sind, lässt sich auch ganz direkt belegen: Wir animieren unsere User immer, sich im virtuellen Objekt auf den Balkon zu stellen und einen Schritt durch die Brüstung in den Luftraum zu machen. Es kann nichts passieren, aber das Gehirn rebelliert und blockiert die Motorik. Man muss kämpfen, um diesen Schritt zu machen. Dies ist häufig das Schlüsselerlebnis, wenn die Nutzer begreifen, wie real die Darstellung ist.  Wird die VR-Technik in der Immobilienbranche zum Standard werden? 
SM: Die Technik kommt auf alle Fälle. Im Architekturbereich wird VR als Ergänzung sicher präsenter werden. Architekturbüros werden die virtuelle Gestaltung aber sicherlich nicht als Standard mit in die Planung aufnehmen – das ist viel zu aufwändig. Wir hatten zu Beginn unserer Auseinandersetzung mit dem VR-Thema gehofft, dass wir den virtuellen Bauprozess automatisieren können und die manuellen Schritte maximal reduzieren zu können. Aber das ist leider nicht so. Jedes Bauprojekt ist individuell, so dass wir das Problem bisher nicht lösen konnten. Vielleicht löst es sich irgendwann, aber im Moment ist eine automatisierte Nutzung von CAD oder BIM-Daten nicht möglich. Noch ist Manpower gefragt...
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