DETAIL 9.2019
Aus dem Editorial der Ausgabe 9.2019
Neue Perspektiven für den ländlichen Raum
Allzu lange haben wir uns auf die Entwicklung von Städten konzentriert. Der tiefgreifende Strukturwandel auf dem Land hingegen ist aus dem Blickfeld geraten. Dabei sind viele ländliche Gebiete und bei Weitem nicht nur diejenigen in strukturschwachen Regionen empfindlich von dieser anhaltenden Entwicklung betroffen. Die Konsequenzen für den Alltag der Menschen sind nachhaltig und vielerorts sichtbar: Viele Bewohner finden keine Arbeit mehr in ihren Dörfern. Sie werden zu Pendlern oder ziehen in die nächste Stadt. Schulen und Läden schließen, auf die ärztliche Infrastruktur und den Nahverkehr ist kein Verlass mehr. An den Dorfrändern wuchern Gewerbegebiete mit großen Parkplätzen und Discountern, die sich von Dorf zu Dorf nicht unterscheiden. War die Ortsmitte früher der stolze Mittelpunkt und das lebendige Zentrum von Gemeinden, so ist sie heute oft verwaist.
Wir haben in unserem aktuellen Konzept-Heft Beispiele zusammengetragen, die sich auf das Wohnen im ländlichen Raum konzentrieren. Die drei ausführlichen Prozess-Dokumentationen zu Projekten in Saint-Maurice im Wallis, in Hallstatt im Salzkammergut und in Elsau im Kanton Zürich zeigen gezielte architektonische Interventionen in historischen Strukturen, die den Ortskern durch neue Wohnkonzepte reaktivieren. Architektur übernimmt hier die Aufgabe, die Identität der Gemeinden zu stärken, sie als Lebensmittelpunkt und kulturelles Zentrum wieder attraktiv zu gestalten und mit sorgfältigen und bedachten Lösungen neue Qualitäten des Wohnens zu schaffen. Kein leichtes, aber ein dringend notwendiges Unterfangen, um dem Strukturwandel die Stirn zu bieten.
Die typologischen Beiträge in diesem Heft sind generell der Architektur von Wohnhäusern auf dem Land gewidmet. Sie stellen Projekte in Australien, Österreich und Portugal, in Spanien oder Schweden vor. Einige dieser Häuser werden als Feriensitze von Städtern genutzt – gemeinsam ist allen, dass ihre Architektur gezielt auf spezifische topografische oder klimatische Eigenarten, auf lokale Bautraditionen und die regionale Baukultur Rücksicht nimmt. Der Genius Loci ist dabei der maßgebliche Leitfaden, um den Einklang der Architektur mit ihrem Kontext zu steigern und spezifische Wohnqualitäten zu schaffen.